Kaiser's Tengelmann:Psychogramm einer gescheiterten Fusion

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Geht der Minister wegen des Gerichtsentscheids baden? Sigmar Gabriel als Video-Installation in Berlin. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Das Schicksal von Kaiser's Tengelmann hängt nun an Verfahrensfragen - und an der Geduld des Eigentümers.

Von Varinia Bernau und Michael Kläsgen, München/Düsseldorf

Wer hat wen getroffen und wann? Vor allem aber: Was davon hat das Bundeswirtschaftsministerium "aktenkundig" gemacht und wie? Das sind die Fragen, die über das Schicksal der verbliebenen 430 Supermärkte von Kaiser's Tengelmann und deren Mitarbeiter mitentscheiden. Für Laien mag das rätselhaft erscheinen. Tatsächlich aber hängt vieles davon ab: Hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) Fehler gemacht, als er mit einer Ministererlaubnis die Fusion von Tengelmann und Edeka ermöglichte? Hat er es versäumt, alle Beteiligten umfassend über alles zu informieren?

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf liest sich wie ein Wirtschaftskrimi. Die Richter sprechen in dem 33-seitigen Beschluss mehrmals von "Geheimgesprächen", die "unter Ausschluss aller anderen Verfahrensbeteiligten" stattgefunden hätten. Das hört sich nach Mauschelei im Hinterzimmer an. Andererseits traf sich hier ein Minister, der auch SPD-Vorsitzender ist, mit zwei Unternehmern, denen bei bestem Willen keine Gewerkschaftsnähe nachgesagt werden kann. Beide verließen die Unterredungen aber mit recht gewerkschaftsnahen Vorstellungen.

Nach einer handschriftlichen Notiz des Ministers kommt es zu zwei "Geheimtreffen"

Wer hat hier also wem was eingeflüstert? Die Frage, wann die Angelegenheit so vertrackt wurde, lässt sich unterschiedlich beantworten. Verschiedene Interpretationen kursieren bereits über die mündliche Verhandlung am 16. November 2015 im Wirtschaftsministerium. Rewe-Chef Alain Caparros trug damals mit Pathos vor, sein Konzern garantiere, alle 16 000 Arbeitsplätze bei Kaiser's Tengelmann zu erhalten, wenn Gabriel ihm doch nur den Zuschlag erteile. Gabriel aber betonte, dies seien keine "Verkaufsverhandlungen". Er als Minister habe nach dem Veto des Bundeskartellamts lediglich darüber zu entscheiden, ob Edeka Kaiser's Tengelmann kaufen dürfe.

Gleichzeitig schwor er die anwesenden Gewerkschafter darauf ein, der Fusion zuzustimmen. Eine Zerschlagung würde viele Jobs kosten. Das Gericht kommt nun aber zu dem Schluss, dass das Angebot von Edeka zu dem Zeitpunkt einen "signifikanten Arbeitsplatzabbau" bei Kaiser's Tengelmann vorsah.

Eine Woche später, so ist es im Beschluss des Gerichts nachzulesen, schlug sein Staatssekretär Gabriel vor, die Ministererlaubnis zu erteilen. Der Minister lehnte jedoch ab. Er wolle zunächst noch mit Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub und Edeka-Chef Markus Mosa reden. Er denke dabei, so zeigt eine handschriftliche Notiz, über drei Möglichkeiten nach: die Ministererlaubnis ablehnen; neue Verkaufsverhandlungen aufnehmen, um die Kaiser's-Tengelmann-Filialen an drei Bieter aufzuteilen - oder aber ein neues Angebot von Edeka einzuholen.

So kam es zu den vom Gericht monierten "Geheimtreffen". Die Richter erfuhren, so wird kolportiert, von diesen Treffen zufällig - aus einer Mail, die Mosa ans Ministerium schickte. Gut möglich, dass sie sich dadurch bereits hinters Licht geführt fühlten. Daraufhin forderte das Gericht beim Ministerium Akten an.

Das erste Gespräch fand am 1. Dezember 2015 statt. Im Gerichtsbeschluss ist von "Sechs-Augen-Gesprächen" die Rede: Gabriel, Mosa und Haub. Edeka, Tengelmann und Gabriel betonen, dass die Unternehmen jeweils nacheinander mit Gabriel und den jeweiligen Anwälten zusammengekommen seien. Der Minister legt zudem großen Wert darauf, dass Mitarbeiter seines Ministeriums mit am Tisch saßen. Den Vorwurf von Geheimgesprächen lässt er nicht gelten.

Gut zwei Wochen später führte Gabriel mit beiden Unternehmern nochmals Gespräche. Was es noch zu klären gab, ist unbekannt. Im Gerichtsbeschluss steht, das Treffen habe am 16. Dezember stattgefunden. Das Ministerium und die Unternehmen betonen, dass es am 18. Dezember war und unterstellen den Richtern damit, schlampig gearbeitet zu haben. Das Gericht wiederum kontert: Wenn das Ministerium vernünftig die Akten geführt hätte, wäre das Datum korrekt gewesen. "Es hat nichts Geheimnisvolles stattgefunden", beteuerte Gabriel nun. Rewe bezichtigte den Minister der Falschaussage. So steht Aussage gegen Aussage. In den Akten des Ministeriums jedenfalls, so monieren die Richter in ihrem Beschluss, "sind die Einladung zu jenen Treffen und der Ablauf und Inhalt des Gesprächs nicht vermerkt". Es gebe lediglich eine vertraulich behandelte Vorlage für den Minister, datiert auf den 14. Dezember, um die zweite Unterredung vorzubereiten. Demnach wollte Gabriel klären, ob Edeka und Kaiser's Tengelmann bereit sind, die von ihm gestellten Bedingungen für eine Ministererlaubnis zu akzeptieren. Auch zum vorliegenden Angebot von Rewe sollten sie Stellung beziehen.

Entscheidend für das Schicksal von Kaiser's Tengelmann ist aber nicht, ob sich die Herren getroffen haben. Das beanstandet das Gericht nicht. Ihm fehlen vielmehr die Akten darüber. Diese Informationen hätten für alle Verfahrensbeteiligten zugängig gemacht werden müssen. Aus den fehlenden Dokumenten leiten die Richter ab, dass es dem Minister an Neutralität gefehlt habe. Vor allem Rewe-Chef Caparros fühlte sich außen vor.

Am 12. Januar 2016 nannte Gabriel auf einer Pressekonferenz die Bedingungen, unter denen er die Fusion erlauben würde: Edeka dürfe fünf Jahre lang niemanden entlassen und müsse sich für Gewerkschaften und Betriebsräte öffnen. Die Gewerkschaft Verdi begrüßte dies, für Edeka aber war es ein Novum. Den Erfolg des Einzelhändlers, so sieht man es dort, beruhe auf selbständigen Kaufleuten. Dennoch akzeptierte Edeka.

Eine gute Woche später beantragten die Anwälte von Edeka-Konkurrent Rewe beim Wirtschaftsministerium eine vollständige Einsicht in die Akten. Die Beamten antworten binnen fünf Tagen: Einsicht könne nicht gewährt werden. "Ein Vermerk zum Gespräch von Herrn Bundesminister Gabriel mit Herrn Mosa am 1. Dezember 2015 (. . .) liegt nicht vor." Auch weitere Korrespondenz mit Edeka, Tengelmann oder Dritten existiere nicht. Der Kaufvertrag zwischen Edeka und Tengelmann sei Geschäftsgeheimnis.

Rewe will erst aus dem Entscheid des Gerichts von einem weiteren Termin in Berlin erfahren haben

Pikant daran: Das Ministerium teilte nichts von dem zweiten Treffen am 16. oder 18. Dezember mit. Davon erfuhr Rewe erst durch den Gerichtsbeschluss, behauptet das Unternehmen nun. Andererseits sollte ursprünglich die Ministererlaubnis bis Weihnachten erteilt werden. Als Begründung für den Aufschub wurden noch Anfang Januar Treffen von Gabriel, Mosa und Haub kolportiert.

Am 9. März 2016 genehmigte Gabriel schließlich die Fusion von Edeka und Tengelmann. Rewe und ein weiterer Edeka-Konkurrent, Markant, stellten unmittelbar darauf einen Eilantrag, um die Ministererlaubnis zu stoppen. Edeka und Verdi machten miteinander Bekanntschaft. Die Verhandlungen über die Tarifverträge verliefen schwierig. Tengelmann-Chef Haub wurde immer nervöser, weil seine Supermärkte weiter Verluste anhäuften.

Im Juni setzte das Oberlandesgericht Düsseldorf ein Signal. Es verbot trotz der anstehenden Fusion Edeka und Tengelmann, gemeinsam Waren einzukaufen. Am 12. Juli kam dann die große Überraschung. Das Gericht erklärte die Ministererlaubnis für rechtswidrig - und begründete dies damit, dass der Minister befangen gewesen sei. Der zentrale Vorwurf: "Geheimgespräche". Ganz unabhängig vom Agieren des Ministers, betonte das Gericht aber auch, dass der Erhalt von Arbeitnehmerrechten nicht von Belang für das Allgemeinwohl einer Gesellschaft sei. Dahinter steckt die Überlegung, dass der Job einer Kassiererin nicht mehr wert ist als der eines Lieferanten, der im Falle einer Fusion unter Preisdruck gerät. Soweit die Eilentscheidung. Das endgültige Urteil wird in den nächsten Monaten erwartet. Bis dahin ist die Übernahme der Tengelmann-Supermärkte blockiert.

Gabriel wirft den Richtern Fehler vor und kündigte an, gegen den Beschluss vorzugehen. Edeka schloss sich der Auffassung an und will zudem die Verhandlungen mit Verdi bis Ende dieses Monats abschließen. Die Gewerkschaft zeigte sich bestürzt und erklärte ebenfalls, sich rasch mit Edeka einigen zu wollen. Damit hängt das Schicksal von Kaiser's Tengelmann von der Frage ab, ob Gabriel bei der Ministererlaubnis Fehler gemacht hat. Aber vielleicht verliert Tengelmann-Eigner Haub auch die Geduld - und zerschlägt das Unternehmen.

© SZ vom 15.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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