Jahresgutachten der fünf Wirtschaftsweisen:"Der Bundeshaushalt 2006 verstößt gegen das Grundgesetz"

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Obwohl die Neuverschuldung des Bundes erstmals seit fünf Jahren unter der europäischen Drei-Prozent-Grenze bleibt, halten die fünf Wirtschaftweisen den Bundeshaushalt 2006 für verfassungswidrig.

In ihrem am Mittwoch veröffentlichten Jahresgutachten attestierten die fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung wegen der überhöhten Neuverschuldung des Bundes in diesem Jahr einen Verfassungsverstoß.

Der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Bert Rürup, übergibt Kanzlerin Merkel in Berlin das Jahresgutachten für 2006. (Foto: Foto: AP)

Die Neuverschuldung des Bundes übersteige entgegen den Verfassungsregeln die Investitionen weit. Dass die Regierung diesen Fakt mit einer Ausnahmeregelung des Grundgesetzes rechtfertige, sei "nicht nachvollziehbar" und erwecke den "Eindruck der Beliebigkeit", schreibt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Gutachten.

Der Grundgesetzartikel 115, der eine überhöhte Staatsverschuldung erschweren soll, erweise sich "als Papiertiger". Der Sachempfiehlt daher eine Änderung des Investitionsbegriffs.

Das deutsche Staatsdefizit wird allerdings nach Einschätzung der Wirtschaftsweisen in diesem Jahr - erstmals seit 2001 - mit 2,2 Prozent deutlich unter der europäischen Verschuldungsgrenze von 3,0 Prozent bleiben und im nächsten Jahr weiter auf 1,5 Prozent sinken.

"Kein Einbruch"

Die Weisen erwarten für kommendes Jahr trotz der Mehrwertsteuererhöhung keinen Konjunktureinbruch.

Vielmehr seien die Voraussetzungen für einen - wenn auch gedämpften - Aufschwung gegeben, bei dem sich das Wachstum von 2,4 Prozent in diesem Jahr leicht auf 1,8 Prozent im Jahr 2007 abschwächt.

Auch in Bezug auf die Arbeitslosigkeit zeigte sich der Rat optimistisch. Der Prognose zufolge werden kommendes Jahr durchschnittlich 4,27 Millionen Menschen arbeitslos sein, das wären rund 270.000 weniger als dieses Jahr.

Erwerbstätigkeit soll steigen

Parallel soll die Zahl der Erwerbstätigen ebenfalls um gut 250.000 auf durchschnittlich 39,3 Millionen im Jahr 2007 steigen und die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um gut 300.000 auf 26,62 Millionen.

Die sprudelnden Steuereinnahmen und die Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent zum 1. Januar entlasten der Vorhersage zufolge die Staatskassen deutlich.

So sinke das gesamtstaatliche Defizit in diesem Jahr auf 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukt, und nächstes Jahr sogar auf 1,5 Prozent. Die Defizitgrenze von drei Prozent des Euro-Stabilitätspakts wird somit klar eingehalten.

Lob gab es von den Wirtschaftsweisen für die von der schwarz-roten Regierung beschlossenen Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre sowie die Verabschiedung der ersten Stufe der Föderalismusreform.

Kritik an Gesundheitsreform

Harsche Kritik übten die Wirtschaftsexperten hingegen an der geplanten Gesundheitsreform. Der in quälenden Verhandlungen gefundene Kompromiss enthalte keinen der notwendigen Bausteine einer Ziel führenden Reform. "Im Ergebnis dürfte sich daher gegenüber dem Status quo eine Verschlechterung einstellen", hieß es.

Laut dem 447 Seiten starken Gutachten hält sich der Anstieg der Verbraucherpreise trotz der Mehrwertsteuererhöhung in Grenzen. Nach rund 1,7 Prozent sei im kommenden Jahr mit einem Anstieg um 2,3 Prozent zu rechnen.

Merkel: "Kritik ist Ansporn"

Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte an, die Kritik im Jahresgutachten als Ansporn zu nehmen und ihre Reformpolitik weiter zielstrebig voranzutreiben. "Wir werden die Hände nicht in den Schoß legen", versicherte die CDU-Chefin bei der Übergabe der Expertise im Kanzleramt.

Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) sagte, er erwarte genau wie der Sachverständigenrat trotz der Mehrwertsteuererhöhung für 2007 nur eine leichte Konjunkturdelle.

Zur Kritik am schleppenden Reformtempo meinte der frühere CSU-Landesgruppenchef, es gebe eine Reihe ungelöster Probleme, "die sich in einer großen Koalition aber nicht ohne weiteres lösen lassen". Als Beispiel nannte er eine weitere Flexibilisierung am Arbeitsmarkt.

Glos: "Verwirrung"

Glos bestätigte, dass die Regierung die verschiedenen Prognosen und Konjunkturgutachten umgestalten und ein neues Instrumentarium schaffen wolle. Darüber werde zurzeit beraten. Die vielfältigen Vorhersagen trügen derzeit "fast zu einer Verwirrung bei", sagte Glos.

Er schlug vor, das Jahresgutachten der Regierung künftig von unabhängigen Experten erstellen zu lassen.

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