60 Jahre Ifo-Institut:Und, wie ist die Stimmung?

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Seit 60 Jahren fragen Forscher des Ifo-Instituts die deutschen Unternehmer, wie die Geschäfte laufen. Das Ergebnis verrät viel über die Befindlichkeit der Republik.

Alexander Mühlauer

Der Herr mit dem Backenbart weiß, dass er nicht zu viel Hoffnung wecken darf. Schon gar nicht jetzt, wo alle nur darauf warten, dass er endlich diese eine Botschaft verkündet: Der Aufschwung kommt. Tut er aber nicht. Hans-Werner Sinn tut das, was er jeden Monat tut. Er wählt seine Worte mit Bedacht, denn er weiß um die Stimmung im Land, und wie es auf seine Botschaften reagiert.

Nicht zu viel Hoffnung wecken: Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn wählt seine Worte mit Bedacht. (Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Professor steht im Garten seines Instituts in München und formuliert deshalb einen Satz, der den versammelten Reportern sicher nicht zur Schlagzeile taugt: "Wir konstatieren eine Abschwächung der Abwärtsbewegung." Es hätte schlimmer kommen können; immerhin ist der Ifo-Geschäftsklimaindex leicht gestiegen, auf 84,2 Punkte.

Mehr als Wasserstandsmeldungen

Drei Wochen haben 20 Mitarbeiter des Professors auf diese Zahl hingearbeitet. Sie machen das jeden Monat aufs Neue, zwölf Mal im Jahr. Seit 60 Jahren fragen die Forscher aus München Deutschlands Unternehmer, wie die Geschäfte laufen. Die Umfrage-Ergebnisse sind mehr als nur Wasserstandsmeldungen. Sie zielen auf die Befindlichkeit einer Republik, die sich wie kaum eine andere über eines definiert: die Stärke ihrer Wirtschaft.

Wer sich auf die Suche macht, die Stimmung im Land zu erforschen, landet irgendwann in der Poschingerstraße 5, München-Bogenhausen. Hier hat das Ifo-Institut seinen Sitz. Am Dienstag begeht es feierlich die 60. Jahresversammlung. Ifo, die drei Buchstaben stehen für "Information und Forschung". Hier also, hinter den weißen Sprossenfenstern einer neoklassizistischen Villa, entsteht Deutschlands Launenbarometer.

Klaus Abberger hat sein Eckbüro im Rückgebäude, erster Stock, ganz hinten links. Vor ihm auf dem Schreibtisch stapeln sich Blätter mit vielen Zahlen und vielen Kurven darauf. Herr Abberger schaut, dass alles glatt läuft, mit den Zahlen und Kurven. Sein Job ist es, die Umfragen zu koordinieren.

Fragen an die Unternehmer

Er achtet zum Beispiel darauf, dass die Statistiker im Winter die Daten der Baubranche anders gewichten, denn wenn es draußen schneit, wird weniger gebaut als im Sommer. Herr Abberger würde das nie so formulieren, da ist er zu sehr Statistiker. Er sagt: "Man rechnet die Saisonmuster raus." So kann es nicht zu fehlerhaften Daten kommen, beim Hochbau, Tiefbau oder bei der Mineralölindustrie.

In der ersten Woche jedes Monats überprüft Abberger die Fragen an die Unternehmer im Land. Es sind immer dieselben. Ob die Geschäftslage gut, befriedigend oder schlecht ist. Ob sich die Nachfragesituation gebessert, nicht verändert oder verschlechtert hat. Ob die Zahl der Beschäftigten zunimmt, etwa gleich bleibt oder abnimmt. Und dann gibt es noch Fragen, die sich je nach Wirtschaftslage ändern. Herr Abberger nennt sie Sonderfragen. Zurzeit, es ist ja vor allem eine Krise der Banken, interessiert ihn die Bereitschaft der Geldhäuser, Kredite an Unternehmen zu vergeben.

Herr Abberger will wissen, ob die Banken entgegenkommend, normal oder zurückhaltend sind. So entsteht ein Fragebogen mit 20 mal drei Ankreuzmöglichkeiten, den das Ifo-Institut an die Unternehmer im Land verschickt. Gut 7000 antworten. 1000 würden auch reichen, meint Abberger, der Statistiker.

Die meisten der Antworten kommen von allein. Aber es gibt auch Unternehmen, die angerufen werden wollen. Zum Beispiel die Firma Klüber. Seit 1929 stellen die Münchner Schmierstoffe für mechanische Bewegungen her. Das können Kugellager sein. Oder der Drehmechanismus des Restaurants hoch oben im Münchner Fernsehturm; das dreht sich nämlich stets um die eigene Achse.

Der Geschäftsführer der Firma Klüber, die zur Freudenberg-Gruppe gehört, heißt Hanno Wentzler. Von seinem Büro aus kann er die Zugspitze sehen. Ein schöner Ausblick, dem der Schmierstoff-Fabrikant aber zurzeit nicht viel abgewinnen kann. Noch im vergangenen Oktober feierte Wentzler den zweitbesten Monat der Firmengeschichte. Im März musste er dann knapp zwei Drittel der Mitarbeiter in die Kurzarbeit schicken.

Bedeutender Informationsinput

Seit zehn Jahren füllt Herr Wentzler den Ifo-Fragebogen aus. Was er davon hat? Einen wichtigen Informationsinput, wie er sagt. Denn Wentzler bekommt vom Ifo-Institut nicht nur Daten über seine Branche, die Mineralölindustrie, er bekommt alle Daten darüber, wie die Geschäfte in Deutschland laufen. Dafür muss er selbst Auskunft geben. Immer in der dritten Woche des Monats wird er angerufen, und daran erinnert, den Fragebogen bitte auszufüllen.

Die Erinnerungshilfen heißen Renate Forkl und Doris Hauke. Sie sitzen im Rückgebäude des Ifo-Instituts, erster Stock, ganz hinten rechts. Frau Forkl und Frau Hauke rufen Deutschlands Firmenchefs schon sehr lange an. "34 Jahre kümmere ich mich jetzt darum", sagt Frau Forkl. Früher hat sie die Antworten mit der Hand eingetragen und die Fragebögen in große Koffer gesteckt. Die mussten dann raus nach Garching in die Vorstadt. Da wurde gerechnet. "Aber auch heute ist das Erstellen des Geschäftsklimaindex keine Knopf-Druck-Geschichte", sagt Frau Forkl, "jetzt rechnen eben die Computer stundenlang."

An die Wand in ihrem Eckbüro haben Frau Forkl und Frau Hauke einen Kalender gepinnt. Sie haben ihre Arbeit exakt nach der Entstehung des Ifo-Index ausgerichtet. In den Urlaub können die Damen nur in den ersten beiden Wochen des Monats, denn in der dritten Woche ist ja Annahmeschluss für die Umfrage. Da rufen Frau Forkl und Frau Hauke dann noch jene Unternehmer an, die nicht geantwortet haben.

Wichtiger Indikator

Am Montag darauf wird der Geschäftsklimaindex dann veröffentlicht. Keiner kennt die Zahlen am Vortag. Auch nicht der Ifo-Präsident, den sie hier alle nur "den Sinn" nennen. Würden die Daten vorher nach außen dringen, würde sein Institut gegen das Gesetz verstoßen. Denn der Index ist börsenrelevant, er bewegt Kurse und Währungen. Kennt man die Zahlen vorher, könnte man das ausnutzen, und beispielsweise auf fallende Kurse bestimmter Branchen spekulieren.

Der Ifo-Index nützt nicht nur Mittelständlern wie dem Schmierstoff-Fabrikanten Wentzler, auch die großen Dax-Konzerne füllen den Fragebogen aus. Und an den Börsen ist er ein wichtiger Indikator für die Frage, wie es der deutschen Wirtschaft wirklich geht. Ob Chefvolkswirte oder Analysten, sie alle ziehen Schlüsse aus dem Münchner Index für ihre eigenen Konjunkturprognosen.

Immer montags, viertel vor acht, bekommt Herr Abberger die Daten als Erster. Er prüft nochmal, ob alles plausibel ist, beim Hochbau, Tiefbau oder bei der Mineralölindustrie. Dann geht er hinüber ins Büro von Frau Forkl und Frau Hauke. Die beiden Damen müssen aufpassen, dass Herr Abberger den Raum ja nicht verlässt. "Nicht mal aufs Klo darf er gehen", sagt Frau Forkl, "es gilt absolute Geheimhaltung". Also setzt sich Herr Abberger an ihren Computer und tippt einen Entwurf für die Pressemitteilung. Druckt ihn aus, nimmt ihn mit.

Es ist viertel vor neun, als Herr Abberger im Meeting Room, Vordergebäude, gleich neben dem Präsidentenbüro, eintrifft. In der Mitte des Raumes steht ein runder Holztisch, darüber hängt ein schwerer Kristall-Luster. Da sitzen sie dann: Herr Abberger, der Statistiker, Herr Sinn, der Präsident, zwei weitere Professoren und Frau Marquardt von der Pressestelle. Sie begutachten die vielen Zahlen und die bunten Kurven. Sie sehen, wie es da draußen bestellt ist, um Arbeit, Lohn und Stimmung im Land.

Eine Stunde wägen sie jedes Ergebnis ab. Sie interpretieren und sie kommentieren. Sie feilschen um Worte. Nur nicht zu viel Hoffnung in die Sätze packen. "Wir dürfen nicht zu sehr auf die Pauke hauen", mahnt Herr Sinn, der Präsident. Deshalb wird er später auch von keinem "Hoffnungsschimmer" reden, sondern lieber eine "Abschwächung der Abwärtsbewegung konstatieren".

"Der Ifo-Index bewegt alle"

Punkt zehn Uhr gibt es dann eine Telefonkonferenz. Frau Marquardt von der Pressestelle teilt den Nachrichtenagenturen den Stand des Geschäftsklimaindex mit. Wenn das Ergebnis besonders überrascht, kommen Reporter in den Garten der Villa. Herr Sinn, der Präsident, sagt dann gerne Sätze wie diesen: "Der Ifo-Index bewegt alle." Und dann sagt er, was alles anders werden sollte im Land. Zum Beispiel, dass die Banken eine viel höhere Eigenkapitalquote haben müssten.

Es gab Zeiten, da saß Herr Sinn jede Woche in einer Talkshow. Viele haben ihn dafür kritisiert, als plappernden Professor, der sich selbst am liebsten zuhört. Musste das denn sein? Es musste, sagt Herr Sinn, sonst werde man nicht gehört.

Der Ökonom will vor allem eines: die Deutungshoheit, wie er sagt. Er will das Geschäft der Meinungsführer nicht denen überlassen, die in seinen Augen zu viel moralisieren. Herr Sinn will nicht weniger, als das Land verändern. Manchmal gelingt ihm das auch. 2002 entwickelte sein Institut das Konzept der "aktivierenden Sozialhilfe". In einem Zeitungsartikel schrieb der Professor damals, die Reform müsste eigentlich den Namen seines Instituts tragen, denn sie basiere auf Ifo-Ideen. Wahrscheinlich meinte er das nicht ganz ernst, er liebt es eben, zu polarisieren. Und eigentlich kann er ja froh sein, dass die Arbeitsmarktreform Hartz IV heißt, und nicht Ifo IV.

Knackige Kommentare

Bei der Entstehung des Ifo-Index hat Herr Sinn jedenfalls nicht viel zu tun. Aber ohne ihn bekämen die Daten wohl nicht so große Schlagzeilen. Der Präsident ist es, der die Umfrage zur Nachricht macht, und diese, garniert mit knackigen Kommentaren, verkauft.

All das bringt dem Ifo-Institut Gehör. Und Geld. Denn die Forscher exportieren ihren Index. Nach China, Russland, Taiwan beispielsweise. Beim Aufbau der Umfragen hat Herr Abberger die Länder beraten. Zuletzt war er in Kasachstan, und hat Statistikern dort gezeigt, wie man Indikatoren konstruiert. Und welche Fragen sinnvoll sind, oder nicht. "Ob die Kreditvergabe der Banken restriktiv ist, will in Kasachstan keiner wissen. Die wollen wissen, ob sie überhaupt Kredite bekommen", sagt er.

Und dann erzählt er von einer Anfrage aus Hongkong, irgendjemand wolle da Ifo-Daten kaufen. Muss er mal prüfen. Hat aber Zeit, schließlich ist Freitag, und da muss Herr Abberger schauen, dass hier in München alles glatt läuft. Denn am Montag erscheint er wieder, der Ifo-Index. Und dann erfahren alle, wie es da draußen bestellt ist, um Arbeit, Lohn und Stimmung im Land.

© SZ vom 20.06.2009/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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