IT-Messe Cebit:Neustart in Hannover

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Auf der Cebit 2014 tanzten die Roboter noch an der Stange. (Foto: John MacDougall/AFP)

Jahrzehntelang war die Cebit Leitmesse für die Tech-Branche, dann verlor sie zusehends an Bedeutung. Jetzt versucht sie ein Comeback - mit dem Fokus auf digitale Trends und der Einbindung der Stadtbewohner.

Von Katharina Kutsche, Hannover

Keine Besucher heute, heißt es vor dem Neuen Rathaus. Der schlossähnliche Bau, Wahrzeichen Hannovers, ist gesperrt. Nur Mitarbeiter der Stadtverwaltung und ein ausgewählter Kreis an Presse- und Unternehmensvertretern dürfen in die Haupthalle von 1913 treten. Dort stehen auf der Festtreppe fünf weiße Buchstaben und drei Männer in dunklen Anzügen: Messe-Vorstand Oliver Frese, Oberbürgermeister Stefan Schostok und Achim Berg, Präsident des Digitalverbands Bitkom. Sie posieren vor dem Namen einer Veranstaltung, deren Bedeutung für die Landeshauptstadt immens ist: C-E-B-I-T.

Bei der Vorschau, die die Deutsche Messe AG an jenem Dienstag Mitte Mai bietet, beschwören die Redner ihre Verbundenheit. "Die Cebit und Hannover sind zwei Seiten einer Medaille", sagt Schostok. Und Frese betont, als man das Konzept für die IT-Schau überarbeitet habe, sei von vornherein klar gewesen: Die Cebit bleibt hier. Aber muss man für eine Preview-Veranstaltung mit rund 100 Teilnehmern ein Gebäude sperren, das sonst von jährlich 100 000 Touristen und Einwohnern besucht wird?

Die Szene im Rathaus steht sinnbildlich für das, was bei der Cebit zuletzt schief lief. Geringe Besucherzahlen, es wurde wenig Neues präsentiert, und man blieb unter sich. Das soll nun anders werden. Die Cebit, die erstmals nicht im Frühjahr stattfindet, sondern an diesem Montag im Juni beginnt, will keine Messe mehr sein, sondern "Europas Business-Festival für Innovation und Digitalisierung".

Statt wie früher sieben Tage dauert die Messe nur noch vom "Take-off-Monday" bis zum "Digital Friday". Der Auftakt am Montag ist ein reiner Konferenztag mit Vorträgen von Prominenten wie Virtual Reality-Pionier und Social-Media-Kritiker Jaron Lanier und Gründerin Auma Obama. Bei der "Welcome Night" am Abend spricht IBM-Chefin Ginny Rometty. Erst am Dienstag startet der eigentliche Betrieb in den Hallen. Dann geht es nicht mehr nur um Geschäftsabschlüsse, sondern ums Netzwerken, Inspirieren, Erklären. Für den Festivalcharakter sorgen etwa Konzerte von Mando Diao und Jan Delay sowie ein 60 Meter hohes Riesenrad, das der Software-Konzern und Cebit-Premium-Partner SAP aufgebaut hat. Inhaltlich werden die Trendthemen Künstliche Intelligenz, Blockchain, Internet der Dinge, Robotik und der neue Mobilfunk-Standard 5G behandelt.

In diesem Jahr eröffnet Wirtschaftsminister Altmaier, die Kanzlerin kommt nicht

Ein neues Konzept für die Ausstellung war dringend nötig. Traditionell eröffnete der amtierende Bundeskanzler die Cebit, gemeinsam mit dem Regierungschef des jeweiligen Partnerlandes - 2017 waren das Angela Merkel und Japans Premier Shinzo Abe. In diesem Jahr eröffnet Wirtschaftsminister Peter Altmaier, die Kanzlerin kommt nicht. Partnerland gibt es auch keines mehr. Unternehmen wie die Telekom verzichten auf einen Stand. Zuletzt sahen sich nur etwa 200 000 Besucher an, was 3000 Aussteller präsentierten.

In den goldenen Zeiten der Cebit sah das anders aus. Das "Centrum der Büro- und Informationstechnik" war ursprünglich nur in einer Halle während der Hannover Messe vertreten. 1986 spaltete es sich ab und wurde zur eigenständigen Messe. Aussteller- und Besucherzahlen stiegen rasch, zu Anfang des neuen Jahrtausends kamen mehr als 800 000 Menschen. Rund 7500 Aussteller nutzten die Messe, um ihre neuesten Produkte zu präsentieren. 1995 stellte Bill Gates die Software Windows 95 auf der Cebit vor, fünf Jahr später war dort die Deutschlandpremiere von Windows 2000. Am 24. Februar 2000 machte die Süddeutsche Zeitung ihre Ausgabe mit der Eröffnung der Messe auf und zitierte auf dem Titel den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder: "Alle müssen ins Internet". Im Mittelpunkt der Messe stand "die Wandlung der Handys vom Telefon zum mobilen Allzweckgerät", so die Autoren.

Für Unternehmen aus der IT-Branche war die Cebit lange eine Pflichtveranstaltung. Sicher, der Aufwand war groß, die Standmiete hoch, die Partys nach Torschluss waren legendär. Doch wenn die Konkurrenz auf der Messe vertreten war, konnte man es sich nicht leisten, wegzubleiben. Als Hannoveraner trug man sich den Cebit-Termin in warnendem Rot in den Kalender ein. Staus im Berufsverkehr, Geschäfte und Restaurants überlaufen - die Stadt war fest in der Hand von Messegästen.

Lange lebte die Cebit von ihrem Ruf als weltgrößte IT-Messe, trotz Besucherschwund. Das ist für Hannover auch wirtschaftlich von Bedeutung: Die Deutsche Messe AG als Veranstalterin gehört zu gleichen Teilen der Landeshauptstadt und dem Land Niedersachsen. Zuletzt beeinträchtigte die Cebit höchstens noch den Straßenverkehr, in der Stadt sonst war sie kaum wahrnehmbar. Junge Leute, die Start-up-Szene etwa, erreichte sie kaum, hohe Ticketpreise schreckten Interessierte ab. Vor allem aber: Technik ist nicht nur was für Nerds oder Experten, sondern bestimmt das gesellschaftliche Miteinander wie nie zuvor. Als Veranstalter kann man es sich nicht mehr leisten, diejenigen außen vor zu lassen, die die Folgen der Digitalisierung am meisten treffen.

In der Stadtmitte kann man im Live-Stream verfolgen, was auf dem Messegelände stattfindet

Während man in Niedersachsen nur zögerlich am Konzept arbeitete, waren andere globale Veranstaltungen besser und cooler. Alles rund um Mobilfunk und Endgeräte gibt es auf dem Mobile World Congress in Barcelona, Unterhaltungselektronik auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas. Außerdem halten viele Hersteller Hausmessen ab, bei denen sie neue Modelle mit viel Pomp präsentieren und selbst Themen setzen können. Und Digitales in Form von Festivals und Konferenzen bietet die South by Southwest in Austin, Texas.

Spannend am neuen Konzept ist daher, dass Hannover diesmal Teil der Cebit ist. In der Stadtmitte am Kröpcke können Interessierte im Live-Stream verfolgen, was auf dem zehn Kilometer entfernten Messegelände stattfindet. Es gibt ein Straßencafé mit 250 Plätzen und einen "digitalen Kaffeeklatsch", bei dem Talk-Gäste über Digitales im Alltag sprechen. Dort findet am Digital Friday auch die Open-Air-Abschlussparty statt. Das dürfte diejenigen besänftigen, denen der Preis von stolzen 100 Euro für das Messe-Tagesticket zu hoch ist.

Wird die Cebit so wieder Leitmesse für die IT-Branche? Eher unwahrscheinlich. Wichtiger ist, dass das neue Konzept ankommt, die Cebit sich erholt und als digitale Pflichtveranstaltung in den Köpfen und Kalendern von Entscheidern bleibt. So appelliert Bitkom-Präsident Berg bei der Preview, man möge der neuen Cebit eine Chance geben, damit sie sich bewähren kann. Allein: Von einer Handvoll Menschen im Rathaus wird das nicht abhängen.

© SZ vom 11.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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