IT-Dienstleister:Groß, erfolgreich - und gefährdet

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Das Softwareunternehmen MSG aus Ismaning entwickelt seit 40 Jahren IT-Programme für Versicherer. Nun muss die Firma in einem Markt klarkommen, der sich stark verändert - und viele neue Konkurrenten hervorbringt.

Von Herbert Fromme, Ismaning

In der Finanzwirtschaft gibt es viele junge IT-Unternehmen mit zehn oder 20 Mitarbeitern, die außer einer guten Idee wenig zu bieten haben. Aber sie brauchen Millionen Euro Investorengelder und müssen entsprechend viel Lärm machen. Das Softwareunternehmen MSG Systems in Ismaning bei München wirkt wie das Gegenmodell. Groß, solide, fast 40 Jahre im Markt, 812 Millionen Euro Umsatz und 6500 Mitarbeiter weltweit.

Der rasante Umbau, den die Digitalisierung in der gesamten Wirtschaft mit sich bringt, macht aber auch vor erfolgsverwöhnten Spezialisten wie MSG nicht halt. Wer traditionelle IT-Systeme entwickeln kann, ist nicht automatisch auch bei der Digitalisierung gut. Deshalb muss MSG umdenken, sagt der 63-jährige Konzernchef Hans Zehetmaier. "Der größte Fehler wäre, wenn wir so weitermachen wie bisher und uns nicht der Digitalisierung verschreiben", sagt er.

Das Unternehmen aus Ismaning ist weltweit einer der größten IT-Anbieter für Rückversicherer

MSG hat seine Wurzeln in der Entwicklung von Programmen für Versicherer, jetzt arbeitet die Firma auch für Banken, Logistikfirmen, die Autoindustrie und andere Branchen. Die Versicherung dominiert aber mit 55 Prozent den Umsatz. Weltweit ist die Firma zusammen mit SAP größter Anbieter von Spezialprogrammen für Rückversicherer. Bei deutschen Lebensversicherern hat die Tochter MSG Life mit weitem Abstand die Marktführerschaft. Aber das reicht jetzt nicht mehr. Die Digitalisierung hat auch die Versicherer im Griff - und MSG muss sich neu positionieren.

Lange hielt sich Zehetmaier zurück mit öffentlichen Äußerungen. Warum sollte er auch reden? Die Kunden kennen ihn. Und einen Börsengang schließt er aus. "Man braucht die Börse zur Kapitalbeschaffung, und diese Notwendigkeit haben wir nicht." Im Gegenteil: Die Tochtergesellschaft MSG Life, die bislang notiert war, ist gerade von der Börse gegangen. "Wir können langfristig 100 Prozent im Familienbesitz halten", sagt Zehetmaier mit Blick auf die Familien der drei Gründer.

Dass sich der Chef nach vielen Jahren der Zurückhaltung jetzt doch äußert, hat nichts mit dem Kapitalmarkt zu tun, aber viel mit dem neuen Umfeld. Er hat Wachstumsziele, die alles andere als bescheiden sind: Bis 2020 will MSG die Milliardengrenze beim Umsatz überschreiten. Das Unternehmen hat gerade 1100 Programmierer und weitere Experten eingestellt. Das bedeutet mehr als 700 neue Arbeitsplätze, wenn man die Fluktuation einrechnet.

Ein Selbstläufer ist das nicht mit dem Zuwachs, weiß Zehetmaier. Denn MSG will in einem Markt zulegen, der sich stark wandelt und in dem auch sehr plötzlich neue Konkurrenten auftauchen. Grund: Die Versicherer verändern gerade fundamental ihre Strategie. Der Wettbewerb unter den IT-Anbietern wird härter. Und neue Möglichkeiten wie Cloud-Lösungen und die Nutzung von Fremdsoftware machen Druck. In einem Umfeld, das sich so verändert, muss auch der Marktführer seine Strategie erklären, um Kunden und Mitarbeiter zu gewinnen und zu motivieren.

Jahrzehnte lang haben die meisten deutschen Versicherer ihre Programme in der eigenen IT-Abteilung geschrieben oder speziell für sich schreiben lassen. Das wird künftig anders sein - die Kosten für die neue Software-Generation, die als Basis für die Digitalisierung gebraucht wird, sind einfach zu hoch. Ein neues IT-System für einen mittelgroßen Versicherer kostet leicht mehr als 100 Millionen Euro.

"Die Versicherer geben mehr und mehr den Gedanken der individuellen Entwicklung ihrer Software auf", sagt Zehetmaier. "Die Zukunft liegt bei Standardlösungen, und da, wenn irgend möglich, bei Plattformstrategien." Damit meint er Plattformen, über die Versicherer ihre unterschiedlichsten Angebote verwalten. "Damit kann man schrittweise die Kosten für die IT und die Betriebskosten senken." Zehetmaier kann sich sogar vorstellen, dass Versicherer überhaupt keine eigene IT mehr vorhalten, sondern Programme und Cloudspeicher von Dritten mieten.

Der Trend zur Standardsoftware ist eine Riesenchance für MSG. Und bei den Programmen für Lebens- und Rückversicherer ist die Firma auch ziemlich weit vorne. Aber in der Schadenversicherung, in der es um Autos, Gebäude, Unfall- und Haftpflichtrisiken geht, hinken die Ismaninger hinterher. "Wir mussten uns vor drei Jahren entscheiden, bis dahin entwickelte Lösungen über Bord zu werfen und ein neues Programmpaket zu entwickeln."

So eine Entscheidung tut weh, Millioneninvestitionen sind plötzlich wertlos. Jetzt ist das neue Produkt fertig und wird von dem ersten Versicherer genutzt. Viel hängt davon ab, wie es ankommt. Damit sich die teure Entwicklung rentiert, braucht Zehetmaier mindestens zehn Anwender. Und er ist nicht allein im Markt: Der US-Anbieter Guidewire hat eine Reihe von Gesellschaften hierzulande gewonnen und will seine Position ausbauen. Sein Kerngeschäft ist die Schadenversicherung - wo MSG jetzt erst handlungsfähig ist. Und einheimische Konkurrenten wie Adesso kämpfen auch um Marktanteile. "Wir sind hier in einem harten Wettbewerb."

Das ganze geschieht im Umfeld der Digitalisierung. "Wir müssen die Kunden unbedingt in Richtung digitalem Umbau begleiten", sagt Zehetmaier. Das ist für ein großes Unternehmen, das bislang vor allem traditionelle Software entwickelt hat, kein kleiner Schritt. Dabei geht es vor allem darum, wie die Versicherer ihre Kunden begleiten können - vom Vertragsabschluss, der auch online möglich sein muss, über die Unterstützung in Alltagssituationen bei Gesundheit und Mobilität bis zur automatisierten und raschen Schadenbearbeitung. Alles muss online und einfach sein, Amazon ist der Maßstab.

Dafür brauchen die Versicherer gute Programme. Auch hier ist MSG nicht allein im Markt. Manches kleine Start-up hat tolle Projekte, die sich Versicherungschefs gerne ansehen. Der MSG-Chef weiß: Damit sein Unternehmen weiter ein führender Softwarelieferant bleiben kann, ist das Beherrschen der Digitalisierung entscheidend. Deshalb die vielen Neuentwicklungen, deshalb die 700 zusätzlichen Stellen. In den vergangenen Jahren habe MSG bewusst die Umsatzrendite um ein bis zwei Prozentpunkte reduziert und das Geld in die Entwicklung von Digitalisierungslösungen gesteckt, sagt Zehetmaier. Für einen Gewinn von mehr als 50 Millionen Euro vor Steuern im Jahr 2016 hat es noch gereicht.

© SZ vom 19.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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