Israels Wirtschaft:Digitaler Goldrausch

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Dank des Erfindungsreichtums seiner Bürger und konsequenter Privatisierungen erlebt das rohstoffarme Israel einen Wirtschaftsboom - doch die soziale Ungleichheit wächst.

Thorsten Schmitz, Tel Aviv

Israel hat sich selbst zum 60. Geburtstag das schönste Geschenk gemacht: Seine Wirtschaft floriert trotz Libanonkrieg, Selbstmordattentaten und Kurzstreckenraketen aus dem Gaza-Streifen mehr denn je. Die Arbeitslosenquote ist mit 7,3 Prozent so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigt jedes Jahr, im vergangenen um insgesamt 5,3 Prozent.

Digitalisierte Wirtschaftsmacht: Neben seinen Militärexporten profitiert Israel von seiner hohen Dichte am High-Tec-Unternehmen. (Foto: Foto: dpa)

Das BIP pro Kopf beträgt 20.800 US-Dollar (in Deutschland sind es 30.150 Dollar). Die israelische Währung, der Schekel, hat gegenüber dem Dollar an Wert gewonnen, im vergangenen Jahr war ein Dollar noch 4,20 Schekel wert, heute nur noch 3,50 Schekel. Zu der positiven Wirtschaftsentwicklung gesellt sich ein Run auf Immobilien und Grundstücke in den großen Städten Tel Aviv und Jerusalem.

Bürokratie wurde zurückgedrängt

Die Preise haben Manhattan-Niveau erreicht, und in diesem Jahr erwartet das israelische Tourismusministerium mehr Besucher als im Jahr 2000, als der Papst ins Heilige Land reiste und einen Großteil der damals 2,7 Millionen Besucher anlockte.Das Tourismusministerium will nun eine Aufhebung des Nachtflugverbots auf dem einzigen internationalen Flughafen Ben-Gurion bei Tel Aviv erreichen, um dem Touristenansturm Herr zu werden.

In den neunziger Jahren war Israels Wirtschaft noch vom Staat dominiert, ein Erbe der Gründergeneration, die in sozialistisch organisierten Gemeinschaftsdörfern (Kibbuzim) das Land aufbaute. Eine neoliberale Wirtschaftspolitik hat im vergangenen Jahrzehnt die Bürokratie zurückgedrängt, Staatsbetriebe wie die Fluggesellschaft El Al etwa wurden privatisiert und die streng regulierte Wirtschaft musste sich auf dem globalen Markt behaupten.

Mit durchschlagendem Erfolg. Israel, in dem nur etwa sieben Millionen Menschen leben, rangiert im Index "Weltweiter Wettbewerb" des Weltwirtschaftsforums auf dem beachtlichen 18. Platz von insgesamt 131 Ländern. Das ressourcenarme Israel liegt damit noch vor den ölreichen Vereinigten Arabischen Emiraten, die vom WEF im vergangenen Jahr auf Platz 29 eingestuft wurden.

Tüftlerland Israel

Israel exportiert vor allem Rüstung ins Ausland, aber auch landwirtschaftliche Güter wie Avocados, Tomaten und Erdbeeren. Zweistellige Zuwachsraten verzeichnete der Export von Bio-Obst und -Gemüse aus Israel. Den Boom hat Israel aber vor allem seinen Computerfreaks und seiner High-Tech-Industrie zu verdanken. Die meisten Unternehmen, die an der Nasdaq-Börse in New York registriert sind, stammen - nach den USA und Kanada- aus Israel. Notenbankchef Stanley Fischer betrachtet Israel als "Teil der globalen Ökonomie". Fischer führt derzeit Beitrittsverhandlungen mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Die jüdische Nation besitzt, gemessen an ihrer Bevölkerungszahl, die weltweit meisten Ingenieure und Naturwissenschaftler. In der Software-Entwicklung steht Israel auf Platz zwei nach den Vereinigten Staaten. Israel ist Tüftlerland: Aus dem jungen Staat kommen bahnbrechende Erfindungen wie der USB-Stick oder die Internetkommunikationsplattform ICQ, die vor ein paar Jahren von AOL für mehrere hundert Millionen US-Dollar aufgekauft wurde.

Israel hat auch einen guten Ruf wegen seiner vielen Informations-, Kommunikations- und Biotechnologiefirmen. Mehr als 110 ausländische Firmen beschäftigen in Forschungslabors mehr als 37.000 Menschen, darunter die Firmen SAP, Cisco, Intel und HP. Der digitale Goldrausch hat Israel im Volksmund zu einem Spitznamen verholfen: "Silicon Wadi".

Sozialleistungen wurden gekürzt

Trotz des Booms steht die Regierung vor ökonomischen Herausforderungen. Nach Angaben der israelischen Handelskammer haben in den vergangenen sieben Jahren mehr als 25.000 High-Tech-Spezialisten das Land verlassen und bei Firmen in den USA oder in Europa angeheuert. Ein Grund für die Abwanderung sind die Kürzungen der Budgets für Forschung und Entwicklung. Zudem kommt Aufschwung nicht bei allen an.

Seit ein paar Jahren gibt es ein bislang nicht da gewesenes Phänomen: Bettler in den Straßen von Tel Aviv, Haifa und Jerusalem. Jedes dritte Kind in Israel lebt unterhalb der Armutsgrenze. Im Zuge der Privatisierungen haben die Regierungen die Sozialleistungen erheblich gekürzt.

Der Wohlstand ist auch geographisch ungleich verteilt. Im Großraum Tel Aviv siedeln sich immer mehr High-Tech-Firmen an und wachsen Hochhäuser in den Himmel. Im strukturschwachen Süden und Norden des Landes dagegen müssen Suppenküchen eröffnet werden. Staatliche Gelder fließen in den Grenzregionen zum Gaza-Streifen und zu Libanon eher in den Ausbau von Bunkern und Raketenschutzschilden.

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