Interview mit Matthias Wissmann:"Der Bürger muss bezahlen"

Lesezeit: 6 min

Matthias Wissmann über seinen Wechsel aus der Politik an die Spitze eines der mächtigsten Lobbyverbände Deutschlands, die Kosten für den Klimaschutz - und seine Bang & Olufsen-Radioanlage.

Michael Kuntz

Sein Büro in Berlin. Villa in Dahlem, um die Ecke der Platz am Wilden Eber. Erste Etage. Matthias Wissmann sitzt auf einem von vier dunklen Ledersesseln. Im Regal ein Modell des legendären Mercedes 300SL aus den 50er Jahren, der mit den Flügeltüren. Wissmann macht sie mal kurz auf.

Matthias Wissmann: "Ich bin kein engstirniger Interessenvertreter." (Foto: Foto: dpa)

In der klassischen blau-grauen Kombination sieht er aus wie der Präsident des Verbandes der Deutschen Autoindustrie. Seit Anfang Juni ist er das auch. Nach vier Jahrzehnten in der Politik ist Wissmann einer der mächtigsten Lobbyisten der Bundesrepublik.

SZ: Herr Wissmann, Ihre Biographie ist ein Stück gelebte Mobilität. Sie waren Vorsitzender der Jungen Union, Bundesminister, sind jetzt Autopräsident - haben Sie Ihr Ziel erreicht?

Wissmann: Also es war kein Amt, das ich langfristig angestrebt habe, aber es ist eine schöne Aufgabe. Ich habe nicht vor, nach neuen Ämtern zu suchen. Ich bin mit dieser Aufgabe sehr glücklich.

SZ: Ältere politisch interessierte Menschen erinnern sich an Sie vor allem als Berufsjugendlichen in der CDU.

Wissmann: Ja, ich war zehn Jahre Bundesvorsitzender der Jungen Union. Von 1973 bis 1983 haben wir die Mitgliederzahl praktisch verdoppelt und einen Teil der Basis dafür gelegt, dass dann später die Union regierungsfähig wurde. Viele der Leute aus der Jungen Union von damals sind heute als Ministerpräsidenten oder in Regierungen unterwegs. Es war eine prägende Zeit.

SZ: In Berlin sagen viele, seit Friedrich Merz und Matthias Wissmann weg sind, hat die CDU keine richtigen Wirtschaftspolitiker mehr.

Wissmann: Das ist ein zu schnelles Urteil. Man muss jetzt einfach jüngeren Leuten in der Union Chancen geben, sich zu profilieren. Klar ist, dass alle großen Parteien profilierte wirtschaftspolitische Stimmen brauchen und dass wir davon kein Übermaß haben.

SZ: Mehr junge Menschen in die Politik?

Wissmann: Ja, und die Parteien müssten offener sein, modernere Formen finden und nicht im Hinterzimmer des Gasthofes Ochsen glauben, dass junge Frauen von einer solchen Veranstaltung besonders begeistert wären. Die Formen müssen moderner werden, die Offenheit muss größer werden.

SZ: Ist der Öffentliche Dienst zu stark vertreten in den Parteien?

Wissmann: Ja klar. In den letzten dreißig, vierzig Jahren ist die Tendenz zum Wechsel in die Politik aus freien Berufen und aus Funktionen der Wirtschaft immer geringer geworden. Damit wird die Rekrutierung für die Politik einseitiger. Das macht die Politik nicht besser.

SZ: Nun haben Sie ja den Schritt in die Gegenrichtung getan. Sind Sie verärgert, wenn man Sie einen Lobbyisten nennt?

Wissmann: Nein. Aber ich bin kein engstirniger Interessenvertreter, der das Allgemeinwohl über der Interessenvertretung vergisst. VDA-Präsident zu sein ist nicht nur eine lobbyistische Aufgabe, sondern auch eine strategische. Und dann ist der VDA ein ziemlich erfolgreicher Unternehmer, weil er die beiden weltweit bedeutendsten Messen ihrer Art für Pkw und Nutzfahrzeuge veranstaltet. Diese Mischung von Aufgaben finde ich unglaublich faszinierend.

SZ: Als Lobbyist verdienen Sie bestimmt gut.

Wissmann: Das tue ich - und das freut den Schwaben in mir.

SZ: Was war Ihre erste Arbeit für Geld?

Wissmann: Artikel über Hockey für die Ludwigsburger Kreiszeitung geschrieben zu haben für ein Zeilenhonorar, an das ich mich gar nicht mehr erinnere. Ich weiß nur, dass ich, wenn der Artikel erschienen ist, die Zeilen nachgezählt habe, um zu wissen, welche Ergänzung zu meinem Taschengeld ich als 16-Jähriger am Ende des Monats erwarten konnte.

SZ: Haben Sie einmal hart gearbeitet, ohne Geld dafür zu bekommen?

Wissmann: Ja, zum Beispiel als ich mit Elmar Pieroth eine Hilfsorganisation gegründet habe für vietnamesische Flüchtlinge. Das war eine menschlich sehr bewegende Aufgabe.

SZ: Frage an den Rechtsanwalt: Ist die Autoindustrie ein interessanter Fall?

Wissmann: Sie ist aber kein Sanierungsfall. Sondern sie ist erfreulicherweise eine blühende, den Standort Deutschland herausragend kennzeichnende Industrie. Was den Beitrag zur deutschen Wertschöpfung angeht, ist sie die bedeutendste Industrie. Sie hat einen Weltmarktanteil, auf den man stolz sein kann. Vor kurzem habe ich in einem Ranking des britischen Verkehrsministeriums gelesen, dass die deutsche Automobilindustrie in acht von 14 Bereichen auch in Sachen Umwelt, Kohlendioxid-Emissionen und Verbrauch vorne liegt, dann muss ich sagen: Es ist eine Industrie, die auch ein paar Probleme hat, die aber insgesamt hervorragend dasteht.

SZ: Ein Problem ist der Verband?

Wissmann: Manchmal wird auch manches auf Funktionäre abgeschoben, was nicht berechtigt ist. Klar ist, dass man heute als jemand, der die Autoindustrie stark halten will, mit einem sehr sensiblen Umweltbewusstsein unterwegs sein muss. Die Autoindustrie trägt eine besondere Verantwortung dafür, dass wir mit dem Thema des Klimawandels angemessen fertigwerden. Wir müssen einen großen Beitrag leisten zur Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen und entsprechend handeln.

SZ: Zum Beispiel?

Wissmann: Ich freue mich natürlich, wenn ich einen Autotest lese, bei dem der BMW 120d seinen Kollegen aus dem großen japanischen Konzern in allen Belangen von Kohlendioxid-Emission und Verbrauch weit überlegen war.

SZ: Der Verband hat als Frühwarnsystem für politische Entwicklungen in Berlin und Brüssel versagt?

Wissmann: Nein, er hat nicht versagt. Aber nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden kann. Wir haben seit 1990 den durchschnittlichen Verbrauch deutscher Autos reduziert, die Kohlendioxid-Emissionen um zwölf Prozent. Aber wir müssen noch besser werden. Bei der Messe IAA werden wir ein Feuerwerk erleben von neuen Ideen für weniger Verbrauch, für weniger Kohlendioxid-Emissionen, weniger Stickoxide.

So möchte ich die deutsche Autoindustrie auch öffentlich im Bewusstsein haben als eine Industrie, die technisch ungewöhnlich stark ist, die weltweit führend ist, die aber genauso ihre Umweltverantwortung wahrnimmt, weil sie damit auch auf dem Weltmarkt Erfolg hat. Bei hohen Benzin- und Dieselpreisen wird ein verbrauchsgünstiges Auto größere Erfolge haben als ein Auto, das viel verbraucht und damit auch hohe Kohlendioxid-Emissionen hat.

SZ: Für Politiker ist die Klimadiskussion doch ideal. Sie steigert das Ansehen und bezahlen müssen andere.

Wissmann: Es ist noch nicht so im allgemeinen Bewusstsein, dass letztlich der Bürger den entscheidenden Beitrag bringen muss. Das müssen wir in einer Marktwirtschaft auch sagen. Es gibt keine große Umweltanstrengung, die nicht am Ende durch den Bürger bezahlt werden muss. Aber was ist die Alternative? Alles so weitertreiben zu lassen und uns in eine mögliche Klimakatastrophe zu begeben? Man muss jetzt den Bürgern reinen Wein einschenken und dabei die wirtschaftliche Vernunft nicht ausschalten. Es macht keinen Sinn, ein Einheitsauto zu wollen. Oder eine Einheitsrichtlinie für Kohlendioxid, weil der Familienvan eben andere Emissionen hat als der Kleinstwagen.

SZ: Gibt es diesen Megatrend Klimaschutz überall?

Wissmann: Es gibt ihn in Deutschland, es gibt ihn in Teilen Europas, es gibt ihn in den USA. Aber noch haben wir die Länder Asiens und insbesondere die großen Nationen China und Indien nicht auf breiter Front für eine ähnliche Sensibilität gewonnen, und deshalb müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen. Aber wir müssen, wenn wir weltweit Erfolg haben wollen, die anderen mitziehen.

SZ: Wenn es in Deutschland so wäre, wie Sie sagen, dann dürften sich doch nicht so viele Leute schnelle Autos und große Geländewagen kaufen.

Wissmann: Wenn die großen Geländewagen oder die schnellen Autos, hinter denen ja ein gewisses technisches Potential steckt, bei der Reduzierung von Verbrauch und Kohlendioxid-Emissionen mit gutem Beispiel vorangehen, wie wir es erleben werden, wenn der Porsche Cayenne hybridisiert werden soll, dann kann ich damit gut leben. Dann sind sie Treiber der Innovation.

SZ: Das fällt doch kaum ins Gewicht.

Wissmann: Wenn man bei den fünfzig größten Autos die Emission von Kohlendioxid um 20 Prozent verringern würde, hätte man einen Beitrag zur Reduzierung von Kohlendioxid im Gesamtmarkt von 0,4 Prozent. Wenn man bei den fünfzig meistverkauften Autos die Emissionen um 20 Prozent reduziert, hätte man einen Beitrag von 14 Prozent Kohlendioxid-Reduktion. Die Großen müssen mehr machen als die Kleinen, aber wenn die Kleinen nicht mitmachen, dann kriegen wir keine gute Umweltbilanz.

SZ: Viele Leute können sich teuren Umweltschutz nicht leisten.

Wissmann: Ich glaube, dass es neben den Umweltbewussten eine noch viel größere Zahl von Menschen mit normalem Geldbeutel gibt, die einfach preissensibel sind. Für sie ist die Verringerung des Verbrauchs ein entscheidender Beitrag zur Entlastung ihres Geldbeutels. Es ist unser Ziel, beide Gruppen zu erreichen und damit letztlich eine bessere Umweltbilanz zu erzielen.

SZ: Angeblich kann ein Autofahrer durch eigenes Verhalten den Ausstoß an Kohlendioxid um zwanzig Prozent verringern.

Wissmann: Deswegen wollen wir als Autoindustrie nicht etwa den Raser ermutigen, sondern denjenigen, der mit seinem unterschiedlich großen Auto vernünftig umgeht.

SZ: Die ganze Welt wird Ihnen zuhören in der kommenden Woche bei der Automesse IAA in Frankfurt - für ein paar Sekunden. Was sagen Sie?

Wissmann: Dass Mobilität, die wir heute überall haben, wenn Sie an den Luftverkehr denken, auch Verantwortung bedeutet. Dass wir als Autoindustrie damit so umgehen müssen, dass auch am Ende des 21. Jahrhunderts das Auto noch allgemein gesellschaftlich akzeptiert wird. Dazu gehört, dass wir als deutsche Autoindustrie, weil wir auf der Welt technisch führend sind, eines Tages ein Auto auf den Markt bringen, das nahezu null Emissionen hat.

SZ: .... und sich doch bewegt.

Wissmann: Das sich bewegt. Das sich erfolgreich und auch zügig bewegt.

SZ: In was für einem Auto werden Sie gefahren?

Wissmann: In allen Autos der verschiedenen Hersteller in Deutschland.

SZ: Zurzeit?

Wissmann: Ich bin jetzt mit einem VW Phaeton unterwegs. Privat fahre ich zurzeit einen Audi A5 Diesel, mein erster Diesel. Daran merke ich, was der Diesel kann in Bezug auf Kohlendioxid-Emissionen und einen niedrigen Verbrauch.

SZ: Was ist das ausgefallenste Extra in Ihrem Audi?

Wissmann: Die tolle Bang & Olufsen-Radioanlage.

SZ: Lassen Sie es manchmal richtig krachen beim Autofahren?

Wissmann: Ich fahre gern zügig, aber ich bin kein Raser. Oberhalb einer bestimmten Grenze, das habe ich gerade bei der Urlaubsfahrt gedacht, dann ist für mich der Stress zu groß. Da habe ich dann keinen Lustgewinn mehr.

© SZ vom 08.09.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: