Interview mit Edmund Phelps:"Ich bin schon länger pessimistisch"

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Der Wirtschafts-Nobelpreisträger über Globalisierungsverlierer, den fehlenden Wettbewerbsgeist in Europa und das Wirken von Hedge-Fonds

Claus Hulverscheidt

Edmund Phelps, 74, lehrt seit 36 Jahren an der New Yorker Columbia University. 2006 erhielt er den Wirtschafts-Nobelpreis, unter anderem für Forschungen, wie sich die Zeit auf wirtschaftliche Zusammenhänge auswirkt. Phelps hält sich auf Einladung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in Deutschland auf.

Edmund Phelps: Das Problem ist, dass der Abstand zwischen Niedrig- und Durchschnittslöhnen wächst. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Phelps, sind die Arbeitnehmer in den Industrieländern Gewinner oder Verlierer der Globalisierung?

Edmund Phelps: Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Es gibt sicher Verlierer, weil der Druck auf die Löhne gestiegen ist oder die Fertigung ins Ausland verlegt wurde. Es gibt aber auch Gewinner, etwa die, deren Arbeitsplätze wieder sicher sind, weil ihr Unternehmen neue Märkte in den aufstrebenden Schwellenländern erschlossen hat.

SZ: Immer mehr Menschen reicht ihr Einkommen trotz Vollzeitjob nicht zum Leben. Was soll die Regierung tun?

Phelps: Am erfolgversprechendsten sind meines Erachtens Kombilöhne, bei denen der Staat das Gehalt eines Niedrigverdieners von vielleicht fünf Euro pro Stunde auf neun oder zehn Euro aufstockt. Das schafft zusätzliche Arbeit und erhöht so irgendwann das generelle Lohnniveau, weil es für die Firmen schwerer wird, gute Leute zu finden.

SZ: Besteht nicht dennoch die Gefahr, dass die Unternehmen die Löhne immer weiter senken, weil sie ja wissen, dass der Staat für den Rest aufkommt?

Phelps: Die Gefahr besteht. Es gibt aber durch die Ausgestaltung des Kombilohnmodells Möglichkeiten, dies zu verhindern. Zudem wirken die von mir beschriebenen wirtschaftlichen Faktoren.

SZ: Die Gewerkschaften und einige politische Parteien plädieren für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns.

Phelps: Das wäre eindeutig ein Fehler. Für die Unternehmen stiegen die Kosten, es würde sich also nicht mehr lohnen, Geringqualifizierte einzustellen. Der Unterschied zwischen Kombi- und Mindestlöhnen ist: Kombilöhne schaffen Arbeitsplätze, Mindestlöhne vernichten sie.

SZ: Wird der Unterschied zwischen Besser- und Geringverdienern in den kommenden Jahrzehnten immer größer?

Phelps: Tendenziell ja - wobei das Problem nicht die Differenz zwischen Mini- und Spitzenlohn ist. Das Problem ist eher, dass der Abstand zwischen Niedrig- und Durchschnittslöhnen wächst.

SZ: Sorgen Sie sich wegen der wachsenden Lohnspreizung um den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaften?

Phelps: Das ist kein Grund zum Jubeln, aber auch keine Katastrophe. China beispielsweise wird in zehn oder fünfzehn Jahren kein Billiglohnland heutigen Musters mehr sein. Vielmehr werden die Löhne dort kräftig anziehen, was wiederum den Druck auf die Industrieländer mindern dürfte. Das Problem wird sich also mit wachsendem Wohlstand in den Schwellenländern von alleine lösen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Europas Wirtschaft grundsätzlich lahmer als die US-Wirtschaft ist.

SZ: Welche Möglichkeit sehen Sie, Arbeitnehmer stärker an den Früchten wirtschaftlicher Aufschwünge zu beteiligen?

Phelps: Die beste Erfolgsbeteiligung heißt, einen guten Arbeitsplatz zu finden. Zudem profitieren die Menschen ja mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung dank Lohnerhöhungen.

SZ: Wie lange wird aus Ihrer Sicht der gegenwärtige Aufschwung noch anhalten? Befürchten Sie eine Rezession in den USA mit Folgen für Europa?

Phelps: Ich bin schon seit längerer Zeit pessimistisch, was die US-Wirtschaft angeht. Aber wer weiß: Vielleicht bekommt die Konjunktur in den Vereinigten Staaten auch noch einmal die dritte oder vierte Luft. Für Europa erwarte ich ebenfalls kein allzu dynamisches Wachstum.

SZ: Warum erreicht Europa die hohen Wachstumsraten einfach nicht, die die Vereinigten Staaten in Boomphasen verzeichnen?

Phelps: Vielen Menschen in Europa fehlt der nötige Wettbewerbsgeist und der Wille zur Veränderung. Gegenwärtig wird die Situation allerdings auch durch eine Vielzahl von Unsicherheitsfaktoren belastet: die weitere Entwicklung in Iran etwa oder die Situation in Nahost.

SZ: Ein weiterer solcher Faktor ist die Krise im Geschäft mit schlecht besicherten US-Hypothekendarlehen.

Phelps: Das ist richtig. Ich fürchte, dass sich die Finanzierungsbedingungen vor allem für junge, innovative Firmen für längere Zeit verschlechtern könnten.

SZ: Welche Lehren ziehen Sie aus der Krise? Brauchen wir mehr Aufsicht?

Phelps: Nein. Viele Regierungen haben doch noch gar nicht begriffen, was da eigentlich passiert ist. Eine schärfere Regulierung könnte somit mehr schaden als nutzen. Ich glaube, dass das internationale Finanzsystem ohne Hilfe von außen aus Schaden klug werden wird.

SZ: Dann können sich die Finanzminister und Notenbankchefs der G 7 ihre für die kommende Woche anberaumten Gespräche zu dem Thema also sparen?

Phelps: Ich widerstehe der Versuchung, auf diese Frage zu antworten.

SZ: Sind Renditen weit jenseits der 20 Prozent, wie sie Finanzinvestoren, also etwa Hedge-Fonds, heute ihren Geldgebern in Aussicht stellen, eigentlich noch moralisch, wenn gleichzeitig die Reallöhne der Arbeitnehmer stagnieren?

Phelps: Hedge-Fonds weisen mit ihren Aktivitäten auf Schwächen im System hin, die sie beseitigen und damit Geld verdienen - oder verlieren. Der Gedanke, es gebe einen Kuchen, von dem sich die Fonds zu Lasten der Arbeitnehmer ein immer größeres Stück abschneiden, hat jedenfalls mit der Realität nichts zu tun.

SZ: Viele Arbeitnehmer haben aber exakt dieses Gefühl.

Phelps: Dann muss man diese Arbeitnehmer besser aufklären.

SZ: Wie haben Sie Ihr Nobel-Preisgeld von 1,1 Millionen Euro investiert? Bei einem Hedge-Fonds?

Phelps: Ich habe es ganz konservativ angelegt. Von Hedge-Fonds sollte man in meinem Alter besser die Finger lassen.

© SZ vom 13.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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