Interview mit dem Condé Nast-Chef:"Vanity Fair bietet den gleichen Unterhaltungswert wie ein Kinofilm"

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Bei so viel Werbung konnte kaum jemandem entgehen, dass es mit der "Vanity Fair" eine neue Zeitschrift in Deutschland gibt. Inzwischen hat der Condé Nast-Verlag sechs Ausgaben an den Kiosk gebracht und Verlags-Chef Bernd Runge zieht eine erste Bilanz.

Stefan Krüger, Manuela Pauker, Helmut van Rinsum

Der große Tag ist nun schon wieder über einen Monat her: Am 7. Februar, 24 Stunden früher als geplant, hatte der Verlag Condé Nast die deutsche Ausgabe seines Magazins Vanity Fair zum Kampfpreis von einem Euro auf den Markt gebracht.

Sieht sich als klassischen Verleger: Condé-Nast-Chef Bernd Runge. (Foto: Foto: Condé-Nast)

Die Markteinführung des neuen Magazins wurde von heftiger Kritik seitens der Presse begleitet: "Willkommen im Neo-Biedermeier", textete etwa Spiegel Online, Focus-Chef Helmut Markwort fühlte sich beim Titelbild der Erstausgabe an "die Apotheken-Umschau" erinnert, und die Zeit sah Vanity Fair "zwischen Hörzu und Bauer-Verlag".

Kritik, mit der Condé-Nast-Chef Bernd Runge gerechnet hatte. Mit dem Start des Neulings, mittlerweile der siebte Titel (ohne Line-Extensions) des Verlags in Deutschland, ist er trotz der anfänglichen Verrisse zufrieden.

Insbesondere in den Metropolen findet Vanity Fair laut Runge viele Käufer - wenn auch der übliche Neugier-Effekt zu den Ausverkäufen in Berlin und München beigetragen hat.

Inzwischen, nachdem der Preis auf zwei Euro gestiegen ist, verkauft der Titel Runge zufolge "deutlich über 100.000 Exemplare". Damit widerspricht er im Markt kolportierten Zahlen, denen zufolge Vanity Fair auf rund 80.000 verkaufte Hefte abgerutscht sei. Was Sache ist, dürfte ab dem dritten oder vierten Quartal 2007 feststehen: Ab dann will Vanity Fair offizielle Verkaufszahlen an die IVW melden.

Einen Misserfolg kann sich Bernd Runge nicht leisten. Denn die Investition, die sich das Haus das Abenteuer Vanity Fair kosten lässt, ist exorbitant: Einen zweistelligen Millionen-Betrag hat Condé Nast dem Vernehmen nach allein für die Markteinführung springen lassen - eine Summe, die bei der deutschen Tochter des US-Verlags eine kräftige Delle in der Bilanz hinterlässt: Auch wenn der Verlag in diesem Jahr in den schwarzen Zahlen bleibt - große Gewinne wird Bernd Runge an das Mutterhaus nach dem laufenden Geschäftsjahr nicht abführen können. Entsprechend groß ist der Erfolgsdruck.

Frage: Herr Runge, am 7. Februar erschien die erste Ausgabe von "Vanity Fair". Einen Tag später hagelte es Kritiken. Spiegel Online schrieb "Willkommen im Neo-Biedermeier", die Zeit textete: "Das Heft changiert zwischen ,Hörzu' und Bauer-Verlag". Wie sehr schmerzt so etwas den Herausgeber?

Runge: Das haben wir sportlich gesehen. Von bestimmten Autoren haben wir nichts anderes erwartet. Und prinzipiell kann sich das Echo auf Vanity Fair mehr als sehen lassen, es war überwiegend positiv. Kaum ein Zeitschriften-Launch ist in den letzten Jahrzehnten derart intensiv begleitet worden. Das zeigt: Wir werden ernst genommen.

Frage: Aber wie lange? An dem inhaltlichen Spagat zwischen Informationen mit gesellschaftspolitischem Anspruch und Unterhaltung ist beispielsweise auch schon "Max" gescheitert.

Runge: Mit Verlaub: Beide Titel können Sie miteinander nicht ansatzweise vergleichen. Mit unserer 75 Mitarbeiter starken Redaktionsmannschaft steckt bei uns doch viel mehr Substanz dahinter. Unser Konzept und die wöchentliche Erscheinungsweise sind eine neuartige Mischung. Aber natürlich haben Chefredakteur Ulf Poschardt und sein Team einen harten Job vor sich.

Frage: Dabei war es für die Redaktion bis jetzt doch noch relativ leicht. Bis zu drei Fünftel der Heftinhalte sind vorproduziert, heißt es.

Runge: Dem muss ich widersprechen. Erstens ist es für ein neues Team immer schwer. Und es sind nur wenige vorproduzierte Geschichten in Vanity Fair. Was entscheidend ist: In den letzten Heften gab es kein Thema, das wir übersehen hätten. Klar, die Titelgeschichte über George Clooney in Heft 11 ist natürlich langfristig produziert beziehungsweise eingekauft, erscheint aber genau zum Start seines Films "The good German".

Frage: Die amerikanische "Vanity Fair" hat immer wieder durch Scoops auf sich aufmerksam gemacht. Wie viele Enthüllungen wird die deutsche "Vanity Fair" in diesem Jahr landen?

Runge: Wenn man das nur planen könnte... Tatsächlich haben wir doch jetzt schon viele Exklusiv-Meldungen. Ich bin mir sicher, dass wir noch die eine oder andere Überraschung erleben werden. Aber, Sie müssen bedenken: Allein der Spiegel hat mehr Korrespondenten als wir Redaktionsmitglieder. Und es ist nicht das Hauptanliegen von Vanity Fair, mit Sensationen exklusiv auf den Markt zu kommen. Wir wollen eine einzigartige Heftmischung anbieten.

Frage: Haben Sie Pläne, die Redaktion aufzustocken?

Runge: Vanity Fair wird mit der Zeit wachsen. Man wird zum Start nie ein Team in kompletter Größenordnung haben. Ich könnte mir vorstellen, dass wir in zwei Jahren eher über 100 Mitarbeiter reden als aktuell über 75.

Frage: Gibt es in Deutschland ein Magazin, das "Vanity Fair" sehr ähnlich ist?

Runge: Wir haben bereits unter Beweis gestellt, dass wir etwas ganz Neues machen. Von der Themenbandbreite und Optik ist uns vielleicht der Stern noch am nächsten. Wenn man genauer hinschaut, heben sich diese Gemeinsamkeiten dann aber wieder auf.

Frage: Wir fragen deshalb, weil dies auch eine Frage aus der aktuellen "Vanity-Fair"-Leserbefragung ist.

Runge: Es ist einfach schwierig, valide Daten zu bekommen. Es gibt keine maßgeblichen Untersuchungen über Leserwanderung, es gibt nur die Daten über Kopplungskäufe an den Scannerkassen, ein Tool, das sehr unvollkommen ist. Deshalb befragen wir derzeit die Leser.

Frage: Und? Ist dies bereits die angepeilte Leistungselite?

Runge: Wir verkaufen hervorragend in den Metropolen. Und von dem, was wir bisher wissen, ist es uns auch gelungen, bei Geschlecht, Alter und Ausbildung sehr nah an das zu kommen, was wir beabsichtigt haben.

Frage: Im Markt kursieren Zahlen, nach denen die Auflage von 300.000 verkauften Exemplaren bei der Erstausgabe auf mittlerweile unter 100.000 Hefte gerauscht ist. Ist es mit der Leistungselite also doch nicht so weit her?

Runge: Beide Zahlen sind fasch. Richtig ist, dass wir von der ersten Ausgabe extrem viel verkauft haben, wir hatten enorme Neugier-Käufer. Die erste und zweite Ausgabe waren in Städten wie Berlin und München sofort ausverkauft. Inzwischen verkaufen wir sehr deutlich über 100.000. Am Kiosk liegen wir auf dem Niveau von Focus und Gala. Das ändert aber nichts an unserer Zielstellung, 120.000 Exemplare in einer sehr gesunden Auflagenstruktur zu schaffen. Und wir haben bereits über 10.000 Abos.

Frage: Bei Abo-Preisen von einem Euro dürfte dies auch für das moderne Prekariat erschwinglich sein.

Runge: Egal, ob das Heft umsonst ist, ein Euro oder zehn Euro kostet: Wenn man sich für das Heft nicht interessiert, wird auch der Preis nicht für den Kauf entscheidend sein. Wir kämpfen nicht um das Portemonnaie des Konsumenten, sondern um seine Zeit und Aufmerksamkeit. Und in Deutschland sind 80 Prozent der Medien, die wir konsumieren, kostenlos: Fernsehen, Radio, Internet. Wir sind mit unseren Abverkäufen sehr zufrieden, das zeigt auch, dass wir sehr schnell von einem auf zwei Euro gegangen sind.

Frage: Zu welchem Copypreis wollen Sie denn die angepeilten 120.000 Exemplare verkaufen?

Runge: Den Copypreis für Vanity Fair sehe ich eher am obersten Rand der Wochenmagazine. Aber dazu muss sich der Titel erst am Markt etablieren. Diese Phase kann zwei Jahre in Anspruch nehmen. Mittelfristig sind drei Euro sicher ein gutes Ziel.

Frage: Ihre Zielgruppe, die Leistungselite, scheint also sehr genau auf den Preis zu achten.

Runge: Das nicht. Aber es ist nun mal so, dass Zeitschriften nicht zu dem Preis verkauft werden, die sie als Produkt eigentlich verdient hätten. Natürlich bietet Vanity Fair mindestens den gleichen Unterhaltungswert wie ein Kinofilm. Doch die Leute sind bereit, für eine Kinokarte zwischen acht und 15 Euro zu bezahlen, für eine Zeitschrift aber nicht. Für uns ist erst einmal wichtig, dass die für uns wichtigen Menschen das Heft kennenlernen und annehmen. Und uns - um mit André Heller zu sprechen - das Wertvollste geben, das sie haben: nämlich Zeit.

Frage: Ähnlich sehen es Ihre Wettbewerber von "Park Avenue", die ebenfalls den Dumpingpreis als Marketingmaßnahme für sich entdeckt haben. Ärgert Sie das?

Runge: Gar nicht. Es mag arrogant klingen, aber mit Park Avenue haben wir uns nie ernsthaft beschäftigt. Bei manchen Geschichten gibt es vielleicht Berührungspunkte, aber eher mit Stern, Focus, Gala und Bunte. Konkurrenz belebt das Geschäft. Die genannten Titel sind in den letzten Ausgaben eher besser als schlechter geworden.

Frage: Ist "Vanity Fair" für Sie der "Stern" des 21. Jahrhunderts?

Runge: Nein, der Stern ist mit einem ganz anderen Anspruch gestartet, als Wundertüte für Lieschen Müller. Wir peilen eine Zielgruppe an, von der ein geringer Teil mitunter auch den Stern liest, aber auch Vogue, Spiegel oder AD Architectural Digest.

Frage: Findet der Wettbewerb zum "Stern" nicht eher am Anzeigenmarkt statt?

Runge: Wir zeigen jetzt schon, dass wir Anzeigen im Heft haben, die andere nicht haben, wir sorgen also für eine Erweiterung des Markts. Aber natürlich wäre es falsch zu sagen, dass es keine Überschneidungen im Anzeigengeschäft geben wird. Die Reaktionen im Markt sind positiv, die Kunden freuen sich ebenso wie die Leser über das neue Angebot und die vergrößerte Auswahl.

Frage: Bei so viel Erfolgsmeldungen vom Markt: Gibt es schon Überlegungen, "Vanity Fair" auch in anderen Ländern einzuführen?

Runge: Prinzipiell kann man sich Vanity Fair in jedem Land vorstellen. Am ehesten in Spanien, Frankreich, vielleicht eines Tages auch Russland. Wobei wir immer neu überlegen werden, ob Vanity Fair als Wochen- magazin oder monatliches Heft erscheint. Aber das sind alles nur Planspiele.

Frage: Alle Großverlage reden derzeit von ihren Online-Offensiven. Bei "Vanity Fair" starten Sie erst im zweiten Step. Hat Online bei Ihnen nicht die Priorität wie in anderen Häusern?

Runge: Online hat Priorität wie bei anderen Verlagen. Bei uns steht allerdings ganz klar eine klassische Zeitschriftenmarke im Mittelpunkt, die zu den großen Mythen der Welt gehört. Deswegen habe ich auch immer von einem der letzten großen Printabenteuer gesprochen. Wir reden hier ja über ein viele Millionen Euro teures Investment, das Geld muss zurückverdient werden. Also gestaltet man seine Business-Pläne entsprechend, und da wird es mit einer Refinanzierung für andere Verlage offensichtlich eng. Deswegen glaube ich, dass wir nicht mehr so viele ausschließlich Print-Launches in dieser Größenordnung hierzulande erleben werden.

Frage: Unterscheiden Sie sich damit von anderen Verlagen, bei denen es heißt: Online first oder Expand your Brand?

Runge: Ich denke, dass einige einfach versuchen, in dieser Form zu expandieren, weil sie nicht mehr genug Vertrauen oder Kompetenz in ihrem klassischen Geschäft haben.

Frage: Auch bei den Zusatzgeschäften sind Sie sehr zurückhaltend.

Runge: Ja. Die Anstrengungen, die hierzulande von vielen Verlagen unternommen werden, sind derzeit ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Wir haben aber ein sehr gutes Wachstum aus dem klassischen Bereich bei allen unseren Titeln. Und dann braucht man für diese Art von Vermarktung auch einfach bestimmte kritische Vertriebsgrößen wie sie zum Beispiel Tageszeitungen haben.

Frage: Sie definieren Ihre Rolle als Verleger offenbar sehr klassisch.

Runge: Uneingeschränkt ja. Im Internet sind wir trotzdem sehr erfolgreich. Wir schreiben im Online-Bereich in vier Märkten schwarze Zahlen, dazu gehört auch Deutschland. Vielleicht betreiben wir das Geschäft nur einfach etwas ruhiger als andere. Wir kaufen zum Beispiel nichts dazu. Wir passen immer auf, dass nichts unkontrolliert aus dem Ruder läuft.

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