Interview: Hubertus Pellengahr:"Weihnachten kommt immer sehr plötzlich"

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Der Geschäftsführer des Einzelhandel-Hauptverbandes, Hubertus Pellengahr, über das Einkaufsverhalten zur Weihnachtszeit, warum die Innenstädte samstags zu voll sind, Berlin eine Ausnahme bleiben muss und die Kirchen den Händlern dankbar sein sollten.

Melanie Ahlemeier

Das Weihnachtsgeschäft hat den Einzelhandel bisher nur mäßig zufriedengestellt, die Händler hoffen auf den Schlussspurt. Dazu der Geschäftsführer des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels, Hubertus Pellengahr.

Weihnachtszeit, Einkaufszeit: 75 Milliarden Euro möchte der Einzelhandel mit dem Weihnachtsgeschäft umsetzen. (Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Pellengahr, obwohl am dritten Adventswochende mehr als zwei Milliarden Euro umgesetzt wurden, sind die Händler nicht zufrieden. Ist die finanzielle Zielvorgabe für das Weihnachtsgeschäft 2007 so ehrgeizig?

Hubertus Pellengahr: Das vergangene Wochenende war gut, da dürften wir in etwa das Vorjahresniveau erreicht haben. Das hätten wir auch gerne für das gesamte Weihnachtsgeschäft geschafft, aber das ist nur noch schwer möglich. Unser Ziel ist es, 75 Milliarden Euro in den Monaten November und Dezember umzusetzen, um damit das gute Ergebnis des Vorjahres wieder zu erreichen.

sueddeutsche.de: Spüren die Händler noch die Erhöhung der Mehrwertsteuer?

Pellengahr: Die Mehrwertsteuererhöhung hat zwar das Weihnachtsgeschäft des Vorjahres angekurbelt, und deshalb wäre es schon ein Erfolg, wenn wir das Umsatzvolumen aus dem Jahr 2006 wieder erreichen. Aber der Einzelhandel hat das ganze Jahr darunter gelitten. Die Steuererhöhungen sind der Hauptgrund für die Kaufzurückhaltung, die der Einzelhandel im Jahr 2007 gespürt hat.

sueddeutsche.de: Gilt das auch für Berlin? Beim Ladenschluss und bei der Sonntagsöffnung gelten in der deutschen Shopping-Hautpstadt eigene Gesetze.

Pellengahr: In Berlin haben wir eine Sondersituation, weil sich der Senat für zehn verkaufsoffene Sonntage entschieden hat, darunter die vier Adventssonntage. Wir haben uns bundesweit vorgestellt, das vier verkaufsoffene Sonntage genügen sollten. Wir wollten die Zahl nicht ausdehnen und nicht am Gebot der Sonntagsruhe rütteln. Aber diese vier verkaufsoffenen Sonntage hätten wir schon sehr gerne, denn wenn es eine absolute Ausnahme ist, dann ist der Verkauf am Sonntag für den Einzelhandel sehr lukrativ.

sueddeutsche.de: Wo gibt es weitere Ausnahmen?

Pellengahr: Ausnahmen wie jetzt in Berlin gibt es zum Beispiel an der Küste und auf den Inseln. Das Ladenschlussgesetz hat schon immer Ausnahmen gekannt. Neu ist, dass es eine Großstadt wie Berlin jetzt für sich geltend macht, aber das ist kein Beispiel für andere Städte oder Länder. Nirgendwo gibt es so viele Touristen wie in Berlin.

sueddeutsche.de: Haben die Kirchen kein Herz für die Touristen? Die zwei großen Kirchen klagen derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die verkaufsoffenen Sonntage in Berlin.

Pellengahr: Dem Urteil sehen wir mit großem Interesse entgegen, weil wir uns davon Klarheit versprechen, wie viele verkaufsoffene Sonntage im Jahr verfassungskonform sind. Vier verkaufsoffene Sonntage sind es garantiert, das ist seit 1956 geübte Praxis - dagegen hat nie jemand geklagt, auch die Kirchen haben sich nie dagegen gewehrt.

sueddeutsche.de: Wann gibt es ein Urteil?

HDE-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr (Foto: Foto: AP)

Pellengahr:: Ein Urteil wird es wohl frühestens in einem Jahr geben. Die Kirchen gehen mit ihrer Klage auch ein gewisses Risiko ein, denn es kann durchaus sein, dass das Verfassungsgericht sagt: Mehr als vier Sonntage, vielleicht sogar zehn Sonntage sind okay. Das ist eine schwierige Operation der Kirchen. Besser wäre es gewesen, wenn man über das Thema diskutiert und abgewartet hätte, ob es sich um eine reine Berliner Regelung handelt oder ob das weiter um sich greift. Wir wollen nicht, dass es weitere Kreise zieht.

sueddeutsche.de: Warum kaufen die Menschen ihre Weihnachtsgeschenke immer auf den letzten Drücker?

Pellengahr: Weihnachten kommt immer sehr plötzlich am 24. Dezember. In den Wochen vor Weihnachten haben immer alle viel zu tun, deshalb reicht die vorhandene Zeit meistens doch nicht aus, um alle Besorgungen zu erledigen. Auch das Bewusstsein, das man etwas braucht, reift, je näher das Weihnachtsfest rückt. Kaltes, winterliches Wetter hilft, damit die Weihnachtsstimmung schon vorher aufkommt. Wenn das fehlt, dann werden die Geschenke sehr spät gekauft.

sueddeutsche.de: Bücher, CDs, Digitalkameras und Winterzeug sind die Lieblingsgeschenke der Deutschen. Wenig einfallsreich, oder?

Pellengahr: Neue Trends ergeben sich nicht von einem Jahr zum nächsten, aber der Trend zur Unterhaltungselektronik hat jetzt noch einmal einen kräftigen Schub erfahren. Grund sind die Preisentwicklungen und die Innovationen. Mobile Navigationsgeräte beispielsweise waren vor einem Jahr noch nahezu unerschwinglich. Das alles kann sich heute jedermann leisten und damit werden auch Begehrlichkeiten geweckt. Weihnachten kauft man nicht nur die Dinge, die zum Überleben zwingend notwendig sind. Man gönnt anderen und sich etwas, das man zum Leben eigentlich nicht bräuchte, was aber sehr schön zu haben ist.

sueddeutsche.de: Was hat der Einzelhandel zu diesem Weihnachtsfest an Außergewöhnlichem zu bieten?

Pellengahr: Die tollsten Sachen gibt es bei den Juwelieren. Schmuck-Unikate und Edelsteine - das ist zu Weihnachten wirklich etwas ganz Besonderes. Kindern macht man mit Spielwaren die größte Freude, dazu zählen Gesellschaftsspiele ebenso wie technisches Spielzeug. Auch die gute Modelleisenbahn wird immer noch zu Weihnachten gekauft.

sueddeutsche.de: Die Einkäufer beurteilen das Shoppen am Sonntag positiv. Sehen die Verkäuferinnen das auch so?

Pellengahr: Die Arbeit am Sonntag ist sehr begehrt. Die Verkäuferinnen erhalten dafür Freizeitausgleich, sie müssen nicht zusätzlich arbeiten. Viel mehr Verkäuferinnen und Verkäufer wollen sonntags arbeiten, als tatsächlich eingesetzt werden können. Das hängt mit den Zuschlägen zusammen, die für Sonntagsarbeit gezahlt werden müssen. Das sind 120 Prozent. Für die festangestellten Mitarbeiter wird die Sonntagsarbeit meistens in der Woche drauf mit Freizeitausgleich abgegolten. Für einen verkaufsoffenen Sonntag gibt es zwei freie Tage. Die Aushilfen bekommen ihren Sonntagseinsatz ausgezahlt. Das ist sehr, sehr lohnend. Es gibt nicht das geringste Problem, für verkaufsoffene Sonntage Personal zu finden, im Gegenteil.

sueddeutsche.de: Lohnt es sich auch für die Gewerbetreibenden, weil mehr Geld in die Kassen kommt? Die höheren Personalkosten müssen ja gedeckt werden.

Pellengahr: Das ist genau der Punkt. Die verkaufsoffenen Sonntage rechnen sich nur, wenn sie die Ausnahme sind und wenn sie für den Kunden eine Attraktion sind. Wir argumentieren immer ökonomisch. In Berlin höre ich, dass die Umsätze von Montag bis Samstag normal sind, wie in anderen Städten auch. Der Sonntag kommt dann hinzu und das kann man vor allem mit den Touristen in der Stadt erklären. Der Sonntag führt aber auch zu einer willkommenen Entzerrung, denn samstags ist es in den Städten so voll, dass man manchmal gar nicht mehr zum Einkaufen kommt. Es ist zu voll.

sueddeutsche.de: Die amerikanischen Verhältnisse mit Einkaufsmöglichkeiten an sieben Tagen die Woche werden wir also nicht erleben?

Pellengahr: Nein, die werden wir definitiv nicht erleben. Wollen wir auch nicht.

sueddeutsche.de: Die Kirchenvertreter gehen einkaufen und kommen zu Ihnen in die Geschäfte. Gehen Sie Weihnachten auch in die Kirche?

Pellengahr: Ich mach's nicht nur Weihnachten. Ansonsten glaube ich, dass das jeder selber wissen muss, das ist reine Privatsache. Mein Seelenheil wird nicht durcheinandergebracht.

sueddeutsche.de: Kritiker bemängeln, dass Weihnachten zu einer reinen Kommerzveranstaltung verkommen ist.

Pellengahr: Das Gegenteil ist wahr. Wenn es den Einzelhandel nicht gäbe, dann würden viele Menschen gar nicht mehr feststellen, dass Weihnachten ist. Der Einzelhandel trägt doch sehr stark dazu bei, Weihnachten in das allgemeine Bewusstsein zur rücken. Dazu würde die Kraft der Kirchen allein gar nicht mehr ausreichen. Und sei es nur, dass sie sich an uns reiben, um ins öffentliche Bewusstsein zu kommen.

sueddeutsche.de: Also muss die Kirche dem Einzelhandel dankbar sein, dass es das Streitthema Ladenöffnungszeiten gibt.

Pellengahr: Sie nutzen das doch sehr professionell für ihre Interessen aus, um die Aufmerksamkeit auf den Sonntag und damit auf ein kirchliches Kernanliegen zu lenken. Wenn sie sich nicht am Einzelhandel reiben könnten, müssten sie etwas anderes inszenieren.

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