Infrastruktur:Vorverträge im Rollkoffer

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Flugzeughersteller wie Airbus hoffen nach dem Ende der Sanktionen in Iran auf das große Geschäft - der Modernisierungsbedarf ist groß.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Wer derzeit Flugzeuge verkaufen oder vermieten will, der hat es trotz rekordverdächtiger Auftragsbestände mit ein paar Problemfällen zu tun: Leasingunternehmen ziehen massenhaft Jets aus Russland ab, weil die Fluggesellschaften dort sie sich nicht mehr leisten können. In Brasilien, noch bis vor kurzem einer der größten Wachstumsmärkte, schrumpft die Wirtschaft massiv, was auch andere Länder in Südamerika und darüberhinaus belastet. Indien ist immer noch unsicheres Terrain und auch China, bislang Motor der Welt- und auch der Luftfahrtkonjunktur, schwächelt. Wie schön ist es da, als Vertreter der Luftfahrtindustrie in ein bislang weitgehend abgeschottetes Land zu reisen, das ein riesiges Potenzial hat, und dort vom Verkehrsminister mit den Worten empfangen zu werden: "Ich halte ihre Hände in Freundschaft."

So geschehen in Teheran in diesen Tagen bei der ersten internationalen Luftfahrt-Konferenz in Iran seit mehr als 40 Jahren. Vertreter von rund 300 Firmen waren gekommen, um nach dem Ende der Sanktionen ganz schnell Minister Abbas Akhoondi die Hand zu schütteln und möglichst mit ein paar Vorverträgen im Rollkoffer vom Imam Khomeini International Airport wieder abzureisen. Nie zuvor gab es für die Luftfahrtindustrie den Fall, dass ein so großes Land sich öffnet und sofort in großem Stil neue Flugzeuge bestellen will, von allen Anbietern.

Landung in Teheran. (Foto: Atta Kenare/AFP)

Im Trubel der Begeisterung wird verdrängt, wie marode die Infrastruktur ist

Laut Regierungsangaben brauchen die iranischen Fluggesellschaften in den nächsten drei bis fünf Jahren 500 neue Flugzeuge, um die Flotte zu modernisieren. Mit Airbus gibt es dem Vernehmen nach schon Absprachen über einen Auftrag für 127 Maschinen praktisch aller Baureihen: Darunter sollen das neue Langstreckenmodell A350, die A330 und die Kurz- und Mittelstreckenserie A320 sein. Sogar acht Maschinen des Riesen-Ladenhüters A380 will das Land kaufen - es könnte damit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das Krisenprojekt über die Zeit zu retten, bis der Markt für den 550-Sitzer endlich anderswo anzieht. Und weil die Iraner keine Zeit verlieren wollen, könnten schon in den nächsten Wochen zahlreiche gebrauchte Maschinen nach Teheran überführt werden, darunter anderswo längst ausgemusterte Fabrikate wie die A340, die mit ihren vier Triebwerken zu viel Sprit verbraucht. Der iranische Präsident Hassan Rohani ist in dieser Woche auf Europareise und stattet am Mittwoch auch Frankreich einen Staatsbesuch ab. Bei solchen Gelegenheiten werden in der Regel Großaufträge verkündet, auch wenn sich Airbus noch sehr diskret gibt.

Aber nicht nur der europäische Flugzeugbauer hofft auf gute Geschäfte: Boeing könnte kurzfristig rund 100 Jets nach Teheran verkaufen, der Turboprophersteller ATR weitere 40, Embraer und Bombardier erwarten Aufträge in ähnlicher Größenordnung. Auch die vielen Leasingunternehmen wittern eine lukrative Einnahmequelle, denn sie können in der Regel schneller liefern als die Hersteller.

Um die Goldgräberstimmung zu verstehen, genügt ein Blick auf ein paar Zahlen. Iran hat mit rund 80 Millionen Menschen fast so viele Einwohner wie Deutschland. Dem Flugplanspezialisten OAG zufolge boten die Airlines 2015 von und nach Iran und auf Inlandsstrecken 22 Millionen Sitze an. Zum Vergleich: Auf den Strecken von und nach sowie innerhalb Deutschlands waren es im gleichen Zeitraum 250 Millionen Sitze. Temel Kotil, Chef von Turkish Airlines, glaubt, dass der Luftverkehrsmarkt Iran in den kommenden zwei Jahren um 100 Prozent wachsen wird. Und der veraltete Flughafen von Teheran soll zu einem Drehkreuz für 45 Millionen Passagiere jährlich ausgebaut werden.

Iran war es wegen der Sanktionen in den vergangenen Jahrzehnten kaum möglich, neue Flugzeuge zu importieren. Die rund 150 registrierten großen Passagierjets sind im Durchschnitt 22 Jahre alt, etwa ein Drittel von ihnen steht mangels Ersatzteile oder wegen bislang irreparabler Defekte am Boden. Iran Air fliegt immer noch alte Boeing 747, die sie vor der islamischen Revolution 1979 gekauft hatte. Die älteste Maschine ist vor 40 Jahren zum ersten Mal geflogen. Es scheint also festzustehen, dass viele Lieferanten dank Iran von einer unverhoffen Sonderkonjunktur profitieren werden, auf die sie noch vor wenigen Monaten nicht zu hoffen wagten. Doch Vorsicht ist geboten. Die Erschließung des Landes und der Aufbau eines zeitgemäßen Luftverkehrsmarktes werden Geduld erfordern. Im Trubel der Begeisterung wird gern verdrängt, dass die Wirtschaftslage des Landes schlecht und der Nachholbedarf vor allem bei der Infrastruktur enorm ist - und sich das nicht von heute auf morgen ändern wird. Im Luftverkehr spürt man die Folgen der jahrelangen Isolation. Die Zahl der Sitze ist im Inlandsverkehr seit 2011 um mehr als 20 Prozent zurückgegangen. 14 kleine Airlines wetteifern auf den Inlandsstrecken, alleine 2015 sind drei neue hinzugekommen, eine Konsolidierung ist überfällig. Die staatliche Iran Air befindet sich in einer Art Dauerkrise: Laut OAG betrug ihr Marktanteil im Jahr 2000 noch 68 Prozent, im vergangenen Jahr waren es nur noch 22 Prozent. Auch bei anderen Anbietern geht es turbulent zu: Kish Air wuchs 2014 um 268 Prozent und schrumpfte im folgenden Jahr um 26 Prozent. Zagros Airlines wuchs um 92 Prozent, Mahan Air hatte einst ein großes Inlandsnetz, bietet heute aber nur noch internationale Flüge an. Zudem fehlt die Infrastruktur, die neues Wachstum ermöglicht. Laut Verkehrsministerium genügen nur zehn der 65 Flughäfen den Ansprüchen, die Flugsicherung muss modernisiert werden. Gesucht werden auch Tausende Piloten.

© SZ vom 26.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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