Indexanbieter:Mächtige Akteure

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Saudi-Arabien gewinnt bei Investoren an Einfluss. Im Bild die Wertpapierbörse in Riad. (Foto: Faisal Al Nasser/Reuters)

Aktienbarometer sind viel mehr als ein Spiegelbild der Kurse, sie haben sich zu einem eigenen, nicht immer transparenten Machtfaktor entwickelt. Das hat auch die Politik bemerkt - sie will die Entscheidungen nun genauer beobachten.

Von Victor Gojdka, München

Den Beweis seiner Macht trat der Indexanbieter MSCI am 11. Juni 2013 an. In einer Sitzung hatte das sechsköpfige Komitee für Indexpolitik des Unternehmens entschieden, die Vereinigten Arabischen Emirate hochzustufen: vom Status eines Entwicklungslandes in die Kategorie der dynamischeren Schwellenländer. Was für Außenstehende wie eine Petitesse wirken mag, sorgte an den Kapitalmärkten für einen Wüstensturm, wie manche Medien schrieben. Denn obwohl sich an den Bilanzen der Unternehmen nichts Grundlegendes verändert hatte, stiegen die Kurse wie von Zauberhand.

Ob der amerikanische Aktienindex S&P 500, der britische FTSE oder der breite MSCI World: Unbemerkt selbst von vielen Finanzexperten haben Aktienindizes eine ungeahnte Macht entwickelt. Die Aktienbarometer spiegeln die Kurse inzwischen nicht mehr nur wider, sie bewegen sie auch. Denn viele Anleger folgen bei ihren Investitionsentscheidungen inzwischen stur den Indizes. 2,4 Billionen Dollar Vermögen richteten sich im vergangenen Jahr weltweit nach Aktienbarometern der drei bekannten Anbieter FTSE Russell, S+P Dow Jones und MSCI.

Dass die Indizes inzwischen zum indirekten Wegweiser für Kapitalströme geworden sind, liegt vor allem am Boom der passiven Indexfonds, der ETF. Stur zeichnen diese Produkte nach, wie sich Barometer wie der Dax entwickeln: Klettert der Index um zwei Prozent, klettert auch der Wert des ETF entsprechend. Setzt der Indexanbieter einen Aktienkorb neu zusammen, müssen die Indexfonds alle Änderungen nachvollziehen. Etwa 13 Prozent des deutschen Fondsvermögens liegen in solchen passiven Anlageprodukten und folgen damit den Barometern. "Die Indexanbieter haben eine große Macht, weil immer mehr Anleger passiv investieren", sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank.

Erst in der vergangenen Woche wurde den Märkten die Macht der Indexunternehmen wieder schlagartig bewusst. Der Anbieter MSCI hatte knapp 230 chinesische Festlandaktien in einige Indizes aufgenommen. Mal um Mal hatte das Unternehmen China und seine Festlandaktien in den vergangenen Jahren abblitzen lassen. Nun befanden die MSCI-Manager, dass die chinesischen Aktienmärkte inzwischen auch für ausländische Investoren offen genug sind, um manche der Aktien Schritt für Schritt einzugruppieren. Eine Entscheidung mit Tragweite: "Wenn sich die Zusammensetzung eines Index verändert, setzt das Kapitalströme in Gang", sagt Genossenschaftsbanker Bielmeier. Nach Schätzungen der Banken BNP Paribas und JPMorgan dürften nun zwischen 20 und 40 Milliarden Dollar Richtung China fließen.

Jedes der Indexunternehmen macht seine eigenen Regeln

Die Indexanbieter sehen sich dabei als neutrale Instanzen. "Ihre Entscheidungen sind keine Willkür", sagt auch Axel Riedel vom ETF-Anbieter State Street Global Advisors, der sich täglich mit den Indizes und ihrer Konstruktion befasst. Die Indexanbieter verweisen auf ihre klaren Regeln, entlang derer sich entscheide, welche Aktien es in einen Index schaffen. "Die Regeln der Indexanbieter sind klar und transparent", sagt auch Genossenschaftsbanker Bielmeier. "Aber ob sie auch adäquat sind, das ist eine andere Frage." Denn jedes der Indexunternehmen macht seine eigenen Regeln. Wer zwei Indizes vergleicht, die die Entwicklung kleiner börsennotierter Unternehmen am US-Aktienmarkt spiegeln sollen, kann das gut erkennen. Während der Index Russell 2000 die kleinen Aktien im Wesentlichen nach Börsenwert sortiert, legt der S&P Small Cap 600 schärfere Kriterien an. Damit Unternehmen es in diesen Index schaffen, müssen sie in den vergangenen vier Quartalen in Summe schwarze Zahlen geschrieben haben. Das zeigt: Die Kriterien der beiden Anbieter sind zwar transparent, unterscheiden sich jedoch - und sind am Ende subjektiv.

Erst im vergangenen Jahr geriet eine Entscheidung der Indexanbieter ins Gerede. Als das amerikanische Social-Media-Unternehmen Snap im Frühjahr Aktien ohne Stimmrecht auf den Markt warf, brach eine öffentliche Debatte los: Wie viel Mitspracherecht brauchen Aktionäre?

Der Indexanbieter FTSE Russell entschied daraufhin, nur solche Papiere für seine Indizes zuzulassen, die den Streubesitz-Eignern mehr als fünf Prozent aller Stimmrechte zubilligen. Wie subjektiv diese Entscheidung war, offenbart ein Detail in den Unterlagen des Unternehmens: In einer Umfrage hatte die Mehrheit der Investoren signalisiert, diese Schwelle gern höher setzen zu wollen. Bei 25 Prozent statt bei fünf, doch die Manager bei FTSE Russell entschieden anders, um ihre Indizes nicht zu sehr durchzuschütteln. So zeigten sich deutsche Finanzexperten im vergangenen Jahr skeptisch gegenüber den Indexanbietern. In einer Umfrage der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management wünschten sich drei Viertel der Finanzexperten: Wie sich die Indizes zusammensetzen und verändern, sollte transparenter sein.

Für die Indexanbieter sind die Aktienbarometer ein gutes Geschäft. Wenn ein passiver Indexfonds einem Aktienbarometer der Anbieter folgt, kassieren sie Lizenzgebühren. Aber auch aktive Fondsmanager zahlen an die Indexersteller: Wenn sie die Performance ihrer Fonds mit einem der Indizes vergleichen, müssen sie für dieses Schattenboxen zahlen. Das Geschäft rechnet sich: Bei MSCI betrug die Umsatzrendite im vergangenen Jahr 45 Prozent.

Dass die Indexanbieter an Macht gewonnen haben, hat inzwischen auch die Politik bemerkt. "Die Regulierungsbehörden schauen bereits auf die wesentlichen Indizes", sagt Petra von Kerssenbrock, Indexexpertin bei der Commerzbank. Denn seit Anfang des Jahres gilt auf europäischer Ebene die Benchmark-Regulierung. Mit ihr will die Europäische Wertpapieraufsicht Esma die Entscheidungen der Indexanbieter genauer beobachten und zusätzliche Kontrollen einführen.

In wenigen Wochen dürfte die Finanzwelt wieder gespannt nach Genf schauen, wo der Indexanbieter MSCI seinen Sitz hat. Am 20. Juni um 10.30 Uhr wird das Unternehmen verkünden, ob es Saudi-Arabien und Argentinien adeln und in den Rang von Schwellenländern erheben wird. Eines ist schon im Voraus klar: Es wird eine Milliarden-Entscheidung.

© SZ vom 04.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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