Immobilienboom:Zu viele Eigenheime auf dem Land

Lesezeit: 2 min

So schön ein Eigenheim ist - wo über Bedarf gebaut wird, kann der Weiterverkauf schwierig werden. (Foto: Jörg Buschmann)

Gemeinden weisen zu viele Baugrundstücke aus. Wer dort neu baut, hat nicht nur Vorteile.

Von Thomas Öchsner, Berlin

In vielen Landkreisen Deutschlands werden deutlich mehr Eigenheime gebaut als nötig. Das geht aus einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor. Demnach sind zwischen 2011 und 2015 im Durchschnitt in ländlichen Kreisen 20 Prozent mehr Wohnungen errichtet worden, als dies eigentlich sinnvoll wäre. Bei den Einfamilienhäusern sind es sogar mehr als doppelt so viele. In den sieben größten Städten entstanden hingegen nur etwa ein Drittel der benötigten Wohnungen - das sind 60 000 zu wenig.

"Wir stellen mit Schrecken fest, dass in ländlichen Regionen immer noch sehr viele Einfamilienhäuser gebaut werden", sagte IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer der Nachrichtenagentur dpa. Dadurch gebe es "eine verstärkte Zersiedelung". Falls die Eigentümer der neuen Häuser ihre Immobilie in Zukunft verkaufen wollten, dürften sie sich schwer tun: "Da die Bevölkerung schwindet, fällt die Nachfrage langfristig weg. Das wirkt sich natürlich auf die Preisentwicklung aus."

Schon jetzt stehen fast eine Million Wohnungen in ländlichen Regionen leer

In dem IW-Baubedarfsmodell werden einige extreme Beispiele genannt: So sind im niedersächsischen Landkreis Emsland zwischen 2011 und 2015 gut 1000 Wohnungen mehr gebaut worden, als dies auf Basis der Entwicklung der Bevölkerung und der Leerstände erforderlich gewesen wäre. Im hessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg überstieg die Anzahl der Neubauten den Bedarf um fast 2800 Prozent. Mehr als nötig gebaut wird laut den Kölner Wissenschaftlern auch in Teilen Unterfrankens. Im Landkreis Bad Kissingen etwa ist der Bedarf zu fast 600 Prozent überfüllt, im Landkreis Rhön-Grabfeld zu 400 Prozent.

Die niedrigen Kreditzinsen sind für die Forscher ein entscheidender Grund für die Überbauung. Dadurch seien für viele Familien die eigenen vier Wände erschwinglicher geworden, obwohl die Baukosten stetig gestiegen sind. Außerdem gebe es auf dem Land reichlich Baugrundstücke. Das wiesen die Kommunen großzügig aus, um neue Familien anzulocken, und die "bauen lieber etwas Neues", sagte Voigtländer.

Die IW-Forscher warnen deshalb: "Damit entstehen neue Leerstände, da die Bevölkerung insgesamt im ländlichen Raum schrumpft, und vor allem veröden Dorfzentren", heißt es in der Studie. Durch die Zersiedlung mit neuen Baugebieten werde die Infrastruktur nicht effizient genutzt, was die Kosten für die Kommunen erhöhe. Dadurch verlören die Gemeinden an Attraktivität, "wenn das Gebiet zersiedelt ist und Gebäude leer stehend sind und verfallen." Schon jetzt stehen nach Angaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung fast eine Million Wohnungen in ländlichen Regionen leer.

Die vielen Neubauten in ländlichen Regionen sieht auch der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) kritisch. "Der Boden als endliche Ressource muss vor maßlosem Flächenverbrauch und Versiegelung geschützt werden", sagte ein Nabu-Sprecher. Widerspruch kam vom Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund: "Wenn Bauland in Anspruch genommen wird, zeigt das doch, das Bedarf vorhanden ist."

Die IW-Forscher raten umzudenken: Gemeinden mit Bevölkerungsschwund sollten keine neuen Bauflächen ausweisen und den Neubau an einen Abbau von Leerstand koppeln.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: