IG-Metall-Chef Berthold Huber:"Der Kapitalismus muss zivilisiert werden"

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IG-Metall-Chef Berthold Huber über die Vorteile des VW-Gesetzes, inwiefern Arbeitnehmer von mehr Mitbestimmung profitieren könnten - und warum unternehmerischer Erfolg nicht abschreckend wirkt.

Sibylle Haas

Berthold Huber führt seit November vergangenen Jahres die IG Metall als Vorsitzender an.

IG-Metall-Chef Berthold Huber: "Ich würde mir wünschen, dass wir Regelungen, wie sie das VW-Gesetz vorsieht, auch in anderen Unternehmen hätten." (Foto: Foto: ddp)

SZ: Herr Huber, auch das neue VW-Gesetz sieht weitreichende Arbeitnehmerrechte vor. Warum brauchen wir so ein Korsett?

Berthold Huber: Wir haben in Deutschland nicht zu viel, sondern eher zu wenig Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Ich würde mir wünschen, dass wir Regelungen, wie sie das VW-Gesetz vorsieht, auch in anderen Unternehmen hätten. Dann wären weder Nokia in Bochum, noch AEG in Nürnberg dem rein profitorientierten Kapitalismus zum Opfer gefallen.

SZ: Geben Sie Firmen, deren Konkurrenz auf dem Weltmarkt billiger ist, wirklich langfristig eine Überlebenschance?

Huber: Ich höre das jetzt schon seit Jahrzehnten. Nokia hat einen Lohnkostenanteil von unter fünf Prozent in Bochum gehabt und war dort profitabel. Das hat den Standort aber trotzdem nicht gerettet. Das Problem sind nicht die Kosten, sondern der Kapitalismus der Anteilseigner, der auf immer höhere Renditen ausgerichtet ist. Andersrum wird ein Schuh draus: Nur wenn wir dieser Logik ein umfassenderes Bild unternehmerischen Handelns entgegensetzen, werden wir langfristig auf den globalisierten Märkten überleben. VW ist dafür ein gutes Vorbild.

SZ: Die VW-Novelle soll also auch auf andere Konzerne wie Daimler und Siemens übertragen werden?

Huber: Seit der Existenz der Gewerkschaftsbewegung kämpfen die Arbeitnehmer um größeren Einfluss in den Unternehmen. Der Kapitalismus muss zivilisiert werden. Insofern wäre es natürlich wünschenswert, wenn wir überall weiter gehende Mitbestimmungsrechte erhielten. Ich bin jedoch realistisch genug zu wissen, dass es derzeit keine politischen Mehrheiten dafür gibt, dies in anderen großen Konzernen durchzusetzen.

SZ: Kritiker sprechen von Staatssozialismus, weil die Arbeitnehmer bei VW Betriebsverlagerungen verhindern können.

Huber: Das ist blanke Polemik. Aus dieser Kritik spricht historische Unkenntnis und ideologische Einfalt. Volkswagen ist ein Weltkonzern mit einer hervorragenden Marktstellung und einem herausragenden Potential für die Zukunft. Das Unternehmen hat sich nicht trotz, sondern wegen der Mitbestimmung so weit entwickeln können. Was ist schlecht daran, wenn sich Arbeitnehmer gegen die Verlagerung ihrer Arbeitsplätze wirksam zur Wehr setzen können?

SZ: Was müssen die Beschäftigten befürchten, wenn Porsche bei VW die Fäden in die Hand nimmt?

Huber: Darum geht es nicht. Es geht darum, dass existierende und auch ökonomisch gut begründete Rechte der Arbeitnehmer nicht geschliffen werden. Es geht darum, dass die Gemeinwohlorientierung, die im VW-Gesetz ihren Niederschlag findet, erhalten bleibt. Es ist doch nicht verwerflich, dass wir uns dafür einsetzen. Im Übrigen glaube ich, dass Porsche durch die Zusammenarbeit mit Volkswagen viele Vorteile erhält, die der Marke die Zukunft sichern.

SZ: Porsche will ein neues VW-Gesetz verhindern. Sie sprechen von historischer Ahnungslosigkeit. Welche Rolle spielt die Nazi-Zeit heute bei VW?

Huber: Was viele nicht wissen, ist, dass Volkswagen aus Gewerkschaftsvermögen entstanden ist, das von den Nazis beschlagnahmt wurde. Folgerichtig entwickelte sich in der Nachkriegszeit der Anspruch sowohl der britischen Militärregierung als auch der Bundesregierung, Volkswagen als ein Unternehmen zu erhalten, in dem der Einfluss der Gesellschaft durch den Staat als auch der Arbeitnehmer einen hohen Stellenwert hat. Nur unter diesen Umständen hat der DGB darauf verzichtet, Eigentumsrechte einzuklagen. Jedem, der Anteile an Volkswagen erwirbt, muss diese historische Verantwortung bewusst sein.

SZ: Historische Verantwortung und Unternehmensführung in einer globalen Wirtschaft - passt das zusammen?

Huber: Ausdruck dieser Geschichte ist ein unternehmerisches Leitbild, wonach gute Renditen und nachhaltige Beschäftigung sich nicht widersprechen, sondern gleichrangig sind. Die Spitzenposition von VW in der Welt unterstreicht doch, wie erfolgreich diese Form des Wirtschaftens ist. Das verstehe ich unter moderner Unternehmensführung, da können sich andere ein Beispiel nehmen.

SZ: Schreckt ein derart mitbestimmtes Unternehmen wie VW Investoren nicht eher ab?

Huber: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Erfolg abschreckend wirkt. Porsche ist doch gerade mit vielen Milliarden Euro eingestiegen. Außerdem: Wenn Investoren abgeschreckt werden, die ein Unternehmen beispielsweise mit Blick auf hohe Renditen für Aktionäre zerschlagen und verscherbeln, dann empfinde ich das nicht als Nachteil.

© SZ vom 11.03.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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