Hutindustrie:Mehr Mut zum Hut

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Nur wenige Männer tragen heute noch Hüte. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Nur sehr wenige Männer tragen heute noch Hüte, von teuren Maßanfertigungen ganz zu schweigen.
  • Das war früher anders: Über Jahrhunderte galt ein Mann, der das Haus ohne Hut verlässt, als nicht vollständig angezogen.

Von Björn Finke

Hamish will Kaninchenfilz, in hellgrau. Daraus soll sein neuer Hut bestehen. Tamara Williams fragt den Mann, ob die Krone des Hutes, also die Oberseite, eine tränenförmige Delle haben soll. "Ja, und sie soll ein bisschen stärker eingedrückt sein", sagt der Kunde. Dessen Kopfumfang hat Williams bereits früher gemessen; Hamish bestellt bei der Londoner Hutmacherin nicht zum ersten Mal: 56 Zentimeter, etwas kleiner als im Durchschnitt. "Soll die Krempe breiter sein?", will Williams wissen. Die beiden einigen sich darauf, die wichtige Frage der Krempenbreite beim nächsten Termin zu erörtern.

Bei diesem Termin wird Hamish - ein junger Mann mit schickem Anzug - den maßgeschneiderten Hut erstmals auf seine Glatze setzen und mit Williams letzte Änderungen besprechen. Für den Luxus einer individuell angefertigten Kopfbedeckung aus Kaninchenfilz zahlt er 425 Pfund, also fast 600 Euro. Ein stolzer Preis, aber der Kunde sagt, das sei es ihm wert: "Es ist kalt in London, und ich habe eine Glatze. Darum trage ich Hut", erklärt er. "Und weil mein Kopf eher klein ist, passen mir maßgeschneiderte Hüte viel besser als fertige aus dem Laden."

Eine Nische innerhalb der Nische

Ein Glück für Tamara Williams. Die junge Frau gründete mit einer Freundin Anfang des Jahres einen Hutmacher-Betrieb in der britischen Hauptstadt. Hutmacher heißt Milliner auf Englisch, daher nannten sie ihr Unternehmen The City Milliner. Das Duo verkauft vor allem Herrenhüte - und ausschließlich Maßanfertigungen. Damit bedienen sie eine Nische innerhalb der Nische: Hüte tragen heute nur noch sehr wenige Männer, von teuren Maßgeschneiderten ganz zu schweigen.

Das war früher anders. Über Jahrhunderte galt ein Mann, der das Haus ohne Hut verlässt, als nicht vollständig angezogen. Selbst Fotos und Filme aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zeigen wenige Männer oben ohne. Konrad Adenauer trug meist einen sogenannten Homburger spazieren, einen Hut mit hochgebogener Krempe. Humphrey Bogarts coolen Blick verschatteten Fedora-Hüte. Doch spätestens seit den sechziger Jahren sind diese Kopfbedeckungen schwer außer Mode. Der jung-dynamische John F. Kennedy schwor 1961 als erster US-Präsident barhäuptig den Amtseid.

Gewagtere Männerfrisuren - weniger Hüte

Die Frisuren der Herren wurden in den sechziger Jahren gewagter - solche Kunstwerke würde ein Hut nur platt drücken. Immer mehr Männer konnten sich zudem ein Auto leisten, und zwischen Kopf und Blechdach passt meistens kein Hut. Eher noch eine sportliche Schirmmütze. In London war einst der Bowler Hat, die Melone, Kopfbedeckung der Wahl für Banker. Auch das ist vorbei. Wer als junger Mann so einen Hut trägt, gilt heute als Exzentriker. Wobei es im Königreich durchaus einige Anlässe gibt, zu denen Frauen und Männer mit Hut erscheinen: das berühmte Pferderennen in Ascot etwa. Da führen Herren ihre Zylinder aus, und die weiblichen Untertanen Ihrer Majestät balancieren ausladende Skulpturen auf der teuer frisierten Haarpracht.

Tamara Williams will aber keine extravaganten Kopfbedeckungen für spezielle Festivitäten schaffen. Die Hut-Enthusiastin, die vorher beim Konsumgüter-Konzern Procter & Gamble und in einer Beratung gearbeitet hat, konzentriert sich auf Mode für den Alltag. Zylinder und Melonen hat sie gar nicht im Angebot. "Ich möchte, dass mehr Menschen jeden Tag einen Hut tragen", sagt die Gründerin. Ein Hut verändere das komplette Aussehen eines Menschen - und wie andere auf ihn reagieren. Ein Hut könne ein Schutzschild sein oder ein Ausdruck der Persönlichkeit, sagt sie.

Im ersten Jahr verkauften Williams und ihre Geschäftspartnerin vor allem Panama-Strohhüte und Trilby-Hüte - ein Modell ganz ähnlich der berühmten Kopfbedeckung Humphrey Bogarts. Auch maßgefertigte Schieber- und Ballonmützen wurden geordert. Bislang hat das Duo gut 40 Mützen oder Hüte gefertigt. "Ein Gehalt können wir uns von dem Umsatz noch nicht zahlen" sagt die Gründerin. "Wir investieren sämtliche Einnahmen."

Ein Blick ins Atelier zeigt, wohin das Geld fließt. In durchsichtigen Plastikboxen lagern dort Filze in unterschiedlichen Farben und von verschiedenen Tieren. Am teuersten ist Filz aus Biberfell. Im Regal stehen Blöcke aus Holz, die unterschiedliche Hutformen und -größen abbilden: rund oder eckig, mit und ohne Delle auf der Oberseite. Auf diese Blöcke legt Williams den Filz und modelliert so die Hüte. Am Ende versteift sie den Filz mit einer Chemikalie, schneidet die Krempe zu, näht Bänder und Innenfutter fest.

Sogar der italienische Traditionsbetrieb Borsalino musste Insolvenz anmelden

Auf einem der Holzblöcke ist die Jahreszahl "1939" zu lesen: Zahlreiche Werkzeuge hat Williams gebraucht gekauft; es gibt nicht mehr viele Zulieferer. Als Kopfbedeckungen aus der Mode kamen, mussten Hutfabriken schließen - und deren Lieferanten. Anfang des Jahres meldete sogar die italienische Traditionsmarke Borsalino Insolvenz an, deren Hüte zahlreiche Prominente getragen haben. Ein Investor rettete den Betrieb später. Williams ließ sich von der Branchenkrise nicht abschrecken. Nachdem sie ihre vorherige Stelle verloren hatte, kam ihr der Gedanke, sich mit Hüten selbständig zu machen. "Ich liebe Hüte", sagt sie. Die junge Frau besuchte Kurse für Gründer und für Hutmacher. Im Februar öffnete The City Milliner in London.

Mit ihrem Angebot steht sie alleine da. Zwar ist London Heimat berühmter Hutmacher, die für Anlässe wie eben das Rennen in Ascot kunstvolle Damenhüte zaubern. Aber diese Rivalen sind auf Frauenmode spezialisiert und produzieren Herrenhüte nur nebenher. Williams hingegen stellt Alltagshüte vor allem für Männer her. Und dann gibt es in der Stadt noch altehrwürdige Hutgeschäfte wie Lock & Co, gegründet 1676 und Erfinder der Melone. Doch Lock verkauft anders als Williams in erster Linie fertige Hüte, keine Maßanfertigungen.

Williams und ihre Partnerin hoffen also auf Erfolg in der Nische. Und darauf, dass mehr Männer Mut zum Hut zeigen.

© SZ vom 31.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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