Hochgeschwindigkeitszug:Eine Frage des Preises

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Kaliforniens Gouverneur Jerry Brown (Mitte li.) und seine Frau (Vierte von re.) signieren ein Gleisstück für die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke. (Foto: Gary Kazanjian/AP)

Kalifornien streitet über einen Schnellzug zwischen San Francisco und Los Angeles.

Von Jürgen Schmieder, Las Vegas

Die Debatte klingt ein bisschen wie eine Matheaufgabe für Drittklässler: Du willst mit Deiner besten Freundin von Los Angeles nach San Francisco gelangen. Ein Flug dauert 65 Minuten, die Tickets kosten insgesamt 280 Dollar. Mit dem Auto benötigt Ihr sechs Stunden und Benzin für 65 Dollar. Bei der Fahrt mit dem Hochgeschwindigkeitszug seid Ihr 160 Minuten unterwegs und müsst 86 Dollar pro Teilnehmer bezahlen. Welche Form der Fortbewegung würdet Ihr wählen?

Darüber diskutieren die Menschen in Kalifornien, seit die California High-Speed Rail Authority (CHRA) ihre aktuelle Prognose für das 68-Milliarden-Dollar-Projekt veröffentlicht hat, das im Jahr 2028 voll einsatzfähig sein soll: 86 Dollar soll die Fahrt im Schnitt kosten, das wären 12,5 US-Cent pro Kilometer und deutlich weniger, als etwa in Deutschland, Italien oder Frankreich für Zugfahrten bezahlt wird. Die Los Angeles Times präsentierte kürzlich die Preise auf vergleichbaren Hochgeschwindigkeits-Strecken: Die Fahrt von Mailand nach Salerno kostet demnach 15,6 Cent pro Kilometer, die von Hannover nach Würzburg 28,8 Cent und die von Paris nach Lyon gar 32,5 Cent. Nur die Reise von Peking nach Shanghai ist mit 13,7 Cent ähnlich günstig.

Es ist deshalb keineswegs nur eine kalifornische Debatte, die da gerade geführt wird, die übergeordnete Frage ist weltweit gültig: Wie lassen sich Menschen möglichst effizient von A nach B transportieren? Und was wird das kosten? Schließlich, und da sind sich ausnahmsweise alle am Projekt beteiligten Personen einig, dürften die Kosten für eine Fahrt neben der Dauer das ausschlaggebende Kriterium für die Entscheidung sein.

Die Verbindung zwischen den beiden etwa 640 Kilometern entfernten Großstädten an der Westküste stößt nicht nur deshalb auf so großes Interesse, weil die Menschen in Silicon Valley und Silicon Beach sowieso andauernd über die Zukunft nachdenken und der effiziente Transport eines der ungelösten Probleme ist. Zwei Städte mit Flughafen, verbunden durch ordentliche Straßen und brauchbare Schienen - kurzer Flug, mittlere Bahnreise, machbare Autofahrt -, sind eine ideale Teststrecke, weil es das beinahe überall auf der Welt gibt. Von Köln nach München. Von Berlin nach Wien. Von Hamburg nach Paris.

Fügt man dem kalifornischen Modell einige Variablen hinzu, wie etwa Anzahl der Reisenden, Reisegrund, Art der Gepäckstücke, Frühbucherrabatte und andere Sparangebote, CO₂-Verbrauch sowie Transportmöglichkeiten am Zielort, dann wird aus dem Rätsel für Drittklässler schnell eine kaum lösbare Aufgabe. Genau so eine Arbeit müssen die Verantwortlichen des Zugprojekts nun abliefern, sie müssen die Frage beantworten: Lohnt es sich tatsächlich, diese Bahnstrecke zu bauen? Kann sie zu dem derzeit prognostizierten Durchschnittspreis jemals profitabel sein wie etwa die Strecke in Frankreich?

Die Problem ist, dass sie sich dabei nicht nur auf die Analyse vorhandener Daten und Umfragen verlassen können, sondern auch einen Blick in die Glaskugel werfen müssen. Wie knifflig das ist, zeigt allein die Zahl der prognostizierten Fahrgäste: Als die Kalifornier vor sieben Jahren über die erste Finanzierung des Projektes abstimmen mussten, da war von 117 Millionen Passieren pro Jahr die Rede. Seither ähnelt die Prognose einer permanenten Wellenbewegung mit knapp zehn Millionen Fahrgästen als niedrigsten Punkt. Die aktuellen Schätzungen liegen zwischen 18 und 31 Millionen Passagieren. Auch der prognostizierte Durchschnittsfahrpreis schwankt zwischen 50 Dollar (bei der Abstimmung vor sieben Jahren) und 105 Dollar.

"Wir sind zuversichtlich, dass wir die Gewinnschwelle erreichen können", sagt Jeff Morales. Diese Aussage ist nicht verwunderlich, der Mann ist der Chef der CHRA. Er behauptet, dass die Prognosen verlässlich seien und die Züge rasch profitabel sein werden. Kritiker dagegen wie Lisa Schweitzer, Professorin für Transport und Städteplanung an der University of Southern California, halten derart langfristige Prognosen für unzuverlässig und ein Projekt wie den Hochgeschwindigkeitszug für kaum kalkulierbar: "Schon in fünf Jahren können sich viele Dinge ändern." Es bestünde deshalb die Gefahr, dass die CHRA lange Zeit auf Subventionen angewiesen sein könnte.

Die Verantwortlichen der CHRA werben noch immer um Zustimmung in der Bevölkerung, sie verweisen auch Umweltschutz, verstopfte Straßen und die Bequemlichkeit in den geplanten Zügen. Dass sie aber in regelmäßigen Abständen neue Fahrpreisprognosen veröffentlichen, verdeutlich jedoch: Was die meisten Menschen bei dieser kniffligen Rechnung letztlich wirklich interessiert, das ist die Zahl am Ende. Diese einfache Zahl, die ausdrückt, was sie bezahlen müssen, um von A nach B zu gelangen.

© SZ vom 20.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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