Haushalt:Sparen? Bloß nicht!

Haushalt: Am 9. Oktober verabschieden die Euro-Finanzminister Wolfgang Schäuble (li.). EU-Kommissar Pierre Moscovici (re.) nennt ihn einen "fantastischen Kerl". Geht nun die Haushaltsdisziplin flöten? "Nein", verspricht der Österreicher Hans-Jörg Schelling.

Am 9. Oktober verabschieden die Euro-Finanzminister Wolfgang Schäuble (li.). EU-Kommissar Pierre Moscovici (re.) nennt ihn einen "fantastischen Kerl". Geht nun die Haushaltsdisziplin flöten? "Nein", verspricht der Österreicher Hans-Jörg Schelling.

(Foto: John Thys/AFP)

Jahrzehntelang glaubten Ökonomen, dass Staatsausgaben auf Pump mehr schaden als nutzen, weil sie die Inflation anheizen und die Schuldenlast erhöhen. Diese Sicht ist überholt.

Von Catherine Hoffmann

Wie wenig Zustimmung Konjunkturpolitik heute findet, zeigt ein Blick ins Zeitungsarchiv: Die meisten Artikel stammen aus den Siebzigerjahren. Damals wurde noch leidenschaftlich darüber gestritten, ob der Staat die Wirtschaft durch höhere Ausgaben antreiben darf oder ob der Schuldenberg des Staates nicht längst zu groß ist für weitere kreditfinanzierte Investitionen. Mit dem Sturz der sozial-liberalen Koalition im Herbst 1982 hatte die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik in Deutschland dann ausgedient. Helmut Kohl kündigte in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 einen Politikwechsel an: "Wir führen den Staat auf seine Kernaufgaben zurück."

Das Dogma gilt bis heute: Die Bundesregierung pocht auf die schwarze Null und geizt trotz hoher Haushaltsüberschüsse und günstiger Zinsen mit wichtigen Investitionen, sehr zum Ärger der europäischen Nachbarn. Lediglich im ersten Kabinett von Angela Merkel erlebte die nachfrageorientierte Konjunkturpolitik eine kurze Renaissance: Die Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2008 ihren Lauf nahm, wurde mit den Konjunkturpaketen I und II bekämpft - mit Erfolg. Sogar schärfste Kritiker dieser keynesianisch motivierten Politik fanden anerkennende Worte dafür.

Doch seit die schlimmsten Folgen der Krise in Deutschland überwunden sind, mag man davon nichts mehr wissen - das zeigt sich allein schon daran, dass vielen Krisenstaaten der Euro-Zone mit Verweis auf ihre hohen Staatsschulden und Haushaltsdefizite Sparsamkeit verordnet wurde. Das lässt befürchten, dass im nächsten Abschwung in Europa eher gezaudert denn gehandelt wird; es wäre fatal.

Denn die jüngsten Erfahrungen deuten darauf hin, dass eine aggressive Fiskalpolitik als Antwort auf eine Wirtschaftskrise sicherer sein kann als ein vorsichtiger Ansatz. Die Ökonomen Alan Auerbach und Yuriy Gorodnichenko von der University of California, Berkeley, kommen in einer jüngst veröffentlichten Studie zu dem Ergebnis, dass Konjunkturanreize nicht zu höheren Schuldenquoten oder zu höheren Zinsen führen müssen. Es gebe sogar Fälle, in denen Gläubiger die Kreditwürdigkeit eines Staates besser beurteilten, nachdem sich die Regierung dort zu einem groß angelegten Konjunkturprogramm durchgerungen hatte.

Die Forscher haben die Daten von 20 Mitgliedern der Industrieländerorganisation OECD aus den Jahren 1980 bis 2017 analysiert. Sie haben zum Beispiel gemessen, wie stark sich Zinsen und Schuldenquoten durch einen ökonomischen Schock verändert haben. Ergebnis: praktisch gar nicht. Wie glimpflich ein Land davonkommt, hängt allerdings davon ab, wie schnell eine Regierung als Antwort auf die Krise ein Konjunkturpaket schnürt.

In der nächsten Wirtschaftskrise dürften viele Politiker allerdings nur zögerlich kreditfinanzierte Konjunkturprogramme auflegen. Und das nicht allein aus ideologischen Gründen, sondern angesichts der gewaltigen Schuldenberge: In allen Industrieländern - mit Ausnahme Deutschlands - sind die staatlichen Schuldenquoten heute noch höher als vor der Finanzkrise. Eigentlich würde man erwarten, dass eine weitere Kreditaufnahme zu steigenden Zinsen führt, weil die Gläubiger zunehmend zweifeln, ob die Schulden auch wie versprochen bedient werden. Zudem würden steigende Ausgaben für Zinsen und Tilgungen den staatlichen Handlungsspielraum verringern und so knappere Ausgaben für wichtige andere Projekte erzwingen.

Eine Rezession lässt sich mit Konjunkturprogrammen erfolgreich bekämpfen

Auerbach und Gorodnichenko fanden jedoch heraus, dass die Zinsen nur ein klein wenig steigen, und das auch nur, wenn die Schuldenlast schon vor der Krise hoch war. Mit anderen Worten: Auch hochverschuldete Regierungen müssen nicht mit steigenden Kreditkosten rechnen, wenn sie eine Rezession mit aktiver Konjunkturpolitik zu überwinden suchen.

Die beiden Wissenschaftler knüpfen an die Forschung von Bradford DeLong, ebenfalls aus Berkeley, und Lawrence Summers von der Harvard University an. Diese befürchten, dass ausgedehnte Perioden schwachen Wirtschaftswachstums das Potenzial einer Volkswirtschaft schrumpfen lassen, weil wichtige Investitionen nicht getätigt werden und talentierte Arbeitskräfte ihren Job verlieren. Gelinge es, das mithilfe eines Konjunkturprogramms zu verhindern, sei das Wirtschaftswachstum später dauerhaft höher. Und das wiederum decke die Kosten des Konjunkturprogramms, mit dem die Flaute bekämpft wurde. Höhere Ausgaben finanzieren sich also größtenteils von selbst, indem sie das Wachstum anregen, die Beschäftigung steigern und die Steuereinnahmen mehren.

Damit widersprechen sie der bislang noch vorherrschenden Lehre: Seit den Achtzigerjahren waren sich Ökonomen und Politiker mehrheitlich einig, dass Staatsausgaben auf Pump mehr schaden als nutzen; sie sorgten sich vor allem um die Stabilität des Preisniveaus und der Staatsfinanzen. Ökonomen fast jeder Couleur argumentierten, dass sich das Bruttoinlandsprodukt durch kreditfinanzierte Ausgaben kaum erhöhen ließe. In ihrer Sprache heißt das dann, dass der finanzpolitische Multiplikator sehr klein sei. Dies vor allem deshalb, weil die Haushalte in Erwartung künftiger Steuererhöhungen zu sparen anfingen. Außerdem befürchtete man eine Art Verdrängungseffekt: Durch die wachsende Staatsverschuldung werde auf den Kapitalmärkten das Geld knapp, private Investoren bekämen nicht mehr genügend günstige Kredite.

Doch diese Ansichten sind überholt. Vor allem die Vorstellung, dass fiskalische Stimuli ineffektiv sind, dürfte widerlegt sein. Infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise beschäftigten sich viele Ökonomen erstmals seit fast 50 Jahren wieder ernsthaft mit dem Thema. Sie kamen zu dem überraschenden Ergebnis, dass der Multiplikator deutlich größer ist, als einst gedacht, und zwar besonders dann, wenn den Geldpolitikern die Hände gebunden sind, etwa weil die Zinsen schon sehr niedrig sind. In einer solchen Situation liegt der Multiplikator einer Volkswirtschaft oft nahe zwei, das heißt, das Bruttoinlandsprodukt steigt beinahe doppelt so stark wie der ursprüngliche Stimulus gewesen ist. Eine Rezession lässt sich also sehr wirksam mit Konjunkturprogrammen abschwächen.

Darüber hinaus zeigte sich, dass alle Versuche, mitten in der Krise die Staatshaushalte zu konsolidieren, der Wirtschaft schaden: Egal, ob höhere Steuern oder geringere Staatsausgaben - die Maßnahmen führen dazu, dass das Bruttoinlandsprodukt noch stärker schrumpft als ohnehin. Mit anderen Worten: Es gibt einen negativen Multiplikator, der sogar den Faktor drei haben kann.

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