Handelsplattform Jet.com:Ein riskanter Plan

Lesezeit: 2 min

Die Handelsplattform Jet.com will Amazon übertrumpfen. Doch damit das klappt, muss sie erst einmal investieren - und das nicht zu knapp. Es ist eine Wette mit hohem Einsatz.

Von Helmut Martin-Jung, München

Wenn man das Erfolgsrezept des Amazon-Gründers Jeff Bezos in einem Satz zusammenfassen müsste, wäre es dieser: "Get big fast", also: wachsen, und zwar schnell. Aus bescheidenen Anfängen mit aufgebockten Zimmertüren als Schreibtischen hat es der Konzern aus Seattle binnen kürzester Zeit zum größten Online-Händler der Welt gebracht. Und auch als Amazon 1997 an die Börse ging, hatte Bezos bloß zehn Millionen Dollar eingesammelt. Verglichen damit ist das Start-up Jet eine andere Nummer. 220 Millionen Dollar haben Risikokapitalgeber in die Firma gesteckt, bis Jahresende soll noch wesentlich mehr dazu kommen. Es ist eine gigantische Wette. Eine Wette darauf, dass Jet schafft, was andere für völlig aussichtslos halten: Amazon zu übertrumpfen.

Damit das funktioniert, muss Jet.com eine Art Turbo-Amazon werden. Die Firma lebt daher auf Pump, und zwar richtig. Um das Versprechen erfüllen zu können, alle möglichen Produkte zu besorgen und das auch noch billiger als die Konkurrenz, schmelzen die Gewinne von Jet, ja meistens zahlt die Firma sogar drauf. Denn noch hat sie nicht einmal Lieferverträge mit allen relevanten Firmen.

Die Menge macht's - je mehr die Kunden einkaufen, desto billiger wird es für sie

Bestellt ein Kunde etwas bei Jet, ist es in einem Drittel aller Fälle so, dass Jet-Mitarbeiter die Bestellung bei einem anderen Anbieter aufgeben und sie direkt an den Kunden liefern lassen. Verschiedene Anbieter, die sich zunächst über stark gestiegene Erlöse gefreut hatten, sind aufgewacht - und einige haben es Jet.com untersagt, sie sozusagen als Warenlager zu missbrauchen und die Ware dann auch noch billiger abzugeben.

Die Geschäftsidee von Marc Lore, dem Gründer und Chef von Jet, funktioniert nur, wenn ihm zwei Dinge gelingen: Er muss möglichst viele davon überzeugen, dass es sich für sie lohnt, einen Jahresbeitrag von 50 Dollar zu bezahlen. Und sie müssen auch viel über die Webseite Jet.com bestellen. Der Plan geht dann auf, rechnet Lore vor, wenn bis 2020, also in weniger als fünf Jahren, Waren im Wert von 20 Milliarden Dollar gekauft werden. Dazu verlockt werden sollen die Kunden mit Zusatzrabatten. Je mehr sie kaufen, umso billiger wird es für sie. Lore, so sagte ein Vertreter einer Risikokapitalfirma dem Wall Street Journal, "geht aufs Ganze". Dabei ist einkalkuliert, dass die jetzt häufig benutzte Notlösung, die Ware woanders einzukaufen, mit der Zeit immer weniger angewendet werden müsse. Das glaubt zumindest der Firmenboss. Irgendwann werde das bloß noch für obskure Artikel zutreffen.

Die Idee des Marc Lore ist also reichlich riskant, aber wieso vertrauen ihm die Geldgeber? Zum einen lieben die Risikokapitalgeber solche Moonshot-Projekte, also Vorhaben mit großer Fallhöhe. Falls es klappt, ist der Gewinn gigantisch. Zum anderen ist einfach auch viel Geld da - warum nicht auf ein Pferd setzen, das zumindest eine reelle Chance hat?

Dass dem so ist, dafür spricht auch die Geschichte des Marc Lore. Der Mittdreißiger, der 1993 an der Bucknell University in Pennsylvania seinen Abschluss in Betriebswirtschaft gemacht hat, weiß nämlich, wovon er redet. 2005 gründete er die Firma diapers.com, bei der es um Windeln und anderen Baby-Bedarf ging, später kamen einige andere Plattformen dazu, alle gebündelt unter der Holdingfirma Quidsi. Die eher unbekannte Qudisi mitsamt ihren bekannten Ablegern wurde 2011 aufgekauft. Und zwar von keinem geringeren als Amazon, für 545 Millionen Dollar. Quidsi war schon die zweite Firma, die Lore erfolgreich verkauft hatte, davor schlug er eine 2001 gegründete Firma für Sport-Sammelkarten los.

Bis zu diesem Dienstag konnte man bei Jet nur einkaufen, wenn man eine Einladung dazu hatte. Nun ist die Seite für alle Amerikaner offen, Kunden aus anderen Teilen der Welt akzeptiert Jet.com derzeit noch nicht. Doch wenn die Firma so aggressiv wachsen will, ja muss, wird auch die internationale Expansion nur eine Frage der Zeit sein - es sei denn, ihr geht vorher das Geld aus.

© SZ vom 22.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: