Hamburger Hafencity:Zimmer mit Aussicht

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Hamburgs Hafencity ist Europas größtes Stadtentwicklungsprojekt, 12.000 Menschen sollen hier bald wohnen - doch die Unternehmer fürchten die neue Nachbarschaft.

Meite Thiede

Horst Tillmanns Wohnung hat eine riesige Fensterfront, das Glas geht bis zum Boden, und Sofas, Schreibtisch und die Essecke sind einzig und allein auf den freien Blick nach draußen ausgerichtet. Den 65 Jahre alten Rentner stört es nicht, dass er im Moment nur Kräne, Baumaschinen und das Wetter beobachten kann. Bald werden da drüben nämlich superschicke Häuser stehen, ähnlich auffallend wie seines; in dem Hafenbecken vor seiner Wohnung werden Schiffe liegen, und wenn er sich ein wenig nach rechts aus dem Fenster lehnt, dann wird Tillmann dort sogar die Elbphilharmonie sehen können, jenen spektakulären gläsernen Konzertsaal, der auf einem alten Speicher errichtet wird und vielleicht einmal den Michel als Hamburgs Wahrzeichen ablöst. "Schifffahrt war schon immer meine Leidenschaft", sagt der Ex-Reedereikaufmann, begeisterte Segler und regelmäßige Kreuzfahrer. "Und hier habe ich eine schöne Wohnung in Superlage direkt am Wasser."

Ein Modell der Elbphilharmonie im Infocenter Hafencity in Hamburg: Hamburgs Wohnungsbaugenossenschaften wollen hier in den Bau neuer und die Modernisierung bestehender Wohnungen investieren. (Foto: Foto: dpa)

Der Hafen bringt Dreck, Lärm und Gestank mit sich

Tillmann ist ein Pionier: Zusammen mit seiner Frau Jasmine und dem Boxerhund Anton gehört er zu den ersten Bewohnern der Hamburger Hafencity, Europas größtem Stadtentwicklungsprojekt. Im alten Freihafen, wo einst Kaffeesäcke und Orientteppiche geschleppt wurden, wird gerade ein riesiger neuer Stadtteil aus dem Boden gestampft, in dem in ein paar Jahren 12.000 Leute leben und 40.000 Menschen in Büros arbeiten sollen. Feinste Lage und nur zehn Gehminuten in die City.

Doch gerade wegen ihrer "Superlage" spaltet diese "Stadt für das 21. Jahrhundert" die Leute im Hafen. Nicht nur um die Flächen wird gekämpft, jeder Hafen bringt Dreck, Lärm und Gestank mit sich, und das sorgt, eine Woche vor der Bürgerschaftswahl, für neuen Ärger.

Zum Wohnen scheint es am nördlichen Elbufer wirklich perfekt zu sein: Alles ist neu und chic, es wird Restaurants und Cafés geben, Museen und Terrassen direkt am Wasser. Und mittendrin liegt auch noch das Kreuzfahrtterminal, wo die riesigen Traumschiffe festmachen. Nach Süden aber liegen auf der anderen Seite der Elbe die Containerterminals. Das ist schön anzusehen, wenn die bunten Stahlkisten dort aus den Schiffsbäuchen gehievt werden, aber der Hafen ist nun mal reines Industriegebiet. "Wir arbeiten hier rund um die Uhr, und nachts sind die Terminals taghell ausgeleuchtet", sagt Hans-Dieter Wilde. Er ist Geschäftsführer von Wallmann & Co., einem Umschlagsbetrieb in Wilhelmsburg.

Eine solche künstliche Aufhellung des Nachthimmels nennt man "Lichtverschmutzung", weiß Wilde. Er befürchtet, dass sich später die neuen Nachbarn, die ja viel Geld für ihre Luxuswohnungen bezahlen werden, darüber beschweren könnten. Am Kai quietscht auch schon mal das Ladegeschirr, wenn tonnenschweres Stückgut auf Schiffe verfrachtet wird. Und die monstergroßen Van-Carrier, die die Container an Land verschieben, müssen aus Sicherheitsgründen immer piepen, wenn sie rückwärts fahren. Manchmal scheint es in den schönen Wohnungen am Nordufer der Elbe, als würden sie andauernd rückwärts fahren.

Einer wie Tillmann, der einen Tidenkalender und Schiffsmeldelisten am Kühlschrank pinnen hat, unterscheidet da auch ganz genau: Die Schiffe haben es ihm angetan, nicht der Hafen. "Was ist denn daran Tolles? Das ist doch alles Industrie. Der Hafen brummt wie ein Bienenhaus." Da ist es gut, dass die Fenster in den Neubauten der Hafencity bestens isoliert sind.

"Jeder will am Wasser wohnen, aber wenn es staubt und stinkt, dann läuft man in Deutschland doch gleich zum Kadi", sagt Norman Zurke, Geschäftsführer vom Unternehmensverband Hafen Hamburg. "Eine Waterfront ist ja in Ordnung, aber dem Hafen dürfen dadurch keine Flächen weggenommen werden." Wenn die schönen Wohnviertel noch weiter ausgedehnt werden sollen, gar den "Sprung über die Elbe" tun, dann werde es kritisch, fürchtet Zurke.

Schon jetzt leiden die Hafenbetriebe unter Platznot. Der Hafen boomt, konnte die Stadt gerade erst wieder verkünden. Die Unternehmen verdoppeln ihre Kapazitäten derzeit auf 19 Millionen Container und investieren jedes Jahr dreistellige Summen. Die Betriebe reizen die Flächen, die sie schon haben, bis an die Schmerzgrenze aus, neue Flächen zu bekommen, war in Hamburg schon immer ein Krampf. Man kann eben nicht, wie zum Beispiel in den asiatischen Häfen, die direkt am Meer liegen, einfach mal die Kaimauer verlängern und dahinter für die Terminals ein paar Hektar Land planieren. Hamburgs Hafen liegt an der Elbe und mitten in der Stadt. Jede Expansion strapaziert deshalb auch gehörig die Nerven von Anwohnern, Umweltschützern, Unternehmern und Behörden. Mal müssen der Wachtelkönig oder der Wasserschierlingsfenchel geschützt, mal ganze Wohnquartiere plattgemacht werden.

Grundlage für Wohlstand und Wachstum

Dass die Menschen dem Hafen weichen müssen, hat in Hamburg Tradition. Schon vor rund 120 Jahren fiel das alte Gängeviertel auf der Wandrahminsel mit seinen 24000 Bewohnern der Spitzhacke zum Opfer, weil dort die Speicherstadt gebaut werden sollte - deren rote Backsteinbauten heute übrigens die malerische Nachbarschaft für die moderne Architektur der Hafencity bilden.

Die Elbe war schon immer die wirtschaftliche Grundlage für Wohlstand und Wachstum Hamburgs. 170.000 Jobs hängen heute am Hafen. Immer größer werden die Containerschiffe, und die Größten unter ihnen, die 11000 Stahlboxen schleppen, können Hamburg schon heute gar nicht mehr erreichen, denn der Fluss ist für sie nicht tief genug.

Aber dafür kommen jetzt häufiger große Kreuzfahrtschiffe die Elbe rauf. Um deren Abfertigung kümmert sich seit 40 Jahren die Firma Unikai, die sonst im Hafen Stückgutumschlag betreibt. Früher liefen vielleicht zehn dieser Traumschiffe im Jahr in Hamburg ein, sie lagen dann tief im Hafen verborgen, am Schuppen 73, erzählt Michael Sieck und legt zwei Visitenkarten auf den Tisch. Auf der einen ist er der Geschäftsführer von Unikai, auf der anderen steht sein Name für das Hamburg Cruise Center - eben jenes neue, noch längst nicht fertige Kreuzfahrt-Terminal mitten in der Hafencity. In diesem Jahr erwartet Sieck 60 Traumschiffe, im nächsten 90 und im Jahr 2010 sollen es mindestens 120 sein. Für Unikai ist ihre Abfertigung längst zum eigenen Standbein geworden. Schon jetzt kommen von dort sechs Prozent des Umsatzes. Deshalb hat Sieck auch nicht solche Berührungsängste wie seine Kollegen im Hafen, wenn es um die neue Nachbarschaft in der Hafencity geht. "Am Ende gehört das alles zusammen", findet er.

Der 52 Jahre alte Manager kann Geschichten erzählen von der Begeisterung, die die Schiffe bei den Landratten hervorrufen. Wenn die Queen Mary 2 sich mal wieder angesagt hat, bekommt er Anfragen sogar aus der Schweiz und Österreich. Und als im August 2007 die Queen Victoria frühmorgens um sieben am Kai festmachte, schauten 10000 Neugierige ihr dabei zu. Und die Bewohner in der Hafencity - "das sind alles Schiffsverrückte". Einmal sollte Sieck in der Hafencity für die Bewohner einen Vortrag über sein Kreuzfahrtterminal halten. 150 Interessierte kamen, eineinhalb Stunden waren für die Nachbarschaftspflege angesetzt, aber um ein Uhr nachts saß man noch immer zusammen. "Die kennen unsere Schiffe fast besser als wir", sagt Sieck, "und wollen alles über Tiefgänge und Wendekreise wissen."

Hamburg, die schlafende Schöne

Dass das im Hafen am Ende alles zusammengehört, findet man bei der Stadt offenbar auch. "Hamburg erfindet sich neu", heißt es in einer ihrer vielen Werbebroschüren. Und: "Hamburg lebt nicht länger mit dem Rücken zur Elbe." Längst ist der Hafen die größte Touristenattraktion geworden. Vor allem die Traumschiffe ziehen die Leute offenbar magisch an - und deshalb werden sie auch mit Feuerwerken und Medienrummel begrüßt. Liegt wieder eines im Hafen, sind die Straßen rund um die Landungsbrücken von Reisebussen aus dem Umland verstopft. So hat Hamburg im vergangenen Jahr das WM-Jahr 2006 noch toppen können: 7,5 Millionen Übernachtungen zählten die Hotels; das waren fünf Prozent mehr als im Vorjahr und doppelt so viel wie vor 20 Jahren. 2015 sollen mehr als elf Millionen Übernachtungsgäste in die Hansestadt strömen.

Die Botschaft, dass die "schlafende Schöne", wie Altkanzler und Ex-Bürgermeister Helmut Schmidt seine Heimatstadt einst genannt hat,wachgeküsst wurde, tragen die Hamburger Marketing-Experten generalstabsmäßig in die Welt hinaus. "Das hier ist unsere Bibel", sagt Thorsten Kausch, Geschäftsführer der Hamburg Marketing GmbH, und schlägt mit der flachen Hand auf drei dicke rote Ringbücher.

Die Botschaft: Hamburg ist eine tolle Stadt

In denen steckt das Ergebnis einer empirischen Untersuchung über das Image der Stadt. Seit es vorliegt, wird Hamburg so zielstrebig als Marke vermarktet, wie es bisher noch keine andere deutsche Stadt getan hat. Dabei hat der 34 Jahre alte frühere Unternehmensberater Kausch nur zehn Mitarbeiter und einen eher bescheidenen Etat. Das Geheimnis sind die "G7", wie Kausch die sieben anderen stadteigenen Firmen nennt, darunter die Tourismus GmbH, der Flughafen und die Messegesellschaft. Früher hat jeder allein operiert, jetzt bilden alle unter der Klammer von Hamburg Marketing eine "strategische Einheit".

Entstanden war die Idee einer Verzahnung des Marketings nach einer herben Niederlage. Fast ein wenig traumatisiert war man in Hamburg gewesen, als 2003 die Bewerbung um die Olympischen Spiele 2012 kläglich gescheitert war und Leipzig stattdessen auserwählt wurde. Die nächste Bewerbung soll besser laufen. "Wir denken in Bildern", sagt Kausch. Ihm ist es ganz egal, ob da 1000 oder 20000 Leute an den Landungsbrücken stehen, wenn die Queen Mary 2 in den Hafen einläuft. Hauptsache, es werden Bilder geschossen, die seine Botschaft in die Welt tragen: Hamburg ist eine tolle Stadt. Ende Juli wird es wieder so eine Gelegenheit für schöne Bilder geben: Dann plant die Stadt das "Mega-Event", die "Hamburg Cruise Days 2008", die am Ende in einer Auslaufparade von mindestens fünf Kreuzfahrern gipfeln.

In der Hafencity wird mancher Bewohner dann sicher froh sein, wenn die vielen schönen Schiffe wieder abziehen: Schiffe sind für die Meere gebaut und können rechte Stinker sein. Selbst der Hilfsdiesel, den die Kreuzfahrer im Hafen für ihre Stromversorgung laufen lassen, pumpt noch eine Menge Dreck in die Luft. Früher, als man noch im Industriegebiet festmachte, hat das natürlich niemanden gestört.

© SZ vom 16.02.2008/sma - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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