Grünenthal und Contergan:Starrsinn als Hausmittel

Die Stolberger Pharmafirma Grünenthal, die einst Contergan herstellte, verhält sich derzeit ungeschickt.

Arno Makowsky

Die strategische Zentrale der Firma liegt in einem idyllischen alten Kupferhof mitten in Stolberg, einem unscheinbaren Städtchen in der Nähe von Aachen. Im historischen Ambiente tagt der Vorstand, und gleich nebenan, im "Haus Grünenthal", wohnt Sebastian Wirtz, der Enkel des Firmengründers.

Die Eigentümer der "Grünenthal Pharma GmbH" zählen zu den 30 reichsten Familien Deutschlands. Hier spielen Tradition und unternehmerische Entschlossenheit eine große Rolle - vielleicht liegt es daran, dass Sebastian Wirtz und seine Kollegen so stur auf ihrem Standpunkt beharren.

In dem Familienunternehmen hat man schon angenehmere Tage erlebt als diese, in denen ganz Deutschland über den "Contergan"-Film redet, der gerade in der ARD ausgestrahlt wurde.

"Sachliche Auseinandersetzung nicht möglich"

Denn wer über Contergan redet, spricht auch über Grünenthal - jene Firma, die das Medikament hergestellt hat, nach dessen Einnahme mehr als 10.000 Frauen missgebildete Kinder auf die Welt gebracht haben. Das war in den 50er und 60er Jahren, doch auch 50 Jahre später wird die Stolberger Firma mit den Folgen konfrontiert. Und sie geht reichlich unbeholfen mit dieser Aufgabe um.

Dabei hat Grünenthal eigentlich gute Argumente auf seiner Seite. Tatsächlich entsprechen wichtige Schlüsselszenen dieses Films nicht der historischen Wahrheit. So wird dort angedeutet, die Firma habe von der verheerenden Wirkung des Medikaments gewusst, es aber dennoch verkauft. Das ist nachweislich falsch.

Doch anstatt zu argumentieren und die historischen Fakten zu erklären, wollte man mit aller Gewalt den WDR-Film verhindern. Eine Sturheit, die zwangsläufig falsch interpretiert werden musste. Grünenthal, so nahm es die Öffentlichkeit auf, will dem Fernsehpublikum unangenehme Fakten vorenthalten.

Der Höhepunkt publizistischer Ungeschicktheit wurde dann bei der Fernsehsendung "Hart aber fair" unmittelbar nach der Ausstrahlung des WDR-Films offenbar. In dieser Sendung ging es um den Contergan-Skandal und um die Frage, warum Grünenthal bisher jeden Kontakt zu den Opfern verweigert.

Natürlich hatte die Redaktion einen Vertreter der Firma eingeladen, doch die sagte ab. Warum? In einer solchen Sendung, sagt Unternehmenssprecherin Annette Fusenig, sei "eine sachliche Auseinandersetzung nicht möglich". So wurde Grünenthal der Nation unwidersprochen als eiskaltes Unternehmen vorgeführt, dem Profit vor Menschlichkeit geht.

Ein Eindruck, der sich durch eine weitere Merkwürdigkeit verstärkte. Das Contergan-Opfer Christian Knabe berichtete in der Sendung, er habe dem Firmeninhaber Sebastian Wirtz in einem Brief ein freundschaftliches Gespräch angeboten, aber nicht einmal eine Antwort bekommen. Warum nicht? Sprecherin Fusenig sagt, dieser Brief sei auch an die Presse gegangen, man wolle sich aber nicht in der Öffentlichkeit vorführen lassen. Deshalb keine Antwort.

Grünenthal ist heute ein erfolgreiches Pharma-Unternehmen mit 4800 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 860 Millionen Euro. Es produziert Schmerzmittel und Verhütungspillen - von Contergan ist in der Branche keine Rede mehr.

Doch anders als man glauben könnte, stellt sich Grünenthal durchaus seiner Geschichte. Mitarbeiter werden über die Contergan-Historie informiert, Firmenchroniken befassen sich mit dem Fall. Warum die Firma nach außen so starrsinnig reagiert, bleibt rätselhaft.

Womöglich igeln sich die Manager einfach in ihrem Kupferhof ein und denken: Der Sturm wird schon vorüberziehen.

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