Greenpeace entert Bohrinsel:Protest in der Hängematte

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"Das Volk gegen Shell": Greenpeace-Aktivisten gehen gegen die Suche nach Öl in der Arktis vor und entern die Plattform Polar Pioneer.

Von Kathrin Werner, New York

Die Menschen wirken winzig neben dem Koloss aus Stahl. Sechs Greenpeace-Aktivisten sind mit dem Schlauchboot an die Bohrinsel herangefahren, dann mit schweren Schutzanzügen, Kletterhaken und Helmen empor geklettert. 40 Meter über dem tosenden Pazifik baumeln sie an Seilen bis einer nach dem anderen das Schiff entert. Oben angekommen reißen sie die Arme in die Luft und zeigen ein Plakat: "Das Volk gegen Shell".

Greenpeace hat die Ölbohrinsel Polar Pioneer gekapert, die für Shell in der Arktis vor der Küste Alaska nach Öl suchen soll. Sie ist auf dem Weg nach Seattle, dem Heimathafen für das umstrittene Förderprojekt des britisch-niederländischen Ölkonzerns in der empfindlichen Natur. 1200 Kilometer nordwestlich von Hawaii haben die Umweltaktivisten die Plattform abgefangen, sie wollen sie nicht aufhalten oder ihren Kurs oder die Bohrtechnik manipulieren. Es geht ihnen nur darum, Aufmerksamkeit auf die Arktisbohrungen zu lenken, die sie für gefährlich halten.

Shell bestätigt, dass Greenpeace an Bord der Polar Pioneer ist. Die Aktivisten gefährdeten ihre eigene Sicherheit und die der Crew an Bord, schrieb eine Konzernsprecherin per Email. Shell sei bereit, weiter mit Umweltschützern zu sprechen, die gegen die Offshore-Bohrungen vor Alaskas Küste sind. "Wir billigen aber weder die illegalen Taktiken von Greenpeace noch werden wir es erlauben, dass diese Stunts uns von unseren Vorbereitungen für ein sicheres und verantwortungsvolles Bohrprogramm ablenken."

Unter eiskaltem Wasser vermuten Forscher riesige Ölquellen

Unter dem eiskalten Wasser in der Arktis vermuten Forscher riesige Ölquellen. Laut Schätzungen liegen dort etwa 30 Prozent des bislang unentdeckten Erdgases und 13 Prozent des Öls. Wenn man den Energiegehalt des Erdgases umrechnet, kommt man insgesamt auf Reserven von 400 Milliarden Fass Öl und Gas, ein Fass sind rund 159 Liter. Das wäre zehn Mal so viel wie bislang in der Nordsee gefördert wurde. Die Welt verbraucht im Jahr rund 34 Milliarden Fass Öl.

Die einfach zugänglichen Quellen versiegen langsam. Um die wachsende Nachfrage zu bedienen, setzen die Ölmultis auf kompliziertere Technik wie Fracking, Bohrungen in der Tiefsee oder der Arktis.

Das Verbrennen von Öl hat die Suche nach Öl in der Arktis erst möglich gemacht. Wegen des Klimawandels schmilzt das Eis und macht neue Regionen für Ölbohrfirmen zugänglich. Unfälle im eiskalten Wasser haben aber noch viel schlimmere Konsequenzen als etwa im Golf von Mexiko, sagen Umweltschützer. Es gibt in der Arktis viel weniger Mikroben, die Öl auffressen, alle chemischen und biologischen Prozesse verlaufen viel langsamer. Außerdem sind Bohrungen dort nur in kurzen eisfreien Zeiträumen möglich, meist in den drei Sommermonaten.

Es kann aber Monate dauern, bis ein Leck unter Kontrolle ist - die Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon im Sommer 2010 hat das gezeigt.

Passiert ein Unfall kurz bevor das Meer zufriert, ist das Loch im schlimmsten Fall bis zur nächsten Eisschmelze unter dickem Eis unerreichbar. Das Öl würde monatelang ungehindert ins Wasser strömen und sich aus der Arktis in die Weltmeere verteilen. Stationen der Küstenwache, Tiefseehäfen und alle Technik, die man für Rettungsarbeiten brauchen könnte, sind zudem weit entfernt.

Shell hat sich schon einmal in den rauhen Gewässern der Tschuktschensee zwischen Nordamerika und Asien versucht - bislang war es ein Fiasko für die Finanzen und das Image. Im Dezember 2012 war die Bohrinsel Kulluk, die vor der Küste Alaskas für Shell nach Öl suchen sollte, auf Grund gelaufen. Shell wollte sie während der Zeit der Winterstürme zu Instandhaltungsarbeiten nach Seattle verlegen. In der tosenden See riss sich das Schiff los und strandete vier Tage später in der Nähe der Kodiak-Inseln. Dass die mehr als 500 000 Liter Diesel an Bord nicht ausliefen, war Glück. Die Behörden haben Shell die Arktisbohrungen vorübergehend untersagt, weil das Unternehmen keine ausreichenden Vorkehrungen für Unfälle getroffen habe. Shell hat in den ersten Versuch in der Arktis bereits mehrere Milliarden Dollar gesteckt, aber noch keine Tropfen Öl gefördert. Wegen Rechtsstreitigkeiten nach dem Kulluk-Unfall hat Shell den neuen Anlauf verschoben.

Jetzt will Shell es mit zwei Bohrplattformen noch einmal versuchen, eine davon ist die Polar Pioneer. In der vergangenen Woche hat das US-Innenministerium die Bohrrechte des Konzerns in der Arktis bestätigt. Wenn Shell die letzten noch fehlenden Genehmigungen bekommt, könnte der Konzern in 100 Tagen mit der Polar Pioneer mit der Suche nach Öl beginnen.

Die sechs Aktivisten an Bord stammen aus den Vereinigten Staaten, Deutschland, Österreich, Schweden, Neuseeland und Australien. Sie haben unter dem Hauptdeck der Bohrinsel ihr Lager aufgeschlagen, sie übernachten in Hängematten und haben Essen für mehrere Tage dabei. Sie twittern und schicken Fotos aus der Höhe auf dem Stahlkoloss. "Was für ein Gefühl", twittert Jens Loewe, der Deutsche unter den sechs. "Ich genieße es sehr, das für all die Menschen zu tun, die die Arktis vor Shell retten wollen."

© SZ vom 08.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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