Green Card:Ranjid sieht die rote Karte

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Die Green Card hat 14.600 indische und osteuropäische Computerexperten nach Deutschland gelockt, jetzt sind viele arbeitslos - und werden abgeschoben.

Christian Burgdorf und Sebastian Jost

(SZ vom 12.07.2003) — Eigentlich sollte der Mann jetzt vor dem Computer sitzen, Programme schreiben, Geld verdienen. Statt dessen sieht er am Lufthansa-Schalter den Computer von hinten, während er das Geld für seinen Rückflug nach Indien über den Tresen schiebt.

Shah Umang ist ein Computer-Inder. Einer von denen, die Deutschlands Computerindustrie vom Fachkräftemangel erlösen sollten. 2001 hatte eine kleine Softwarefirma im Spessart ihn mit der Green Card um die halbe Welt gelockt. Anderthalb Jahre später fehlten der Firma erst die Aufträge, dann das Geld für sein Gehalt. Heute arbeitet dort nur noch der Insolvenzverwalter.

1000 Zuwanderer im Monat

"Wegen der Krise sind die Chancen auf einen neuen Job im Moment sehr gering", sagt Umang. Jetzt bleibt dem 26-Jährigen nur noch der Heimflug: Ein halbes Jahr hatte die Ausländerbehörde ihm Zeit für die Suche gelassen. Weil er immer noch keinen Job hat, muss er nun zurück. So will es das Gesetz.

Es hatte alles so schön angefangen: Vor drei Jahren leckte sich die deutsche Computerindustrie die Finger nach Leuten wie Shah Umang. Auf 70.000 Experten schätzten Branchenkenner den Bedarf, Optimisten erhöhten auf 100.000 und Verwegene hielten selbst 200.000 für nicht übertrieben.

Die gesetzliche Regelung fiel dann vergleichsweise bescheiden aus: Höchstens 20.000 Computerkenner sollte die Green Card für höchstens fünf Jahre ins Land lassen. Anfangs wollten das auch viele: Rund 1000 Computer-Zuwanderer kamen im Monat.

"Im Jahr 2000 hätten wir den Bedarf nie mit deutschen Arbeitskräften decken können", sagt Stephan Pfisterer vom Branchenverband Bitkom. "Schon allein deshalb war die Green Card ein Erfolg."

Doch selbst die kleinkarierte Kalkulation der Regierung erwies sich als Fata Morgana: Bis heute sind die Arbeitsämter nicht mehr als 14.600 grüne Karten losgeworden.

Doch deren Besitzer sind häufig arbeitslos. Für München hat das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung ausgerechnet, dass rund sieben Prozent der Green Cardler schon einmal arbeitslos waren.

Bundesweit verlässliche Zahlen existieren nicht. Aber so viel ist sicher: Seit der Hype vorbei ist, hinken die ausländischen Spezialisten dem eingeborenen Durchschnittsprogrammierer im Rennen um die Arbeitsplätze hinterher.

Englisch reicht nicht mehr

"Die Unternehmen erwarten, dass man deutsch kann", sagt Ranjid Oojam (Name geändert). Seit Februar ist der 33-jährige Inder arbeitslos, weil seine Firma pleite machte. Seitdem findet er nur Absagen in seinem Kölner Briefkasten.

Die Start-up-Unternehmer, deren einzig wichtige Sprache englisch war, sind abgestürzt. Die Überlebenden der Computerdämmerung suchen nun Mitarbeiter, die sich mit ihren deutschen Kunden auf deutsch unterhalten können. Oojam kann das verstehen: "Ich habe ja angefangen, deutsch zu lernen. Aber das braucht Zeit." Zwar könne er im Laden schon nach Gewürzgurken fragen, aber mit den Kunden über Tools und Chips reden, das sei doch etwas ganz anderes.

Doch nicht nur wegen sprachlicher Defizite haben die einst umworbenen Ausländer heute schlechte Karten: Sie sind einfach zu teuer. Green Cardler müssen - ob sie wollen oder nicht - in Westdeutschland mindestens 39600 Euro verdienen, im Osten 32700. In Boomzeiten war dieser finanzielle Dumpingschutz kein Handicap. Doch inzwischen zahlen die Firmen deutlich kleinere Gehälter.

Mircea Popa hat weder Probleme mit der Sprache noch mit dem Geld. Der 30-jährige Rumäne spricht fließend deutsch und schreibt in einer Nürnberger Computer-Firma Programme für Apotheken und Ärzte. Mit seinem Job ist er rundum zufrieden: "Das Gehalt ist gut, die Kollegen sind nett."

Weniger gut findet er die Green Card deutscher Herkunft - im Unterschied zu den Angeboten der internationalen Konkurrenz: "In Kanada ist man nach fünf Jahren Staatsbürger. Wenn aber in Deutschland die fünf Jahre um sind, wenn die Kinder besser deutsch sprechen als ihre Muttersprache, wenn die Ehefrau endlich einen Job hat - dann muss man die Koffer packen und irgendwo anders wieder ganz von vorne anfangen."

Weil die Konditionen von Karte und Konjunktur sind, wie sie sind, haben viele Hightech-Unternehmen nichts mehr übrig für ausländische Experten - und viele ausländische Experten nichts mehr für die deutsche Green Card. "Wir sind halt nicht das gelobte Land für alle Computer-Fachleute in der Welt", sagt Claus Schnabel, Arbeitsmarktexperte an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Kuriose Allianzen

Selbst wenn der Bedarf wieder steige, fehle Deutschland zum Einwanderungsparadies eine Menge. Die deutsche Sprache schreckt die anglophonen Inder ab, und viel mehr noch das deutsche Gesetz. "Wenn ein Land keine vernünftige Zuwanderungsregelung hat, dann überlege ich mir als Spezialist doch, ob ich da hin will", sagt Schnabel. Deutschland brauche ein Zuwanderungsgesetz, das jeden hineinlasse, der im Land fehlt - egal ob Kernphysiker oder Krankenschwester.

Derweil erzeugt die Debatte um dieses Gesetz in Berlin kuriose Allianzen: Seite an Seite mit Bitkom und der FDP machen sich SPD und Grüne für mehr Computergurus und Maschineningenieure aus dem Ausland stark.

Die Gewerkschaften sind - genau wie die Union - dagegen. Jürgen Rüttgers, der Landeschef der CDU in Nordrhein-Westfalen, hatte im Landtagswahlkampf 2000 mit dem Slogan "Kinder statt Inder an die Computer" die Unions-Richtung vorgegeben. Und so blockiert sie bislang das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat. Für den Fall, dass während des Blockade-Komas der nächste Computer-Fachkräftemangel aufziehen sollte, hat die Regierung das Green-Card-Programm vorsorglich bis Ende des Jahres verlängert.

Schon vor drei Jahren sei die Green Card überflüssig gewesen, betont unterdessen Hartmut Koschyk, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag: "Statt in Hochglanzbroschüren für die Green Card hätte man das Geld lieber in die deutschen Hochschulen stecken sollen."

Dann hätten bald heimische Informatiker auf den für Inder reservierten Stühlen Platz nehmen können. Eine Fehlkalkulation, glaubt Claus Schnabel. Selbst perfekte Unis, so der Arbeitsmarktexperte, könnten die Verstärkung aus dem Ausland nicht ersetzen. "So viele Informatikstudenten gibt es in Deutschland gar nicht. Was wir brauchen, sind Kinder und Inder."

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