Gespräch mit Günther Beckstein:"Wir wollen die Kinder nicht mit Wissen vollpumpen"

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Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein äußert sich im Gespräch mit der SZ über Schule und Marktwirtschaft, Ackermann und Nokia und eine bessere Steuerpolitik.

Marc Beise und Ulrich Schäfer

Günther Beckstein, 64, ist Jurist und hat über Strafrecht promoviert. Bundesweit bekannt wurde das CSU-Mitglied als Rechts- und Innenpolitiker. Seit Oktober 2007 ist der frühere bayerische Innenminister als Nachfolger von Edmund Stoiber Regierungschef in München. Erstmals äußert er sich ausführlich zur Wirtschaftspolitik. Er sorgt sich um den sozialen Ausgleich in Deutschland und kritisiert "knallharte" Konzernmanager.

SZ: Herr Ministerpräsident, Deutschland rückt nach links. In Ihrer Partei fordern viele, auch die Union müsse wieder sozialer werden. Geht es in Deutschland zu neoliberal zu?

Günther Beckstein: Wenn ich mir den eng reglementierten Arbeitsmarkt und die immer noch hohe Steuer- und Abgabenlast anschaue, kann ich nicht erkennen, dass wir ein neoliberales Land hätten.

SZ: Vielleicht nicht in der Realität, aber in der Programmatik. Ihr Parteivize Horst Seehofer sagt, in der Union sei viel zu lange über neoliberale Wirtschaftreformen geredet worden statt über sozialen Ausgleich. Hat er recht?

Beckstein: Die Union ist gewiss keine marktradikale Partei. Das gilt für die CDU, und erst recht für die CSU, der schon immer der soziale Ausgleich wichtig war. Aber auch ich mache mir Sorgen darüber, dass die Zweifel an der sozialen Marktwirtschaft wachsen und viele Bürger das Gefühl haben, dass der Aufschwung bei ihnen noch nicht entsprechend ankommt.

SZ: Warum das? Die Arbeitslosigkeit sinkt doch, die Einkommen steigen ...

Beckstein: ... aber zugleich kommen immer mehr Bürger mit ihrem Geld nicht aus. Es ist schon ein Problem, dass immer öfter Menschen nicht von ihrer Arbeit leben können. Unternehmen haben da auch eine gesellschaftliche Verantwortung.

SZ: Eben die, sagen viele Bürger, wird nicht mehr wahrgenommen. Die Deutsche Bank hat soeben einen Jahresgewinn von mehr als sechs Milliarden Euro gemeldet, desgleichen der finnische Handyhersteller Nokia. Ist das noch in Ordnung?

Beckstein: Im Falle der Deutschen Bank: ja. Denn ich weiß, dass die Bank und ihr Chef Josef Ackermann eine verantwortliche Politik betreiben, Arbeitplätze sichern, Mitarbeiter qualifizieren. Die Deutsche Bank bekennt sich zu Deutschland und hat zudem im vorigen Jahr viele neue Jobs auch in Deutschland geschaffen.

SZ: Und Nokia?

Beckstein: Nokia schließt trotz Rekordgewinn überhastet einen Standort und schiebt Tausende von treuen Mitarbeitern in eine ungewisse Zukunft. Das ist nicht akzeptabel.

SZ: Ist das nicht eine zwingende Folge der Globalisierung? In Rumänien hat der internationale Konzern eben bessere Standortbedingungen.

Beckstein: Ich glaube nicht, dass Bochum ein schlechter Standort gewesen ist. Im Übrigen kann und muss man das anders machen, sozialer, nicht so abrupt. Die Nokia-Manager hätten ihre Belegschaft auf die Veränderungen vorbereiten müssen. Hätten längere Übergangszeiten anbieten müssen. Stattdessen treffen hier Manager, ohne mit ihren Mitarbeitern vorher geredet zu haben, knallharte Entscheidungen. Die sehen gar nicht, welchen Schaden sie damit dem Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft zufügen.

SZ: Ist die Politik nicht selbst schuld? Regierungen locken Investoren mit Subventionen an, und verlieren sie, wenn andere mehr zahlen.

Beckstein: Subventionen haben in bestimmten Fällen ihre Berechtigung. Das hat mit der sozialen Verantwortung von Konzernen auch wenig zu tun. Hier in Bayern gibt es viele, auch große Konzerne, die sich ihrer Verantwortung wohl bewusst sind. Der frühere Siemens-Chef Heinrich von Pierer hat sich beispielsweise vorbildlich für Arbeitplätze eingesetzt. Mittelständler tun dies erst recht. Neulich war ich beim Küchenelektronik- und Maschinenhersteller Liebherr in Kempten. Der zahlt seinen Leuten in guten Zeiten mehr Lohn und in schlechten weniger. Die Betriebsräte dort haben kein Problem damit, sondern sagen: Wir sind stolz auf unser Unternehmen.

SZ: Gerade die Mittelständler klagen aber auch über den Steuer- und Abgabendruck.

Beckstein: Durch die Unternehmensteuerreform hat die Große Koalition zwar einiges bewirkt, gerade für international tätige Unternehmen, aber auch hier gibt es noch Verbesserungsmöglichkeiten. Insgesamt haben wir in Deutschland aber immer noch eine zu hohe Steuerbelastung. Es ist beispielsweise nicht in Ordnung, wenn schon bei 52.000 Euro zu versteuerndem Einkommen im Jahr der Höchststeuersatz von 42 Prozent erreicht wird. Die Steuersätze müssen runter.

SZ: Davon will die SPD aber nichts hören.

Beckstein: Die SPD natürlich nicht, aber die arbeitende Bevölkerung in unserem Land. Wir werden jedenfalls bis zum Sommer unser Konzept auf den Tisch legen, um den Bürgern mehr netto in der Tasche zu lassen. Das wollen wir nach der nächsten Bundestagswahl umsetzen.

SZ: Steuersätze runter - reicht das? Brauchen wir nicht eine radikale Vereinfachung des Steuerrechts?

Beckstein: Ich glaube nicht an den großen Wurf, ich bin da Realist. Das Steuerrecht kann nicht einfach und dann im Einzelfall auch noch gerecht sein. Und in Deutschland ist den meisten nun mal die Einzelfall-Gerechtigkeit wichtiger.

SZ: Im letzten Bundestagswahlkampf hat die Union noch das Gegenteil propagiert und mit dem Einfach-Steuerrecht von Paul Kirchhof geworben. Wie wollen Sie das den Wählern erklären?

Beckstein: Professor Kirchhof ist ein kluger Mann. Wir waren beide im Kompetenzteam der Kanzlerkandidatin Angela Merkel und schätzen uns gegenseitig. Aber sein Steuerrecht wird eine schöne Utopie bleiben. Mein Erfahrung ist: Jede Vereinfachung hat das Steuerrecht immer noch ein Stück komplizierter gemacht.

SZ: Wie wollen Sie denn für mehr Gerechtigkeit sorgen?

Beckstein: Es kommt darauf an, über wen wir reden. Nehmen wir die älteren Menschen: Die Versorgung der meisten jetzigen Rentner ist nicht schlecht, Altersarmut gibt es derzeit noch eher selten. Aber das kann sich ändern. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass künftige Generationen ihre gesetzliche Rente durch eine private Vorsorge aufstocken. Es war daher ein Fehler, dass das private Wohn-Eigentum erst jetzt in die Riester-Rente mit aufgenommen werden kann.

SZ: Den jetzigen Rentnern hilft das nicht. Ihre Renten sind in den letzten Jahren kaum gestiegen, zugleich haben sich die Preise kräftig erhöht.

Beckstein: Das ist in der Tat ein Problem, gerade auch für uns in Bayern. Weil die Menschen hier bis in die siebziger Jahre hinein schlechter als im Bundesdurchschnitt verdient haben, sind die Renten niedriger als zum Beispiel auch in weiten Teilen der neuen Länder. Gleichzeitig sind die Lebenshaltungskosten erheblich höher. Wir müssen überlegen, was man hier tun kann; aber das wird nicht leicht.

SZ: Und was wollen Sie für jüngere Menschen tun?

Beckstein: Da geht es vor allem um Bildung. Das ist für mich die wichtigste Wirtschafts- und Sozialpolitik der Gegenwart. Diesen Vorsprung werden wir weiter sichern. Bei Pisa und anderen Leistungsvergleichen liegen wir schon jetzt an der Spitze. Bayern ist da anderen Bundesländern doch turmhoch überlegen.

SZ: Naja. Zuletzt ist überhastet das Abitur nach zwölf Jahren eingeführt worden, das sogenannte G8. Es fehlen Lehrer und Räume, die Kinder sind überfordert und die Eltern auf den Barrikaden.

Beckstein: Ich bestreite nicht, dass viele der raschen Einführung des G8 kritisch gegenüberstehen. Die Verkürzung war aber wichtig und richtig, um unseren Kindern die Chance zu geben, international mithalten zu können. Darum reagieren wir. Auch die Lehrer müssen sehen, dass der Lehrplan ja nicht in allen Details komplett abgearbeitet werden muss. Es geht um exemplarisches Lernen. Klar ist: Die übergroße Stofffülle in einzelnen Bereichen muss reduziert werden. Wir wollen die Kinder nicht mit Stoff vollpumpen. Eines sage ich aber auch deutlich: Wir rütteln nicht an der Qualität unserer Bildung. Globalisierung heißt für uns, besser zu sein, weil wir teurer sind. Hilft alles nichts: Wir müssen uns anstrengen.

SZ: Das ist ja ein recht moderner Ansatz. Zweifeln Sie womöglich auch am klassischen dreigliedrigen Schulsystem mit Haupt- und Realschule sowie Gymnasium?

Beckstein: Nein. Kinder sind zu unterschiedlich, um über einen Kamm geschoren zu werden. Ich kann mich da über den politischen Gegner nur wundern. Es ist unredlich, wenn SPD-Politiker wie Andrea Ypsilanti die Einheitsschule predigen und die eigenen Kinder auf die Privatschule geben.

SZ: Auch andere Eltern, die es sich leisten können, wollen der Regelschule ausweichen.

Beckstein: Das geschieht auch deshalb, weil an manchen Schulen ein Großteil der Kinder gar nicht Deutsch spricht. Ich kenne aus meiner eigenen Familie das Problem, wenn Kinder achtsprachig fluchen, aber nicht mehr einsprachig die Hausaufgaben machen können. Deshalb wollen wir, dass Kinder Deutsch können, bevor sie in die Schule kommen. Das erhöht die Bildungschancen aller Kinder.

SZ: Haben Sie das auch dem türkischen Regierungschef Erdogan gesagt, als Sie ihn in der vergangenen Woche hier in München gesehen haben?

Beckstein: Ja, ich habe ihn ausdrücklich um Hilfe gebeten.

SZ: Und wie hat er reagiert? Schließlich fordert er ja sogar türkische Schulen in Deutschland.

Beckstein: Das ist nicht hilfreich. Dies würde bestimmte Ghettoisierungstendenzen bei den türkischen Kindern und Jugendlichen eher verstärken. Stattdessen müssen wir erreichen, dass die Kinder perfekt Deutsch lernen und auch in ihrem sozialen Umfeld Deutsch sprechen.

© SZ vom 14.02.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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