Gespräch mit Doris Dörrie:"Jeder Satz kostet Geld"

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Regisseurin Doris Dörrie über deutsches Kino, Reichtum - und wie der Erfolg eine Persönlichkeit spaltet.

Marc Beise und Susan Vahabzadeh

Doris Dörrie, 53, ist die erfolgreichste deutsche Filmregisseurin der Gegenwart. 1985 wurde sie mit der Komödie ,,Männer'' bekannt, die Heiner Lauterbach und Uwe Ochsenknecht zu Stars machte. Seither wechseln sich aufwendige Filme und kleine Produktionen ab. Eine Hollywood-Karriere schlug Dörrie, die mit Lebenspartner und Kind in München lebt, aus. Reich geworden ist sie trotz aller Erfolge nicht - glücklicherweise, sagt sie. Ein Gespräch übers Filmemachen und deutsches Kino.

"Für mich ist es ein sehr kreatives Gefühl, wenn ich nicht ernst genommen werde." Regisseurin Doris Dörrie. (Foto: Foto: Schmeken)

SZ: Frau Dörrie, Ihr Film "Männer" hatte knapp sechs Millionen Zuschauer und zählt damit zu den erfolgreichsten deutschen Filmen überhaupt. Bedeutet diese Zahl Ihnen heute noch etwas?

Doris Dörrie: Natürlich bedeutet sie noch etwas. Sechs Millionen - das war damals wie heute! - spektakulär. "Männer" hat einen der Rambo-Filme geschlagen, so was gab es sonst nur in der Komiker-Szene. Später, mit "Ich und Er" hatte ich drei Millionen, mit "Keiner liebt mich" anderthalb ...

SZ: Ihren jüngsten Film, "Kirschblüten - Hanami" , hat eine knappe Million Zuschauer gesehen. Ist Ihnen das zu wenig?

Dörrie: Nein, das ist großartig, denn die Zahlen von früher sind heute nicht mehr zu erreichen. Heute werden mehr Filme herausgebracht, und gleichzeitig gehen immer weniger Leute ins Kino. Was für uns alle verwirrend und bedrohlich ist: Es sehen immer weniger Leute immer weniger Filme, dabei werden viel mehr Filme gemacht.

SZ: "Kirschblüten" war ein kleines Projekt, das viel Erfolg hatte. Das ist besser als anders herum, oder?

Dörrie: Es macht natürlich immer am meisten Spaß, wenn etwas, was so klein angefangen hat, so groß wird - mehr als wenn etwas, was groß gedacht war, funktioniert.

SZ: Wie ist das mit den Herstellungskosten? War "Männer" teurer als die "Kirschblüten"?

Dörrie: "Männer" hat 800.000 Mark gekostet, das war wenig, und "Kirschblüten" drei Millionen Euro, was aber heute nicht sehr viel ist. Bei mir haben sich die großen und die kleinen Filme immer abgewechselt, ich nenne das die Jojo-Diät.

SZ: Haben Sie die Kosten immer im Kopf? Denken Sie sich erst mal eine Geschichte aus, oder überlegen Sie gleich, wie viel sie kostet?

Dörrie: Jeder Satz, den ich in ein Drehbuch schreibe, kostet Geld, und wenn man sich dessen nicht bewusst ist, macht man sich selbst von vorneherein die Finanzierung unmöglich. Wenn ich in ein Drehbuch schreibe, "ein Schiff mit 1300 Passagieren sinkt" - um mal ein Beispiel aus einem populären Film zu nehmen - dann muss ich mir darüber im Klaren sein, dass ich diese Geschichte in Deutschland nicht finanzieren kann, schon nach diesem einen Satz.

SZ: Hätten Sie gern so viel Geld zur Verfügung wie der deutsche Groß-Produzent Bernd Eichinger?

Dörrie: Hatte ich ja. Ich habe mit "Ich und Er" einen Hollywood-Film gemacht, für den ich sehr viel Geld zur Verfügung hatte. Ein niedriges Budget ist dann in Ordnung, wenn man mit einem winzigen Team arbeitet, wie bei "Kirschblüten". Das ist ein Extremfall, an dem sich außer mir nur wenige versuchen.

SZ: Was heißt das konkret?

Dörrie: Oh, es gibt keine Arbeitsteilung mehr, im Gegenteil, ich muss viel mehr selbst machen, kein Luxus für niemanden mehr, kein Catering, keine Wohnwagen. Da entsteht tatsächlich eine andere Art von Beziehung zu den Schauspielern, die nicht mehr dauernd unterbrochen wird, weil in dem Moment, in dem man an etwas in ihnen herankommt, neu ausgeleuchtet werden muss oder sonst irgendwas - so ein permanenter Coitus interruptus. Es ist mit den neuen technischen Möglichkeiten, den kleinen Digitalkameras, wesentlich einfacher, den Träumen der Nouvelle Vague und des Cinéma Verité nahezukommen.

SZ: Bei einem normal großen Projekt sind ja schnell mal 150 Leute am Set. Wie groß war die Gruppe, mit der Sie nach Japan gefahren sind für "Kirschblüten"?

Dörrie: Inklusive der Schauspieler und mir selbst und des japanischen Teams zwölf.

SZ: Kommt einem das nicht selbst so vor, als sei irgendetwas nicht in Ordnung?

Dörrie: Das kommt darauf an, wie man sich sieht als Filmemacher. Für mich ist es ein sehr kreatives Gefühl, wenn ich nicht ernst genommen werde. Wenn ich mich in die Wirklichkeit einschleichen kann, Prozesse sich entwickeln können , ohne dass ich als der Filmemacher daherkomme, die Straße absperre und die gesamte Realität des Raums umbaue, also eine neue Realität herstelle. Ich persönlich bringe die Realität lieber dazu, freiwillig mitzuspielen. Es gibt Dinge, die kann ich mir nicht ausdenken, die kann ich nur finden.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie Doris Dörrie mit Druck umgeht - und wieso Regisseure immer Nebenjobs brauchen.

SZ: Ist durch die sechs Millionen Zuschauer für "Männer" ein Druck entstanden, den Sie erst mal wieder loswerden mussten?

Erfolgsfilm "Männer": "Was Erfolg ist, was Berühmtsein bedeutet, habe ich erst viel später begriffen", sagt Doris Dörrie. (Foto: Foto: dpa)

Dörrie: Komisch, das haben mich damals alle Journalisten gefragt - und ich hatte keine Ahnung, was die meinen. Das ist mir passiert wie eine Wolke - es regnet plötzlich, und die zieht auch wieder weiter. Was Erfolg ist, was Berühmtsein bedeutet, habe ich erst viel später begriffen. Wenn das passiert, sagt jeder: Ich bleibe, wie ich bin. Man weiß einfach nicht, dass man im Moment des Erfolgs zu einer gespaltenen Persönlichkeit wird - einer öffentlichen und einer privaten, und dass es nie wieder möglich sein wird, diese beiden Personen zu vereinigen. Und man darf diese beiden selber niemals verwechseln.

SZ: Fühlen Sie sich heute unter Druck, weil Sie nun mal schon eine erfolgreiche Filmemacherin sind?

Dörrie: Den Druck von innen habe ich mir auch damals schon gemacht, der bemisst sich ja nur an dem, was man von sich selbst erwartet. Das Schlimmste ist, wenn man großen Erfolg mit etwas hat, was man selbst nicht gut findet.

SZ: Ist Ihnen das schon einmal passiert?

Dörrie: Ja, bei "Ich und Er". Der erfolgreichste Film, den die Constantin je produziert hat. Und ich finde ihn schrecklich.

SZ: Sind Sie durch Ihre Arbeit vermögend geworden?

Dörrie: Nein. Was ich als Glück empfinde - ich stelle es mir anstrengend vor, sehr reich zu sein.

SZ: Haben Sie das Geld, das Sie verdient haben, gleich wieder in Kinoprojekte gesteckt?

Dörrie: Es ist eigentlich unmöglich, in Deutschland von Kinofilmen zu leben, als Autor und Regisseur. Selbst wenn man Beteiligungen erkämpft und viele Zuschauer hat - erst wird die Filmförderung zurückgezahlt, dann kommt der Verleih, dann die Produktion, und dann ist nichts mehr übrig.

SZ: Wovon leben Sie dann?

Dörrie: Ich kann von meiner Kunst nur leben, weil ich auch noch Opern inszeniere und an der Hochschule unterrichte und vor allem sehr viel schreibe. Ich habe auch - fast zehn Jahre, in einer Gemeinschaft - produziert, aber wenn ein anderer Regisseur sein Budget sprengt, ist man pleite. Was uns auch passiert ist.

SZ: War Ihnen klar, wie wenig Geld es im deutschen Film zu verdienen gibt, als Sie anfingen?

Dörrie: Damals war für uns der deutsche Film keine Ware, es gab keine Industrie, nur schräges Kunstprojekt. Wenn man mit einem ganz künstlerischem Anspruch herangeht, gibt einem das eine große Freiheit. Gleichzeitig habe ich mich jedoch immer bemüht, anderen eine Geschichte zu erzählen, und nicht nur drei kunstinteressierten Freunden.

SZ: Und dann kommt der riesige Erfolg - denkt man da nicht, jetzt habe ich es geschafft?

Dörrie: Nein. Mir wurde angeboten, "Männer 2" zu drehen, oder "Männer" nochmal in Hollywood - das hat mich überhaupt nicht interessiert.

Lesen Sie im dritten Teil, warum die Deutschen keine Kinonation sind - und wie sich der ökonomische Einfluss von Film, Oper und Literatur unterscheidet.

SZ: Aber "Ich und Er" war trotzdem verlockend.

Dörrie: "Ich und Er" war ein Missverständnis. Ich dachte, ich sollte einen Roman umsetzen, der sehr anarchistisch und politisch ist, und nicht eine Geschlechterkomödie draus machen. Hollywood hat mich nicht gereizt, ich hatte in Kalifornien studiert und wusste schon, wie es da ist, wenn man kein Geld hat. Ich hatte einen Three-Picture-Deal und bin nach einem Film nach Hause gegangen. Wenn man Genre-Filme liebt und Spezialeffekte, ist man dort gut aufgehoben. Aber für mich ist das nichts.

SZ: Es ist eigentlich absurd, dass deutsches Kino und Hollywood miteinander konkurrieren müssen, obwohl die Bedingungen so unterschiedlich sind.

Dörrie: Das ist eben so und hat viel damit zu tun, dass wir - zurecht und zum Glück! - den Zweiten Weltkrieg verloren haben. Deswegen haben wir nicht, wie in Frankreich, Kontingent-Beschränkungen für amerikanische Filme.

SZ: Hätten Sie die gern?

Dörrie: Ich weiß es nicht. Unser unlösbares Problem ist, dass in Deutschland nicht genug Leute ins Kino gehen. Kino wurde in Deutschland eben nie als Kultur akzeptiert wie in Frankreich, wo die Besucherzahlen doppelt so hoch sind. Kracauer hat geschrieben: Die Ladenmädchen gehen ins Kino. Das ist immer noch so. Außerdem gehen die Kinder nicht mehr ins Kino.

SZ: Ist der ökonomische Einfluss in den beiden anderen Bereichen, in denen Sie arbeiten, Oper und Literatur, denn anders?

Dörrie: Im Kino gibt es halt diese Zwitternatur, Kunst oder Ware, und Film ist ja tatsächlich teuer, und wenn er als Ware überhaupt nicht funktioniert, kann ich ihn nicht finanzieren. Meine Erfahrungen mit der Oper sind anders. Meine Operninszenierungen waren alle Kassenschlager, auch wenn der eine oder andere Intendant sie ein wenig degoutant - weil zu erfolgreich - fand. Aber das System ist anders: Wenn die Oper ausverkauft ist, kostet immer noch jeder Sitz Subventionen. Das finden wir vom Film irre. Bei der Oper habe ich eine Mission: dass dort Leute reingehen, die das normalerweise nicht tun. Ich mache Opern wie Kino, als würde man die Geschichte zum ersten Mal erzählen - und ich bin glücklich, wenn ich Schulklassen in meinem skandalumwitterten "Rigoletto" in München schluchzen sehe, weil sie nicht damit rechnen, dass Gilda in diesem Sack plötzlich tot ist. Mein Publikum ist bunt.

SZ: Wie meinen Sie das?

Dörrie: In der Oper sind die Haarfarben interessant: Man sieht das von der Bühne aus: Es gibt weiße Vorstellungen, dunklere und ganz selten bunte, wo auch Jugendliche mit gefärbten Haaren drin sitzen.

SZ: Sind Sie nicht auch schon deswegen eine gespaltene Persönlichkeit, weil die drei Genres so unterschiedlich sind - allein Schreiben, im Team arbeiten, über die Finanzierung nachdenken?

Dörrie: Ich denke da gar nicht weiter drüber nach, das ist Handwerk. Ich finde das selbst auch nicht ungewöhnlich, obwohl es das ist. Im Grunde erfinde ich immer nur Bilder von Menschen, die voneinander etwas wollen. Und die Genres haben für mich viel miteinander zu tun - in der Oper gibt die Musik den Schnitt vor. Bei welcher Musik man am liebsten mitatmet, ist glaube ich Veranlagung.

Lesen Sie im vierten Teil, warum Doris Dörrie den Wirtschaftsteil in der Zeitung geradezu verschlingt - und mit welchen Fragen sie den Kundenberater in ihrer Bankfiliale quält.

SZ: In Ihrem Dokumentarfilm "How to Cook Your Life" sagt der buddhistische Priester, ein Spülschwamm, der ihm immer vom Beckenrand fällt, wolle vielleicht nicht dort liegen. Beherzigen Sie diese Weisheit bei der Arbeit?

Dörrie: Wäre ich Hollywoodregisseurin, würde ich den perfekten Schwamm am Beckenrand als CGI, Computeranimation, herstellen. Ich möchte lieber den Dingen und Personen um mich herum die Gelegenheit geben, zu sein, was sie wollen und können. Das ist durchaus egoistisch: Ich bin neugierig.

SZ: Aber globalisierungskritisch, imperialismuskritisch ist "How to Cook Your Life" schon. Sehen Sie das so, dass zu viel kontrolliert wird?

Dörrie: Reden wir jetzt über Wirtschaft? Über das entfesselte Raubtier des Kapitalismus kann man sehr viel sagen. Aber als Regisseurin muss ich ja nicht so tun, als ob ich die Leute bei der Arbeit nicht unterdrücken würde. Dass muss man schon ambivalent sehen und mit Humor. Aber Wirtschaft interessiert mich sehr, ich verschlinge den Wirtschaftsteil der SZ. Ich will verstehen, warum so viele Leute im Moment mit Getreideaktien spekulieren. Und warum die Banken nicht sagen: Aus ethischen Gründen bieten wir das nicht an. Das ist einfach nicht okay.

SZ: Sprechen Sie gelegentlich den Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, auf diese Dinge an, sagen wir auf einer Gala?

Dörrie: Ich kenne den gar nicht persönlich. Dafür quäle ich damit die Angestellten in meiner Bankfiliale.

SZ: Sind Sie selbst in ethischen Fragen konsequent?

Dörrie: Nein, das ist ja auch unendlich schwierig, immer weniger kann man die Herkunft der Dinge nachvollziehen. Ich gebe mir Mühe, aber ich bin so verlogen wie die meisten von uns - ich schreie zu Hause alle an, wenn sie es wagen, den Wäschetrockner zu benutzen und fliege dann in der Welt herum.

SZ: Wollen Sie über diese Dinge nicht mal einen Dokumentarfilm drehen?

Dörrie: Nein, ich bin nicht analytisch, aber ich könnte Ihnen ad hoc eine Komödie erfinden über einen Menschen, der versucht, moralisch einwandfrei zu leben. Das kann man ja im Filmbereich sowieso nicht, die amerikanische Unterhaltungsindustrie hat ungefähr die gleichen Exportzahlen wie die Waffenindustrie. Ein so mächtiges Wirtschaftsgut wird immer manipulierter. Die Verantwortung, in welchen Kanälen die Filme landen, die man macht, will ja keiner diskutieren. Das ist schon die Frage: Welche Bilder setze ich in die Welt, und was richten Sie an? Ich habe in "Happy Birthday, Türke" eine Folterszene mit einem Toaster gedreht, und dachte später: Die Idee habe ich jetzt in die Welt gesetzt. Aber diese Fragen muss man sich ja nicht nur auf der Ebene von Politik und Gewalt stellen. Es gibt beispielsweise kaum noch einen Hollywoodfilm, in dem die weiblichen Hauptdarsteller nicht retuschiert sind. Bei Zeitschriften wissen Fünfzehnjährige vielleicht, dass die Bilder bearbeitet sind, im Kino nicht. So muss man aussehen, und eine Designer-Handtasche braucht man auch noch.

SZ: Haben Sie Angst vor einer Mediendiktatur?

Dörrie: Die haben wir doch schon: Wir beziehen unsere Vorstellung von Glück aus dem Kino.

© SZ vom 20.08.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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