Geschäftsmodell Pflege:"Wir haben keine zweite Chance"

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Sophie Boissard ist Chefin von Europas größtem Pflegekonzern, Korian. Ein Gespräch über das sensible Geschäft mit dem Altern, Pflegekosten und die Frage, wer wichtiger ist: der Mensch im Heim oder der Aktionär?

Interview von Leo Klimm, Paris

Sophie Boissard empfängt in ihrem Büro im feinen achten Pariser Bezirk. In einer Ecke steht eine Karte, auf der sie ihr Reich aus fast 700 Pflegeheimen und Kliniken in Frankreich, Deutschland, Italien und Belgien überblicken kann: Der Konzern, den sie seit Januar führt, ist mit 2,6 Milliarden Euro Umsatz Europas Marktführer in der Altenpflege. Auch in Deutschland ist Korian mit Töchtern wie Curanum Nummer eins. Das Unternehmen ist börsennotiert, also dem Druck von Investoren ausgesetzt. Doch Boissard findet, ein bisschen mehr Kapitalismus kann nicht schaden - auch und gerade, wenn es um hilfsbedürftige Menschen geht.

SZ: Madame Boissard , Sie müssen den einen ein würdevolles Lebensende ermöglichen, den anderen eine Rendite. Wer ist Ihnen wichtiger: alter Mensch oder Aktionär?

Ich sehe dieses Dilemma nicht. Korian-Aktionäre sind keine Spekulanten, die an schnellem Gewinn interessiert sind, den wir irgendwie aus den Kunden herauspressen müssten. Bei uns gibt es langfristige Rendite. Nur wenn ich in die Qualität der Pflege und der Einrichtungen investiere, kann ich dauerhaft gute Geschäfte machen. Aber ich muss natürlich auch darauf achten, dass die Kapitalgeber zufrieden sind. Mit ihrem Geld kann ich wiederum die Zufriedenheit meiner Kunden steigern - und die meiner Mitarbeiter.

Ist das Pflege-Business ein Geschäft wie jedes andere?

Definitiv nicht. In unserem Beruf geht es um viel Verantwortung. Wir werden alle irgendwann in diese letzte, oft schwierige Lebensphase kommen. Uns wird dieser sehr sensible Lebensabschnitt anvertraut. Da geht es um die essenziellsten Dinge überhaupt, um Leben, Krankheit und Sterben. Das ist anders als bei einem Reiseveranstalter, der Ihnen vielleicht Ihren Urlaub vermasselt. Wir haben keine zweite Chance.

Wenn Sie Frankreich mit Deutschland vergleichen: Kann es sein, dass Pflege als gewinnorientiertes Geschäft in Deutschland kulturell noch nicht richtig akzeptiert ist?

In Frankreich wurde die soziale Fürsorge unter staatlicher Regie aufgebaut, in Deutschland ist sie oft kirchlich geprägt. In beiden Fällen steht dahinter die Vorstellung einer karitativen Tätigkeit. Aber in Frankreich zieht sich der Staat schon seit den Achtzigern zurück, deswegen ist unser Geschäft dort heute nicht mehr so umstritten. Das betriebswirtschaftliche Modell hat klare Vorteile für die ganze Gesellschaft: Mehr Effizienz und Standardisierung der Dienstleistung garantiert besseren Umgang auch mit öffentlichem Geld.

Wie viel zahlen Ihre deutschen Kunden im Durchschnitt?

Etwa 2900 Euro pro Monat. Davon wird ein Anteil von der Pflegeversicherung übernommen, die Höhe des Anteils ist von der jeweiligen Pflegestufe abhängig.

Trotzdem ist das ganz schön viel Geld, deutlich mehr als die Normalrente.

Sie müssen bedenken, dass für die Betreuung eines Kunden im Durchschnitt 0,6 Mitarbeiter notwendig sind. Die Zahlen variieren je nach Art der Einrichtung und von Land zu Land. Die 2900 Euro pro Monat in Deutschland werden durchschnittlich nur zwei Jahre lang bezahlt, in der Regel bis zum Lebensende.

In Deutschland gab es Skandale um Hygienemängel, Unterernährung von Heimbewohnern, Unterbezahlung des Personals. Korian wirbt für sich als Spezialisten für "würdevolles Altern". Wie können Sie behaupten, ausgerechnet der Marktführer sei nicht Teil des deutschen Pflegenotstands?

Wir garantieren Qualität. Aber klar ist auch, dass wir uns weiter verbessern müssen. Das tun wir systematisch bei der Ausbildung des Personals, bei der Anwendung von Therapien und bei den Hygienestandards. Wir forschen und bilden auch im Bereich der alternativen Heilmethoden weiter und wir bekämpfen die Unterernährung älterer Menschen.

Sie haben angesichts schleppender Geschäfte in Deutschland Einsparungen angekündigt und wollen Personalkosten drücken. Sind Ihnen die Pflegekräfte zu teuer?

Wir werden nicht am Personal selbst sparen. Wir wollen vor allem die hohe Fluktuation bei den Beschäftigten eindämmen, denn das verursacht unnötige Kosten, etwa wenn wir ständig neue Mitarbeiter schulen müssen. Wir wollen also, dass unsere Beschäftigten zufriedener sind. Das wird nur funktionieren, wenn wir in sie investieren.

© SZ vom 17.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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