Geldpolitik:Karlsruhe zweifelt

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Die milliardenschweren Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank sind umstritten, vor allem in Deutschland. Jetzt melden die Verfassungsrichter Bedenken an - und schalten den Europäischen Gerichtshof ein.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Shoppen in Athen: Mit der Wirtschaft im Euroraum geht es aufwärts. Die EZB sieht das als Erfolg ihrer Geldpolitik. Aber ist die auch rechtens? (Foto: Kostas Tsironis/ Bloomberg)

Das Bundesverfassungsgericht bezweifelt, dass die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) rechtens ist. "Nach Auffassung des Senats sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die dem Anleihenkaufprogramm zugrunde liegenden Beschlüsse gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstoßen", so die Richter in ihrer am Dienstag veröffentlichten Mitteilung (Az. 2 BvR 859/15 u.a.).

Weil es um EU-Recht geht, haben die deutschen Verfassungsrichter den Europäischen Gerichtshof (EuGH) nun eingeschaltet. Der EuGH möge in einem "beschleunigten Verfahren" die rechtliche Prüfung des Sachverhalts vornehmen. Ein solches Verfahren dauert in der Regel fünf Monate. Erst nach dem Richterspruch aus Luxemburg wird das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung treffen.

Die EZB kauft seit März 2015 in großem Umfang Staatsanleihen der Euro-Staaten. Das Programm mit einem Gesamtvolumen von 2,2 Billionen Euro läuft noch bis Dezember. Die Währungshüter wollten mit dieser Maßnahme die Inflationsrate im Euro-Raum auf zwei Prozent hieven, nachdem die Preise zeitweise gesunken waren. Eine solche Deflation, so die Befürchtung damals, hätte in eine gefährliche Rezession münden können. Die EZB hat das Mandat für stabile Preise zu sorgen. Die Notenbank definiert Preisstabilität mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent.

Mittlerweile ist die Inflationsrate in der Euro-Zone auf 1,3 Prozent gestiegen. Auch das Wachstum zieht an. Die Finanzmärkte rechnen damit, dass EZB-Präsident Mario Draghi und die Notenbankchefs der Euro-Staaten im Herbst den langsamen Ausstieg aus dem Kaufprogramm beschließen werden. Mit einer markanten Leitzinserhöhung wird vorerst nicht gerechnet.

In Deutschland sind die Staatsanleihekäufe der EZB schon lange umstritten. Durch den Erwerb der Schuldscheine sinken die Kreditzinsen, die Regierungen an den Finanzmärkten für zusätzliche Schulden bezahlen müssen. Damit kann man das EZB-Programm zumindest als Quersubventionierung der Schuldenaufnahme interpretieren. Die Kläger, der AfD-Gründer Bernd Lucke, der frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler und der Berliner Professor Markus Kerber, halten es für eine rechtswidrige Finanzierung der Staatshaushalte aus der Notenpresse.

Sie wollen erreichen, dass das Bundesverfassungsgericht die Beteiligung der Bundesbank an dem EZB-Programm stoppt. Schließlich gehe die Bundesbank für die EZB Milliardenrisiken ein, ohne dass der Bundestag dem je zugestimmt habe, zumal Deutschland im schlimmsten Fall - dem Kollaps der Euro-Zone - für Anleihen der anderen Staaten haften würde.

Die EZB macht geltend, dass sie die Anleihen nicht direkt bei den Staaten zeichne, sondern die Wertpapiere erst erwerbe, wenn sie bereits im Besitz von Banken und anderen Investoren seien. Dieser Ankauf am Zweitmarkt sei ihr laut Statut erlaubt. Um den Verdacht der verbotenen Staatsfinanzierung weiter zu entkräften, hat sich die Notenbank auferlegt, höchstens 33 Prozent der Staatsanleihen eines Eurolandes zu kaufen.

Kritiker beklagen eine "Haftungsvergemeinschaftung durch die Hintertür"

Jetzt muss sich der EuGH schon zum zweiten Mal mit einem Anleihekaufprogramm der EZB auseinandersetzen. Nachdem EZB-Chef Draghi im Sommer 2012 in seiner Londoner Rede versprochen hatte, man werde alles tun, um den Euro zu retten, beschloss die EZB das sogenannte OMT-Programm. Es kam bisher nie zum Einsatz und fungiert als Schutzschild der Euro-Zone. Im Ernstfall will die EZB Staatsanleihen der Euro-Mitglieder kaufen, um einen Kollaps der Währungsunion zu verhindern. Auch damals klagten Gegner vor dem Bundesverfassungsgericht. Die EZB habe die Grenzen ihres Mandats überschritten, weil sie in Aussicht stelle, Staaten zu finanzieren. Auch damals gaben die deutschen Verfassungsrichter den Fall an den EuGH ab. Dort hielt man die Maßnahme der EZB für rechtens. Das Bundesverfassungsgericht folgte der Entscheidung 2016 und wies die Verfassungsbeschwerden als zum Teil unzulässig, und wo sie zulässig waren, als unbegründet zurück.

Nun also das zweite Mal, erneut wird der Kauf von Staatsanleihen geprüft. Allerdings gibt es einen Unterschied. Das OMT-Programm soll einzelnen Euro-Staaten in der Not helfen. Das aktuelle Staatsanleihekaufprogramm der EZB, Quantitative Easing genannt, sieht vor, dass die Staatsanleihen aller Euro-Staaten von der EZB gekauft werden - im Verhältnis ihrer Wirtschaftskraft.

"Ich erwarte, dass der Europäische Gerichtshof sich wie auch im vergangenen Jahr wieder für die EZB und gegen das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird", sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Die jetzigen Klagen hätten noch weniger Plausibilität als die Klagen gegen das OMT-Programm. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider bezeichnete die Anleihekäufe als "Haftungsvergemeinschaftung durch die Hintertür". Jedoch müsse eine Haftungsübernahme politisch gesteuert und demokratisch legitimiert sein. "Das ist bei der EZB nicht der Fall."

© SZ vom 16.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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