GE und Siemens:Der Schatten

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SZ-Grafik (Foto: SZ-Grafik)

General Electric war jahrzehntelang der gefürchtete Maßstab für Siemens. Das hat sich geändert.

Von Karl-Heinz Büschemann, München

Manchmal gibt es zwischen Unternehmen, die einander ähnlich sind, auch zufällige Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel haben die beiden Technologiekonzerne General Electric (GE) und Siemens gerade hypermoderne Hauptverwaltungen bezogen. Der US-Konzern GE zog dafür von Fairfield/Connecticut ins drei Autostunden entfernte Boston. Die Siemens-Manager mussten nur ein paar hundert Meter wandern, um ihre neuen Büros am Wittelsbacher Platz in München zu beziehen.

Siemens und GE verbindet aber auch eine lange Rivalität. Zwei Unternehmen, die auf ähnlichen Märkten vertreten sind, etwa beim Kraftwerks- und Turbinenbau oder in der Medizintechnik, und ähnlich groß sind. Siemens hat 350 000 Beschäftigte, der Konkurrent aus Boston 333 000. Siemens macht 80 Milliarden Euro Umsatz, GE umgerechnet 110 Milliarden. Die Deutschen erzielten 2016 einen Nettogewinn von 5,6 Milliarden Euro, GE knapp acht Milliarden. Und beide sind Mischkonzerne.

In manchem unterscheiden sie sich: Bei GE gibt es Glühbirnen und Flugzeugtriebwerke, ja sogar eine Vermögensverwaltung, bei den Deutschen nicht. An der Börse ist GE 224 Milliarden Euro wert. Siemens nur 107 Milliarden. In der Vergangenheit war die Rivalität manchmal so groß, dass vor allem Siemens neidvoll auf den Konkurrenten schaute. GE war der Maßstab für die Manager in München, auch wenn das offen niemand sagte. Der Schatten von GE schwebte über dem Wittelsbacher Platz wie eine drückende Last.

Das lag lange an dem legendären GE-Konzernchef Jack Welch, der vor der Jahrtausendwende als der Prediger der modernen Zeiten galt. Für den gefürchteten GE-Boss galt nur ein Interesse: das der Aktionäre. Wenn einzelne Geschäfte nicht liefen, gab es drei Möglichkeiten: "In Ordnung bringen, verkaufen oder schließen". Das war das klare Prinzip des damals angeblich besten Managers der Welt, der GE zum teuersten Unternehmen der Welt machte.

Anderthalb Jahrzehnte nach dem Abschied von Welch und kurz vor dem Ausscheiden von dessen Nachfolger Jeffrey Immelt gibt es ein paar Gründe weniger, den GE-Konzern zu bewundern. Das ist auch die Ursache für das überraschende Ausscheiden des 61-jährigen Immelt nach 16 Jahren. Der Aktienkurs von GE tendiert seit Jahren nach unten oder stagniert. Seit der Finanzkrise 2008 schneidet Siemens an der Börse besser ab als GE und läuft dem Rivalen inzwischen sogar davon. Siemens hat den Übergang in die modernen Zeiten der Automatisierung und Digitalisierung besser im Griff als die Amerikaner. GE hatte lange ein umfangreiches Finanz- und Versicherungsgeschäft, das mit der Finanzkrise so in Mitleidenschaft gezogen wurde, dass der Konzern an den Rand des Abgrundes geriet. Manches Geschäft wurde Immelt nur mit hohen Verlusten los. Mühsam musste er den verschachtelten Konzern umbauen, oft durch Kauf oder Verkauf von Unternehmensteilen.

Die Deutschen machten es meist anders. Sie setzten weniger auf den Zukauf von profitablen Geschäften als GE. Bei Siemens war Innovation einer der internen Treiber der Geschäfts. So kommt es, dass Siemens heute eine starke Stellung bei Industrieautomatisierung hat und GE auf diesem Sektor nicht viel bietet. Dafür beneiden die Münchner das Kraftwerks- und Turbinengeschäft von GE, vom dem ein Kenner sagt, da sei GE "uneinholbar vorne". Bei der Medizintechnik liegen beide etwa gleichauf.

Die Medizintechnik ist aber einer der Gründe, warum es Siemens an der Börse besser ergeht als dem US-Rivalen. Seit Siemens-Chef Joe Kaeser bekannt gegeben hat, die Medizintechnik-Sparte auszugliedern und teilweise an die Börse zu bringen, ist der Siemens-Kurs im Auftrieb. Der Schritt könnte der Anfang vom Ende des hochprofitablen Geschäfts unter dem Siemens-Dach und der Weg zu einer stärkeren Fokussierung des Konzerns sein, wie sie von Investoren an den Finanzmärkten gern gesehen wird. Seit Anfang 2016 ist der Siemens-Aktienkurs um 27 Prozent gestiegen. Der von GE verlor in der gleichen Zeit ein Viertel seines Werts.

Das hat den GE-Investoren nicht gefallen. Sie machten Druck auf Immelt und forderten schließlich seine Ablösung. Bei Siemens gibt es keine hörbare Diskussion über die Leistung von Konzernchef Joe Kaeser.

© SZ vom 14.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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