GDL-Chef Manfred Schell im Interview:"Für uns wird es keine Schlichtung geben"

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Der Chef der Lokführergewerkschaft Schell über die neue Streikstrategie, Kanzlerin Merkels mögliche Vermittlerrolle, Don Camillo und Peppone - und den Erfolg seiner Kur.

Melanie Ahlemeier und Hans von der Hagen

Das Sächsische Landesarbeitsgericht hat Streiks der Lokführer im Fern- und Güterverkehr legitimiert. Damit wurde die Position der Lokführergewerkschaft erheblich gestärkt. Der Chef der Lokführer Manfred Schell sagt, welchen Weg die Gewerkschaft nun gehen wird, was sie von der Bahn erwartet und wie sein Verhältnis zu Hartmut Mehdorn ist. sueddeutsche.de traf den 64-Jährigen in seiner Kurklinik in Radolfzell am Bodensee.

GDL-Chef Manfred Schell: "Wir haben jetzt etwas erreicht, das uns auf dem Weg zu dem, was wir wollen, ein gehöriges Stück weitergebracht hat." (Foto: Foto: Ahlemeier)

sueddeutsche.de: Herr Schell, haben Sie den Sieg der GDL vor Gericht kräftig gefeiert? Oder verträgt sich das nicht mit einem Kuraufenthalt in einer Herz-Kreislauf-Klinik?

Manfred Schell: Das ist die Frage, wie man einen Sieg feiert. Wir haben zwei Bier getrunken und gut gegessen. Und damit tatsächlich ausgiebig gefeiert.

sueddeutsche.de: Das Sächsische Landesarbeitsgericht in Chemnitz hat entschieden: Streiks im Güter- und Fernverkehr sind zulässig. Wie geht es nun weiter?

Schell: Wir werden uns mit dem geschäftsführenden Vorstand zusammensetzen und diskutieren, was für einen Weg wir einschlagen. Dazu zählt auch, dass wir darüber nachdenken, welche Art von Arbeitskampf wir führen. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Bahnchef Hartmut Mehdorn inzwischen die Bundeskanzlerin aufgefordert hat, zu vermitteln. Wir werden abwarten, ob das Resonanz findet.

sueddeutsche.de: Sie sind für ein paar Wochen - ob Sie es wollen oder nicht - einer der mächtigsten Männer der Republik. Schmeichelt Ihnen das?

Schell: Wenn ich höre, was da von den verschiedensten Wirtschaftsinstituten und der Bahn selbst alles so gesagt wird, dann denke ich wirklich, dass es nichts Mächtigeres in dieser Republik gibt als die GDL. Ich kann mir das gar nicht vorstellen, aber hier wird wieder ein Popanz aufgebaut. Was damit bezweckt wird, weiß ich nicht. Wir haben jetzt etwas erreicht, das uns auf dem Weg zu dem, was wir wollen, ein gehöriges Stück weitergebracht hat.

sueddeutsche.de: Sie sind nun aber legitimiert, die Republik lahmzulegen.

Schell: Das ist richtig. Aber das war und ist nie unsere Absicht gewesen. Uns hat es schon nicht gefallen, dass wir bei DB Regio derartige Arbeitskämpfe führen mussten, denn hier waren vor allem die Pendler und der Schulverkehr betroffen. Wir mussten allerdings zur Kenntnis nehmen, dass diese Streikaktionen den Bahnvorstand offenbar in keiner Weise beeindruckt haben. Von daher ist es gut, dass die Gerichtsentscheidung jetzt so gefallen ist. Jetzt wird ein neues Kapitel in unserer Tarifauseinandersetzung aufgeschlagen.

sueddeutsche.de: Dass sie vor Gericht siegen würden, war keineswegs sicher. Hatten Sie nur auf einen Sieg gehofft - oder auch damit gerechnet?

Schell: Ich bin immer noch davon ausgegangen, dass wir in einem Rechtsstaat leben und dass das Grundgesetz noch in Kraft ist. Die Zuversicht, dass das Urteil aber tatsächlich zu unseren Gunsten ausfallen könnte, wuchs während der Verhandlung. Das merkt man an der Verhandlungsführung des Vorsitzenden Richters. Wir haben gesagt: Sollten wir beim Gericht in Chemnitz obsiegen, dann muss der Bahnvorstand von seiner bisherigen sturen Haltung abrücken. Das, was er angeboten hat, ist wirklich nur als lächerlich zu bezeichnen. Dass man Mehrarbeit, die man bereits geleistet hat, auch ausbezahlt bekommt, hat mit einer Tarifauseinandersetzung nichts zu tun.

sueddeutsche.de: Ist der Streik nicht längst zur Privatfehde zwischen Ihnen und Bahnchef Mehdorn mutiert?

Schell: Herr Mehdorn hat sich in den wenigsten Augenblicken in die Auseinandersetzungen eingeschaltet. Das ist auch nicht sein Job. Er hat einen Personalvorstand, Frau Suckale, und er verfügt über einen Arbeitgeberverband. Da hat er noch einmal einen Hauptgeschäftsführer. Das ist deren Arbeit, mit uns die Verhandlungen zu führen. Beim Abschluss der Moderatorenvereinbarung ist Mehdorn allerdings dabei gewesen. Die ist für uns immer noch Maßstab aller Dinge.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Schell über Mehdorn denkt.

sueddeutsche.de: Und doch scheint Sie eine Hassliebe mit Herrn Mehdorn zu verbinden.

GDL-Boss Schell in seiner Kurklinik in Radolfzell am Bodensee: "Der Vorstand ist nun in der Pflicht, uns ein Angebot zu machen - ob es ihm passt oder nicht." (Foto: Foto: Ahlemeier)

Schell: Nein, allerdings sagen einige, die uns beide kennen, dass wir vom Charakter her eigentlich ganz gut zusammenpassen.

sueddeutsche.de: Don Camillo und Peppone?

Schell: Da weiß ich nicht, wer Don Camillo ist. Wenn man die Konfessionen zugrunde legt, dann müsste ich schon Don Camillo sein.

sueddeutsche.de: Mehdorn nennen Sie "Rumpelstilzchen", Personalvorstand Suckale bezeichnen Sie als "Super Nanny" und den kompletten Bahnvorstand als "Außerirdische": Macht die Luft in Radolfzell so aggressiv oder gehören diese Ausdrücke zum Stammvokabular der GDL?

Schell: Das würde ich nicht so sehen. Ich bin mein Leben lang ein politischer Mensch gewesen. Solche Äußerungen sollte man nicht überbewerten.

sueddeutsche.de: Wollen Sie sich für Ihre Wortwahl entschuldigen?

Schell: Um Gottes Willen. Ich entschuldige mich doch nicht dafür. Das habe ich nicht nötig und ich halte diese Ausdrücke auch nicht für entschuldigungswürdig.

sueddeutsche.de: Verlassen Sie mit Ihren Forderungen nicht selbst die Familie der Eisenbahner und werden zum Außerirdischen? Künftig gäbe es dann die Beamten sowie die Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse. Die Lokführer säßen in der ersten Klasse.

Schell: Blödsinn.

sueddeutsche.de: Ihr rustikales Vokabular verhärtet die Fronten weiter. Wie sollen GDL und Bahn überhaupt noch zueinanderfinden?

Schell: Ich gehe davon aus, dass die Bahn das Chemnitzer Urteil verstanden hat und sich den Stillstand im Güter- und Fernverkehr nicht erlauben kann. Der Vorstand ist nun in der Pflicht, uns ein Angebot zu machen - ob es ihm passt oder nicht.

sueddeutsche.de: Also, wie lange wird die Tarifauseinandersetzung noch dauern?

Schell: Ich denke nicht, dass sie lange dauern kann. Sollten wir - falls wir kein vernünftiges Angebot bekommen - einen Arbeitskampf führen, dann würde Deutschland zunächst im Güterverkehr für x Stunden stillstehen.

sueddeutsche.de: Im Nahverkehr wurden zuletzt 30 Stunden am Stück gestreikt. Ist das auch eine realistische Dauer für den Güterverkehr?

Schell: Im Güterverkehr sind besondere Spielregeln zu beachten. Der spielt sich normalerweise in der Nacht ab. Wir kommen aus der Branche und wissen, was wir tun. Ob wir mit 30 Stunden beginnen sollen, müssen wir überlegen. Es wäre sicherlich sehr eindrucksvoll zu beweisen, dass es geht, und damit den Verhandlungsprozess zu beschleunigen. Aber warten wir ab, was in dieser Woche geschieht.

sueddeutsche.de: Wie sieht ein vernünftiges Bahn-Angebot aus?

Schell: Ein vernünftiges Angebot basiert auf der Grundlage dessen, was der Bahnvorstand und der Arbeitgeberverband der Bahn bereits unterschrieben haben: das Ergebnis der Moderatoren. Danach verpflichtet sich die Bahn mit der GDL über einen eigenständigen Tarifvertrag, der Zeit und Geld umfasst, zu verhandeln, und diesen mit ihr abzuschließen. Und dann kommen noch andere Punkte dazu, die wir genauso akzeptieren werden. Das ist die Basis.

sueddeutsche.de: Und dieser Vertrag muss Punkt für Punkt erfüllt sein?

Schell: Nein, muss er nicht. Das hat es auch noch nie in der Republik gegeben. In der Regel treffen sich die Tarifparteien in der Mitte.

sueddeutsche.de: Welche Forderungen würde die GDL opfern, damit es zu einer Einigung käme? Wären Sie zu Mehrarbeit bereit?

Schell: Wir wollen von der 41- auf die 40-Stunden-Woche zurück. Mehrarbeit ist mit uns nicht zu machen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Schell tun würde, wenn Kanzlerin Merkel anriefe.

sueddeutsche.de: Aber was bleibt dann für die Mitte übrig, wenn Sie weder bei der Arbeitszeit noch bei der Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag Kompromisse machen wollen? Nur ein paar Gehaltsprozente?

Schell: Tatsache ist, dass in dem Moderatorenergebnis die Forderung stand, dass wir auf die Zugbegleiter verzichten. Das heißt, wir reden hier über 3000 Zugbegleiter, die bei uns Mitglieder sind, die wir nicht aufnehmen sollten in diesem Tarifvertrag. Wir sollten den Tarifvertrag nur für Lokführer machen. Da haben wir zugestimmt. Und vom Bahnvorstand wollten die Moderatoren, dass er das Zugeständnis macht, mit uns einen eigenständigen Tarifvertrag zu verhandeln. Das war ein Aufeinanderzukommen. Nur die Bahn ist wieder abgedriftet.

sueddeutsche.de: Würde nicht mancher Lokführer lieber deutlich mehr Geld bekommen und dafür auf einen eigenständigen Tarifvertrag verzichten - anstatt nun einen eigenständigen Vertrag zu bekommen und dafür weniger Gehaltszuwachs?

Schell: Nein. Wir haben bis hierher durchgehalten und wollen jetzt nicht unsere Ziele aufweichen. Dann würde im nächsten Jahr alles wieder von vorne losgehen.

sueddeutsche.de: Wie lange kann die GDL Streiks durchhalten? Die Streikkasse ist ja offenbar gut gefüllt.

Schell: Es findet überhaupt kein Arbeitskampf statt, wenn der Vorstand in dieser Woche ein vernünftiges Angebot unterbreitet. Er hat es in der Hand. Ganz Deutschland weiß, was wir wollen. Wenn Deutschland endgültig kapiert, dass sich der Bahnvorstand nicht bewegt und dass es für uns wirklich keine Alternative gibt - dann hat man eben diesen Arbeitskampf.

sueddeutsche.de: Ein Schlichter kommt für Sie nicht mehr in Frage?

Schell: Für uns wird es keine Schlichtung geben! Wir haben das förmliche Schlichtungsverfahren vor der Tarifrunde aufgekündigt, weil wir es nicht wollten. Als wir nicht weiterkamen, haben wir die Moderatoren Biedenkopf und Geißler genommen. Was sollen wir jetzt wieder mit einem Schlichter anfangen?

sueddeutsche.de: Wenn Kanzlerin Merkel anriefe, um im festgefahrenen Tarifstreit zu vermitteln - würden Sie das akzeptieren?

Schell: Aber selbstverständlich.

sueddeutsche.de: Der Streit ist nicht ausschließlich ein Kampf der GDL mit der Bahn, sondern auch ein Streit der drei Bahngewerkschaften GDL, Transnet und GDBA untereinander. Ist darum ein GDL-Neumitglied in Zeiten des Streiks mit 100 Euro Kopfprämie viermal soviel wert wie sonst?

Schell: Die Ortsgruppe müssen Sie mir zeigen. Keine GDL-Ortsgruppe ist so finanzstark. Das stimmt nicht. Wir zahlen keine Kopfprämie.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, ob Schells Krankenkasse bereits angerufen hat.

sueddeutsche.de: Wie viele neue Mitglieder haben Sie jetzt durch die Dauerpräsenz in den Medien gewonnen?

Schell: Die zähle ich nicht. Ich höre nur zu, wenn mein Transnet-Kollege Norbert Hansen berichtet. Demnach müssten wir jetzt bei 1000 liegen.

sueddeutsche.de: Rüsten Sie sich mit der Etablierung der GDL als eigenständige Gewerkschaft für die Zeit nach dem Börsengang, wenn das Klima im Konzern noch rauher werden dürfte?

Schell: Zum Börsengang haben wir 2006 einen Beschluss gefasst, da waren wir sicherlich wieder wegweisend. Wir haben gesagt, dass wir die Bahn noch nicht für börsenreif halten. Das sehen wir auch heute so.

sueddeutsche.de: Sind Sie prinzipiell gegen den Börsengang? Immerhin bekäme der Konzern wieder Geld in die Kasse. Irgendwie müssen die Lokführer ja bezahlt werden.

Schell: Der Börsengang ist für mich keine Option, um das zu erbringen, was wir im Jahr mehr kosten. Ich bin nicht prinzipiell gegen den Börsengang, solange die Infrastruktur beim Bund bleibt. Ich halte die Bahn zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht für börsenfähig.

sueddeutsche.de: Die Bahn-Aktien könnten möglicherweise eine sichere Geldanlage werden. Zeichnen Sie Papiere?

Schell: Es könnte gegebenenfalls eine sichere Geldanlage werden - so formuliert könnte ich das unterschreiben. Ob sie tatsächlich eine wird oder ob es die Wiederholung der Post ist - das bleibt abzuwarten. Ich kann mich nicht dafür begeistern.

sueddeutsche.de: Sie danken im Mai kommendes Jahres ab und gehen in Rente. Falls sich eine Einigung mit der Bahn noch länger hinauszögert, könnten Sie unter Zeitdruck geraten. Bangen Sie um Ihr Lebenswerk?

Schell: Nein, ich fürchte nicht um mein Lebenswerk. In den mittlerweile 24 Jahren Vorstandstätigkeit ist mir vieles gelungen.

sueddeutsche.de: Ist dieser Streik der Höhepunkt?

Schell: Wenn man überhaupt irgendetwas als Höhepunkt bezeichnen kann, dann war das wohl der 24. Januar 1990. Damals bin ich nach Halle an der Saale gefahren, habe dort die erste freie Gewerkschaft in der DDR gegründet und die Kollegen der Deutschen Reichsbahn mit den Kollegen der damaligen Deutschen Bundesbahn zusammengeführt. Das hat einen weitaus höheren Stellenwert auch für die Zukunft als diese Tarifauseinandersetzung.

sueddeutsche.de: Sie haben sich selbst als "Kämpfer" und "Malocher" bezeichnet. Welcher Malocher fährt einen Mercedes SLK?

Schell: Da stellen sich folgende Fragen: Arbeiten Malocher nur 700 Meter unter der Erde? Oder gibt es Malocher, die oberirdisch arbeiten? Ich denke mir, das muss nach 25 Jahren Vorstandstätigkeit drin sein.

sueddeutsche.de: Einen Glaubwürdigkeitsverlust sehen Sie nicht? Gewerkschaften kümmern sich ja eher um Schwächere, die ihre Ziele nicht alleine erreichen können. Da könnte ein extravaganter Sportwagen manchem GDL-Mitglied sauer aufstoßen.

Schell: Ich weiß, was ich sonst zu tun habe und mein soziales Engagement festzumachen an vier Rädern, über denen ein Stern schwebt, ist nicht von besonderer Bedeutung.

sueddeutsche.de: Hat Ihre Krankenkasse Sie schon angerufen? Die könnte sich Sorgen machen, dass Sie hier nicht zum Kuren kommen. Sie haben sich hier vom idyllisch gelegenen Radolfzell am Bodensee ständig in die Diskussionen eingeschaltet.

Schell: Die Frage habe ich mir ebenfalls gestellt. Aber einen Anruf gab es bisher nicht. Das, was medizinisch erforderlich war, habe ich abgespult. Das hat morgens in der Regel um 8.30 Uhr begonnen, am Nachmittag um 15 Uhr hat das geendet. Dazwischen bleibt dann immer mal ein halbes Stündchen, um irgendetwas zu sagen und am Nachmittag ging das auch. Das war machbar.

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