Fusionen:Von Großen und Größeren

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Fisch)

Das Geld ist billig wie nie zuvor. Das löst eine neue Fusionswelle aus, erst in den USA, jetzt auch in Europa. Drei Dax-Konzerne mischen mit: Bayer, Linde und die Deutsche Börse.

Von Karl-Heinz Büschemann und Kathrin Werner, München/New York

63,3 Milliarden Dollar! 30 Milliarden Dollar! 25 Milliarden Euro! Diese Zahlen sind für normale Menschen unvorstellbar. Sie könnten das Bruttoinlandsprodukt kleinerer Länder sein. Drei deutsche Konzerne jedoch, versuchen mit diesem Geld ausländische Wettbewerber zu übernehmen. 63,3 Milliarden Dollar, 30 Milliarden Dollar und 25 Milliarden Euro, das sind die Werte der größten Zukäufe: Bayer greift nach Monsanto, Linde bietet für Praxair und die Deutsche Börse will mit der Londoner Stock Exchange zusammen gehen.

Die Welt erlebt seit mehr als einem Jahr eine historische Fusionswelle. Weltweit hatte das Jahr 2015 mit Unternehmenszusammenschlüssen im Wert von mehr als 4,5 Billionen Dollar die Rekordstände von 2007, also dem Jahr unmittelbar vor der Finanzkrise, übertroffen. Der Chemiekonzern Pfizer wollte den Botox-Hersteller Allergan kaufen; ist damit allerdings gescheitert. Die US-Chemiekonzerne Dow und Dupont gingen zusammen und Inbev schluckte den Rivalen SAB Miller.

Sechs der zehn größten Deals fanden im vergangenen Jahr innerhalb der USA statt

Sechs der zehn größten Übernahmen weltweit spielten im vergangenen Jahr innerhalb der USA. Die Zeit für Fusionen ist derzeit günstig, sagt Volker Krug, der beim Prüfungsunternehmen Deloitte Übernahmen begleitet. "Viele größere Unternehmen haben sehr viel Bargeld in der Bilanz und suchen nach globalen Wachstums- und Investitionsmöglichkeiten." Auch dass es im Moment sehr leicht ist, Kredite zu bekommen, befeuere das Fusionsgeschäft, sagt Krug. "Viele Unternehmen stellen fest, dass das Wachstum in den Schwellenländern etwas ins Stocken geraten ist. Um neue Wachstumschancen zu finden, schauen sie inzwischen wieder mehr in entwickelte Märkte wie zum Beispiel Deutschland und gehen dort auf die Jagd nach Übernahmeobjekten."

Deutsche Firmen hielten sich im vergangenen Jahr mit Fusionen zurück, vor allem in Nordamerika, weil der schwache Euro sie bremste und einige wie Siemens noch damit beschäftigt waren, ihre Zukäufe aus dem Vorjahr zu bewältigen. Das hat sich nun massiv geändert, wie die geplanten Großübernahmen belegen. Alle drei könnten allerdings noch scheitern.

Vor allem die Lage bei Bayer und Monsanto ist noch unklar. Bislang hat das umstrittene amerikanische Biotech-Unternehmen, das vor allem für Pflanzenschutzmittel und genmanipuliertes Saatgut bekannt ist, das Angebot aus Deutschland als zu niedrig abgelehnt. Auch der Deal des Münchner Industriegasanbieters Linde ist noch längst nicht abgeschlossen. Der Dax-Konzern will mit dem US-Wettbewerber Praxair aus dem Bundesstaat Connecticut fusionieren, der ebenfalls zu den führenden Anbietern zählt. Im Moment kontrollieren nur noch vier große Konzerne etwa zwei Drittel des Weltmarktes und Linde-Praxair hätten gemeinsam einen Anteil von etwa 40 Prozent. Das könnte den Wettbewerb auf diesem Markt beeinträchtigen. Die Kartellbehörden in den Vereinigten Staaten und Brüssel werden den Fall besonders kritisch unter die Lupe nehmen.

Dem seit Ende 2015 geplanten Zusammenschluss von Deutscher und Londoner Börse, der schon von den eigenen Aktionären nur zögerlich akzeptiert wurde, rollt nun auch noch mit dem Brexit ein massives Hindernis in den Weg. Seit die Briten Ende Juni für den Ausstieg aus der EU stimmten, wachsen die Bedenken. Die beiden Börsen hatten sich darauf verständigt, den Sitz der neuen Gesellschaft in London, der europäischen Finanzmetropole anzusiedeln. Das ist jetzt umstritten. Dass die wichtigste europäische Börse ihren Firmensitz künftig außerhalb der EU haben könnte, schreckt inzwischen Banker wie Politiker. Hessens Landesregierung hat schon ihren Widerstand gegen den Plan angekündigt.

Der Brexit bremst auch weitere Fusionspläne, das weiß Martin Schwarzer, Partner und Fusionsexperte der Beratungsgesellschaft PwC. "Deshalb sind schon Transaktionen gescheitert", sagt er. Derzeit werde auf der Insel sehr genau hingeschaut, vor allem, wenn es um die Übernahme von Firmen mit hohen Umsatzanteilen in Großbritannien geht. "Die Unsicherheit ist hoch", meint Schwarzer.

Starker Antrieb für die weltweite Fusionslust ist die Politik des billigen Geldes, mit der insbesondere die Federal Reserve in den Vereinigten Staaten und die Europäischen Zentralbank nach der Finanzkrise die lahmende Wirtschaft ankurbeln wollten. Das macht die Finanzierung von Übernahmen billiger, und deshalb sind auch Deals möglich, die sich vor einigen Jahren kaum ein Konzern getraut hätte.

Beispiel Bayer: Der Leverkusener Chemiekonzern muss für Brückenkredite zur Finanzierung der gewaltigen Transaktion nur etwa 0,5 Prozent Zinsen zahlen. So aber hatten sich die Zentralbanken das Ergebnis ihrer Politik nicht vorgestellt. Sie hatten gehofft, dass die Unternehmen das billige Geld in neue Fabriken und Arbeitsplätze stecken, stattdessen nutzen sie die neue finanzielle Freiheit, um globale Großkonzerne zu schmieden, gegen die es Wettbewerber immer schwerer haben. Die Verlockung des billigen Geldes birgt aber auch Gefahren für die Unternehmen, die auf Shoppingtour sind. Höhere Kosten für Schulden könnten Übernahmen verhindern, die sich unter normalen Marktbedingungen nicht lohnen würden. Wo das billige Geld zur treibenden Kraft wird, zügeln zunehmend die Behörden und politische Unsicherheit wie die geplante EU-Flucht der Briten oder der Ausgang der Präsidentschaftswahlen im kommenden November in den USA. "Für große, sehr komplexe Deals sind die Prozesse im Moment etwas zäh", sagt Krug von Deloitte. "Das liegt auch daran, dass es in vielen Ländern regulatorische Fragen gibt". Die Aufsichtsbehörden schauen seiner Meinung nach immer genauer hin: "Das ist auch politisch beeinflusst."

Inzwischen versucht die Regierung in Washington, Übernahmen zu erschweren

Die US-Regierung hat es für amerikanische Konzerne deutlich schwerer gemacht, ausländische Unternehmen zu übernehmen und die Firmenzentrale aus Steuergründen ins Ausland zu verlegen. Die Behörden in den USA und Europa sehen auch Zusammenschlüsse zunehmend kritisch, bei denen zu mächtige Spieler entstehen, die den Markt und die Preise zu Lasten von Wettbewerbern und Verbrauchern dominieren könnten. In der vergangenen Woche hatte die Europäische Kommission verkündet, die geplante Fusion der amerikanischen Chemiekonzerne Dow Chemical und Dupont ausführlich zu prüfen, vor allem wegen der möglichen Dominanz auf dem Agrarmarkt. Das dürfte auch die Manager von Bayer und Monsanto interessieren.

Jüngst scheiterte auch die 38-Milliarden-Dollar-Ehe der Öldienstleister Halliburton und Baker Hughes an der amerikanischen Kartellbehörde. Deshalb verlagern sich US-Unternehmen in diesem Jahr mehr auf kleinere Transaktionen: Laut Branchendienst Thomson Reuters sind 2016 bislang Zusammenschlüsse im Wert von 1,9 Billionen Dollar verkündet worden, das ist zwar 27 Prozent weniger als im Rekordjahr 2015, aber noch immer deutlich mehr als im Schnitt der vergangenen Jahre. Die Zahl der Deals ist nur um gut fünf Prozent gesunken.

Glaubt man dem Dienstleister Intralinks, wird die Zahl der Fusionen in Europa in diesem Jahr jedoch steigen. Die New Yorker Firma hat gezählt, wie viele virtuelle Datenräume im zweiten Quartal eröffnet wurden, in denen Interessenten wichtige Unternehmensunterlagen einsehen können. In Europa waren es 16 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Im zweiten Halbjahr könnten daraus große Fusionen erwachsen. Allerdings betätigen sich europäische Unternehmen nicht nur als Käufer. Ausländische Investoren sind auch zunehmend an europäischen Firmen interessiert. Der chinesische Hausgerätehersteller Midea übernimmt gerade den deutschen Roboterhersteller Kuka. Unternehmen aus der Volksrepublik beteiligten sich allein im ersten Halbjahr schon an 164 europäischen Unternehmen im Wert von 72,4 Milliarden Dollar. Das ist fast doppelt so viel wie im ganzen Jahr 2015.

© SZ vom 20.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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