Freihandel:Wer zu spät kommt

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Der Streit um TTIP befördert Deutschland ins Abseits.

Von Cerstin Gammelin

Die deutschen Sozialdemokraten gefallen sich darin zu drohen, dass sie dem transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP nicht oder nur unter bestimmten Auflagen zustimmen werden. Das hört sich so an, als verhandele die SPD direkt mit den USA. So, als läge es in ihrer Macht, das Abkommen scheitern zu lassen oder erfolgreich abzuschließen. So ist es aber nicht. Im Gegenteil.

Über TTIP verhandeln die amerikanische Regierung sowie die Europäische Kommission. Letztere legal im Auftrag von 28 demokratisch gewählten Regierungen. Die SPD ist nur der kleinere Koalitionspartner der großen Koalition in Deutschland. Weshalb das Auftreten der Genossen, freundlich gesagt, von einer grandiosen Selbstüberschätzung zeugt.

Die Attitüde wirft freilich einige innenpolitische Fragen auf. Etwa die, wie es die Regierungskoalition mit TTIP hält. Zur Erinnerung: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist eine bekennende Anhängerin des Freihandels. Sie wirbt dafür, mit den USA ein umfassendes Abkommen abzuschließen, das weltweit Standards für Handelsgeschäfte setzt. Merkel will, dass die Verhandlungen bis Anfang 2017 abgeschlossen werden.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) müsste von Amts wegen ihr natürlicher Verbündeter sein. Weil der Freihandel für Wirtschaftswachstum sorgen soll, für zusätzliche Arbeitsplätze und neue Produkte. Zu beobachten ist allerdings ein Bundeswirtschaftsminister, der von TTIP Abschied nehmen und deshalb jetzt schon die Verhandlungen abschließend bewerten will. Einer, der nach Argumenten sucht, mit denen er den Ausstieg aus den Verhandlungen wirtschaftsfreundlich begründen kann.

Die Europäische Kommission, die für alle Europäer verhandelt, ist zu Recht irritiert über das Ansinnen des deutschen Wirtschaftsministers. Es ergibt keinen Sinn, ein Abkommen anhand eines Zwischenstandes abschließend bewerten zu wollen. Schließlich gilt gerade für die hoch komplizierten Verhandlungen zum Freihandelsabkommen die bekannte Maxime aller Unterhändler: Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist. Wenn Pakete verhandelt werden, ist bis zuletzt jeder einzelne Punkt noch Verhandlungsmasse.

Man könnte es dabei bewenden lassen, darauf zu verweisen, dass Gabriel eben nicht nur Bundeswirtschaftsminister ist, sondern auch Vorsitzender der SPD. Einer Partei, in der viele glauben, dass Amerikaner ihre Handelspartner über den Tisch ziehen, weil sie ihnen Chlorhühnchen und undemokratische Schiedsgerichte aufzwingen und zugleich Umwelt- und Schutzstandards absenken. Womit Gabriel die praktisch unlösbar erscheinende Aufgabe zufällt, den skeptischen Genossen und zugleich seinem Amt gerecht werden zu müssen.

So einfach ist es nicht. TTIP ist eine Aufgabe, die die Bundesregierung insgesamt zu verantworten hat. Auch Merkel ist gefordert. Was aber hält die Bundeskanzlerin von der Absicht des Bundeswirtschaftsministers, sich von TTIP zu verabschieden? Das Schweigen im Bundeskanzleramt lässt verschiedene Rückschlüsse zu. Merkel mag froh sein, dass ihr in der eigenen Partei solche Auseinandersetzungen erspart bleiben. Sie mag sich ärgern, dass Gabriel nicht abwarten will, bis die Verhandlungen beendet sein werden. Womöglich kommt es ihr aber auch gelegen, wenn Gabriel als der Schuldige ausgemacht würde, sollte das Abkommen nicht zustande kommen.

Die Regierung hat nichts unternommen, um TTIP bei den Bürgern positiv zu besetzen

Denn dafür, dass Merkel das Abkommen als unerlässlich für Wachstum und den selbstbestimmten Zugang der Europäer zu anderen Märkten bezeichnet hat, hält sie sich mit praktischer Unterstützung sehr zurück. Sie hat nichts unternommen, um das Abkommen bei den Bürgern positiv zu besetzen. Jedem Verbraucher fallen sofort negative Assoziationen ein wie genveränderter Mais oder besagte Chlorhühnchen - aber kein einziges positives Beispiel wie etwa Roaminggebühren oder Kfz-Abgaswerte. Wo ist die Kampagne der Bundesregierung geblieben, wenn es doch um die Zukunft der deutschen Exportnation und den deutschen Wohlstand geht?

Statt sich in unsinnigen Forderungen zu verstricken oder weiter zu schweigen, sollten Gabriel und Merkel dieses Versäumnis nachholen. Ansonsten dürfte Berlin bald von einem anderen Deal ins handelspolitische Abseits gedrängt werden: einem Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und den USA.

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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