Folgen der Bayer-Monsanto-Fusion:Abhängig, voller Hoffnung

Lesezeit: 7 min

Mehr Erträge in Afrika, Suizide in Indien, Proteste in Südafrika - und große Skepsis in Deutschland. Wie Monsanto Ernährung und Landwirtschaft beeinflusst.

Von T. Zick, A. Perras, B. Herrmann C. Giesen und M. Balser

Wassereffizienter Mais

Afrika hat viele Probleme, und eines davon ist dieses Jahr besonders schmerzlich zutage getreten: die Abhängigkeit vom Mais. Das Getreide, das portugiesische Seefahrer im 16. Jahrhundert auf den Kontinent brachten, ist heute in vielen afrikanischen Ländern das Grundnahrungsmittel Nummer eins. Was den Deutschen ihre Kartoffeln und den Italienern die Pasta, ist den Kenianern ihr Ugali, den Simbabwern ihr Sadza, den Südafrikanern ihr Pap. Drei verschiedene Bezeichnungen für Maisbrei, der je nach Anlass (und finanzieller Lage) mit Soßen, Fleisch, Gemüse oder pur gegessen wird.

Dass sich der Mais so flächendeckend in Afrika ausdehnen konnte, hat im Wesentlichen praktische Gründe: Er wächst vergleichsweise schnell, der Anbau erfordert wenig bäuerliches Geschick, und die Körner lassen sich gut lagern. Einen Nachteil hat das Wundergetreide freilich auch: Zum Gedeihen braucht es Wasser, und zwar regelmäßig. Dieses Jahr leiden aber weite Teile des südlichen und östlichen Afrika unter den Auswirkungen eines ungewöhnlichen starken El-Niño-Wetterphänomens: Vielerorts sind die Maispflanzen mangels Niederschlag verdorrt, anderswo hat extremer Regen die Felder überschwemmt.

Höchstwahrscheinlich wird der Klimawandel in Zukunft die Regenzeiten in Afrika noch öfter und stärker aus dem Takt bringen - ein Schreckensszenario für die Mais-Monokulturen vieler Länder. Die Lösung aus Sicht von Monsanto: "Wassereffizienter Mais für Afrika" (WEMA). Der Konzern entwickelt, unter anderem zusammen mit der Gates-Stiftung, eine Reihe von gentechnisch veränderten Sorten, die gleichermaßen Dürre, Insekten und Krankheiten trotzen sollen. Feldversuche mit Bauern in fünf Ländern haben laut Monsanto bis zu dreifach höhere Ernteerträge gegenüber klassischen Sorten erbracht. Eines der Versuchsländer ist Südafrika, wo die Regierung der Biotechnologie besonders offen gegenübersteht: Schon jetzt ist mehr als 80 Prozent des im Land angebauten Mais gentechnisch verändert. Kritiker warnen nicht nur vor ungeklärten Gesundheits- und Umweltrisiken, sondern auch vor der Zementierung einer grundsätzlichen Fehlentwicklung: Die einseitige Mais-Kost verursacht bei vielen Menschen, insbesondere Kindern, Mangelerscheinungen. Was Afrika den Kritikern zufolge braucht, sind deshalb nicht noch modernere Monokulturen, sondern größere Vielfalt in Landwirtschaft und Ernährung, etwa mit mehr Hirse und Süßkartoffeln - Feldfrüchten also, die zudem von Natur aus besser gegen Dürre gewappnet sind als Mais.

Verzweifelte Baumwollbauern

Aktivisten in Indien zeichnen ein Bild des Schreckens, wenn es um die Baumwoll-saat von Monsanto geht. Demnach hat der US-Konzern den indischen Markt mit seiner genmanipulierten Sorte monopolisiert und die dortigen Farmer in Massen in gefährliche Abhängigkeit gebracht. In mehreren indischen Bundesstaaten nehmen sich Jahr für Jahr Tausende Bauern das Leben, weil sie keinen Ausweg mehr aus ihrer tiefen Verschuldung sehen. Am höchsten sind die Zahlen der Suizide in Maharashtra und oftmals trifft es diejenigen, die Baumwolle anbauen. Alles die Schuld des Großkonzerns? Diese Vorwürfe werden häufig erhoben. Doch einiges spricht dafür, dass die Krise der Landwirtschaft in Indien sehr viele Väter hat. Zwar gibt es an der wachsenden Abhängigkeit der Bauwollbauern von Monsanto kaum einen Zweifel, mehr als 80 Prozent nutzen deren Sorte und müssen dieses Saatgut Jahr für Jahr neu einkaufen. Andererseits sind die hohe Verschuldung der Bauern und Wucherzinsen indischer Geldverleiher ein chronisches Problem, das es schon länger gibt als die genmanipulierte Baumwolle aus dem Labor. Dieser Befund schwächt die griffige und weitverbreitete These, dass die Selbstmorde vor allem auf "die Saat des Bösen" zurückzuführen seien.

Mit dem Namen Monsanto verbunden (v. l. n. r.): Baumwollproduktion in Indien, Sojafelder in Brasilien und Mais in Soweto, Südafrika. Nur in China ist der Konzern kaum verbreitet: Die Bauern sind oft zu arm, um sich teure Pflanzen zu leisten. (Foto: Prashanth Vishwanathan/Bloomberg; Paulo Whitaker/Reuters; Siphiwe Sibeko/Reuters; ChinaFotoPress/Getty)

Eine Studie des International Food Policy Research Institute (IFPRI) ergab, dass die genmanipulierte Baumwolle nach allen verfügbaren Daten keinen Anstieg der Suizide in Indien verursacht habe. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die so genannte BT-Baumwolle "weder eine notwendige noch ausreichende Voraussetzung" für Selbstmorde von verzweifelten Bauern seien. Andere Faktoren würden demnach eine wichtigere Rolle spielen. Vor allem die Dürre, schlechte Bewässerung und mangelnde Hilfen des Staates machten es Bauern schwer, dem Elend zu entkommen. Dabei sei letztlich zweitrangig, ob sie konventionelles oder genmanipuliertes Saatgut einsetzten.

Gesamtwirtschaftlich habe die Produktivität des Baumwollsektors durch den Einsatz des veränderten Saatguts deutlich zugelegt, wie Forscher von IFPRI zeigen. So wurde Indien zum zweitgrößten Baumwollexporteur der Welt. Doch Kritiker sind weiterhin davon überzeugt, dass die Sorten des Großkonzerns indischen Bauern mehr schaden als nützen. Der Streit wird von Debatten über die schwer zu kalkulierenden langfristigen Risiken der Monokulturen überlagert. Ökologen warnen, dass Böden durch industriell betriebene Landwirtschaft dauerhaft Schaden nehmen und lange brauchen, um sich wieder zu erholen.

Weil genetisch verändertes Saatgut immer weiter entwickelt werden muss, um auftretenden Resistenzen von Schädlingen zu begegnen, kann ein Großkonzern damit langfristig sehr gute Geschäfte machen, während die Farmer alle Risiken tragen, wenn ihre Ernten ausfallen oder doch von Insekten aufgefressen werden.

So viel Gift wie nirgendwo

Über der Eingangstür zur berühmtesten Küche Südamerikas steht in großen Buchstaben: "Somos Libres", wir sind frei. Hier, im Zentrum von Perus Hauptstadt Lima kocht, erfindet und experimentiert der preisgekrönte Gastronom Gastón Acurio. In seinem Heimatland ist er populärer als die besten Fußballspieler. Sein guter Ruf gründet sich darauf, dass er seine Gerichte aus fast schon vergessen Pflanzen, Körnern und Früchten kreiert. Er vermischt die ganze Artenvielfalt der Anden und des Amazonasbeckens. Berühmt ist Acurio aber auch, weil er sich damit nicht nur an jene elitäre Kundschaft richtet, die sich einen Besuch in seinen Sterne-Restaurants leisten kann. Er sagt: "Die sind nur da, damit mir jemand zuhört."

Acurio bezeichnet sich als ein Politiker, der in der Küche steht. Seine Aufgabe sieht er darin, Konsumgewohnheiten und damit auch Regierungsprogramme zu beeinflussen, regionale Produzenten zu fördern und damit Monokulturen, die Ausbeutung der Natur sowie damit die immer noch weitverbreitete Unterernährung zu bekämpfen. Die Freiheit, die sein Türschild meint, ist die Ernährungsfreiheit.

Wer sich wie Acurio in Südamerika für gutes und gesundes Essen einsetzt, der sieht diese Freiheit nun mehr denn je bedroht, angesichts der Übernahme des US-Saatgutherstellers Monsanto durch den deutschen Chemiekonzern Bayer. Vor allem die auf Gentechnik basierende Sojaproduktion Südamerikas dürfte eines der profitabelsten Geschäftsfelder des neu entstehenden Konzernriesen werden. Der Marktführer Monsanto hat sich seinen schlechten Ruf dort in den vergangenen Jahren redlich erarbeitet. Und dabei geht es nicht nur um die berühmten Knebelverträge, die kleine Bauern von dem großen Monopolisten abhängig machen. Die genmanipulierten Sojapflanzen von Monsanto sind gegen den Unkrautkiller Glyphosat resistent, den derselbe Konzern unter dem Namen "Roundup" vertreibt. Ein Geschäftsmodell, das sich selbst erhält. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält Roundup für krebserregend. Das Gift wird dennoch großflächig eingesetzt. Brasilien und Argentinien gehören zu den größten Sojaproduzenten der Welt, gleichzeitig sind es die Länder mit dem höchsten Pestizid-Einsatz pro Kopf. Paraguay und Uruguay liegen nicht weit dahinter. In Peru ist der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen bislang verboten, womöglich auch dank der Lobbyarbeit von Leuten wie Acurio. Das Herbizid Roundup wird trotzdem im großen Stil versprüht. Man lehnt sich nicht weit aus dem Fenster, wenn man Südamerika einen vergifteten Kontinent nennt.

Angela Merkel (4. v. l.) würdigt mit Kollegen, Ernte-Königinnen und Äpfeln die deutsche Landwirtschaft. (Foto: Adam Berry/Getty Images)

Monsanto und die größtenteils Monsanto-freundlichen Regierungen der Region argumentieren mit der Ernährungssicherheit. Resistentes Saatgut und ertragreichere Felder kämen letztlich der gesamten Bevölkerung zugute. Gastón Acurio hält das für einen Mythos. Das Gegenteil sei der Fall. Er sagt: "Sie wollen uns erzählen, dass die industrielle Homogenität unsere Chance ist, in Wahrheit ist es die Vielfalt."

Glyphosat ohne die Amerikaner

Das Vertrauen der Chinesen in ihre Lebensmittel ist gering. Nobelrestaurants in Peking und Shanghai werben damit, dass ihre Steaks, das Gemüse, je selbst die Milch für den Cappuccino aus Europa oder Australien importiert sind. Vor allem der Milchpulverskandal 2008, bei dem mehr als 300 000 Kleinkinder wegen Nierenbeschwerden behandelt werden mussten, weil ein Hersteller die Babynahrung mit Melamin gestreckt hatte, haben das Vertrauen sinken lassen. Dementsprechend reserviert ist die chinesische Bevölkerung, was genetisch verändertes Saatgut angeht. Doch dass Monsanto in China fast keine Rolle spielt, hat kaum etwas mit der Skepsis der Chinesen zu tun. Chinas Führung will Monsanto vor allem fernhalten, um die eigene Gentechnik-Branche zu fördern. So ist etwa mit dem Beiing Genomic Institute eine der größten Forschungseinrichtung der Welt in der Volksrepublik beheimatet. Außerdem ist das Land, seit der Patentschutz gefallen ist, zum größten Produzenten des Pflanzenschutzmittels Glyphosat aufgestiegen - und zwar ohne jede Beteiligung von Monsanto. Im November 2014 hielt Chinas Parteichef Xi Jinping eine Rede, in der er forderte, dass die Volksrepublik in der Forschung voranschreiten solle, aber vorsichtig in der Anwendung sein müsse. Die Furcht war damals groß, irgendwann einmal in Abhängigkeit von Monsanto zu geraten. Ein Problem, das allerdings schon bald der Vergangenheit angehören könnte. Denn: Für 43 Milliarden Dollar hat Chinas größtes staatliches Chemieunternehmen, Chem-China, vor einigen Monaten den Schweizer Agrarkonzern Syngenta gekauft. Wenn alle Kartellhürden genommen sind, wird auch das Staatsunternehmen zu einem der wichtigsten Spieler im Markt aufsteigen.

Feldüberwachung per Drohne

Eingebrochene Milchpreise, rapide gesunkene Einnahmen bei Fleisch - Deutschlands Landwirte stecken in einer tiefen Krise. Anfang der Neunzigerjahre arbeiteten noch mehr als eine Millionen Menschen in einem landwirtschaftlichen Betrieb, heute sind es nur noch 650 000. Die Zahl der Höfe ist im gleichen Zeitraum von einer halben Million auf 280 000 gesunken. So schnell wie nie mussten in den vergangenen Monaten Betriebe schließen. Beinahe im Quartalstakt reagiert die Politik in Berlin und Brüssel mit Hilfspaketen.

Konzernnamen wie Monsanto und Bayer haben bei den Bauern zwar nicht den gleichen Klang wie bei Umweltschützern. Sie liefern der Landwirtschaft mit Pflanzenschutzmitteln wie Glyphosat jenen Treibstoff für die Produktion, den konventionelle Betriebe so dringend brauchen. Doch in der Krise verfolgen auch hiesige Landwirte den Zusammenschluss ihrer Lieferanten zunehmend misstrauisch. Selbst der Deutsche Bauernverband, eigentlich eher ein Freund großer Strukturen, schlug Alarm. DBV-Präsident Joachim Rukwied erklärte, er könne für die Landwirte nur hoffen, dass es weiterhin einen gesunden Wettbewerb zwischen den Anbietern gebe. "Diese Konzentrationsentwicklung betrachten Bauern mit Sorge." Auch im Ministerium von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) vermutet man, dass die Übernahme den Sektor in Deutschland weiter verändern könnte. Die ohnehin große Abhängigkeit der Bauern von wenigen Anbietern könnte noch wachsen. Nach der Fusion von Bayer und Monsanto sowie von Dow und Dupont werden vier Anbieter rund 75 Prozent des Marktes für Pflanzenschutzmittel auf sich vereinen. Bei Saatgut entfallen auf drei Anbieter zwei Drittel des Marktes. Die Entwicklung gefalle Schmidt nicht, heißt es in seinem Umfeld. Bei seinem erklärten Zukunftsfeld, gentechnisch veränderten Pflanzen, werden Bayer und Monsanto in Deutschland in den nächsten Jahren kaum Erfolg haben. Die Skepsis der Deutschen ist groß. Die Regierung arbeitet an der Möglichkeit, den Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen per Gesetz zu verbieten. Vorantreiben könnten die Konzerne in den nächsten Jahren aber die Digitalisierung. Diese Sparte Monsantos gilt als Zukunftslabor. Plattformen errechnen über Regenwahrscheinlichkeiten mit Bodensensoren ideale Erntetermine. Drohnen und Satelliten überwachen die Felder. Datenschützern schwant, dass da ganz neue Probleme auf sie zukommen. Denn wer solche Plattformen anbietet und betreibt, könnte künftig über sensible Daten seiner Kunden verfügen.

© SZ vom 12.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: