Flüchtlingspolitik:Europa muss die rassistische Brille absetzen

Flüchtlingspolitik: Überlebende des jüngsten Flüchtlingsdramas sitzen in einem Bus in Malta.

Überlebende des jüngsten Flüchtlingsdramas sitzen in einem Bus in Malta.

(Foto: AFP)

Die Ursachen für die Flucht in den Herkunftsländern beseitigen - das ist die theoretische Idee der EU-Politik gegenüber Afrika. Doch trotz immer neuer Katastrophen im Mittelmeer passiert nur wenig. Das liegt auch daran, dass Europa die Afrikaner noch immer zu Rohstofflieferanten degradiert und ihre Staaten als fortschrittsunfähige Nehmerländer diskriminiert.

Ein Kommentar von Sebastian Schoepp

Grenzen auf oder Grenzen zu? Auf diesen erbittert umkämpften Gegensatz reduziert sich derzeit die europäische Debatte über den Umgang mit der Einwanderung. Beides ist falsch.

Grenzen zuzumachen, schafft Dramen wie die beiden gekenterten Flüchtlingsboote vor Lampedusa; Grenzen schrankenlos zu öffnen, findet in der Mehrheit der Bevölkerung keine Akzeptanz, darüber kann man sich nicht so leicht hinwegsetzen.

Nur am Rande hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich beim Treffen mit EU-Kollegen den wahren Kern des Problems berührt: Man müsse mehr tun, um Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu beseitigen. Damit hat er recht. Nur leider hat er versäumt auszuführen, was er damit meint, und das möglicherweise mit Absicht. Denn es ist die EU selbst, die die Schlüssel in der Hand hält, um Migrationsgründe zu reduzieren. Sie müsste nur wollen, wofür es trotz Flüchtlingsdramen keine Anzeichen gibt.

Ausbeutung und Arroganz halten Afrika am Boden

Es geht damit los, dass man aufhören könnte, die Küsten Westafrikas leer zu fischen, den Menschen mithin die Lebensgrundlage zu entziehen und ihre Regierungen dafür mit Almosen abzuspeisen. Man könnte auch das Dogma vom Freihandel nicht nur zum eigenen - kurzfristigen - Vorteil interpretieren und stattdessen Handelsschranken abbauen, denn die machen es armen Ländern fast unmöglich, gewinnorientiert zu produzieren.

Man könnte versuchen, die Afrikaner nicht mehr zu Rohstofflieferanten zu degradieren. Viele Länder leben vom Extraktivismus, was heißt: davon, was sie aus dem Boden kratzen und von den Bäumen holen. Extraktivismus jedoch nährt korrupte Eliten und behindert technischen Fortschritt. Das gilt nicht nur in Afrika.

Wenn jemand aus einem armen Land Vorschläge macht, wie man das ändern kann, wird er von der EU und anderen mit Misstrauen bestraft und als Erpresser gebrandmarkt, so wie der ecuadorianische Präsident Rafael Correa, der erfolglos anbot, Öl unter einem Urwald nicht auszubeuten, wenn ihm die Weltgemeinschaft dafür beim Aufbau einer Produktiv- und Wissensgesellschaft hilft. Nun hat Lateinamerika es immerhin geschafft, beim Rohstoffexport mehr und mehr die Preise zu diktieren, und daraus Selbstbewusstsein gezogen. Die Einnahmen werden in vielen Ländern in Armutsbekämpfung investiert.

Der größte Teil Afrikas ist von solcher Emanzipation weit entfernt. Ausbeutung, Arroganz oder die Verteidigung postkolonialer Territorialsysteme durch europäische Mächte mit Waffengewalt halten Afrika am Boden. Mehr und mehr Länder reagieren darauf mit Abschottungsreflexen gegen westliche Einflüsse.

Verpasste Chancen der Europäer

Europa droht Afrika zu verlieren - und verpasst damit eine Chance. Viele afrikanische Länder haben enorme Wachstumsraten. Ruanda, Kongo, ja selbst Somalia sind weit mehr in Technologie und globale Wirtschaftszusammenhänge integriert, als das hierzulande wahrgenommen wird. Das Geschäft machen jedoch zunehmend andere, Brasilianer und Chinesen, Schwellenländer also, die einen Vorteil haben: sie sind offenbar wendiger im Umgang mit lokalen Gegebenheiten, sie verhalten sich zwar egoistisch, aber wirtschaftlich pragmatisch und politisch weniger besserwisserisch als die Europäer.

Viele Afrikaner würden trotzdem lieber mit Europa zusammenarbeiten. Sie gieren nach dem Know-how, das ihre zwar dynamische, aber chaotische Entwicklung in stabile Bahnen lenken könnte.

Würde man diese entstehende Mittelschicht gezielt unterstützen, etwa durch Migrations- und Weiterbildungsprogramme, könnte man eine Menge tun, um Armut zu bekämpfen. Durch Quoten und Kriterien könnte man sich die Leute bis zu einem gewissen Grad aussuchen und im Vorfeld mit Kenntnissen und Papieren für temporäre Aufenthalte ausstatten. Migranten sind Pioniere, und die wenigsten wollen für immer bleiben. Ein ausgewandertes Familienmitglied kann mit Rücküberweisungen und Wissenstransfer in sein Herkunftsland nachhaltige wirtschaftliche Kreisläufe in Gang setzen. Es entstehen Netzwerke, die sich im besten Fall zu neuen Handelswegen ausweiten. Vertraglich geregelte Einwanderung, wie sie etwa Spanien zu Boomzeiten mit Ecuador betrieb, kann mehr zum Aufschwung beitragen als die Millionen, die in Schlechtes-Gewissen-Projekte der Entwicklungshilfe gesteckt werden. So könnte Migration Migration auf lange Sicht überflüssig machen.

Der Vorteil für Europa? Schaffen mehr Arme den Aufstieg in die Mittelschicht, werden sie als Konsumenten interessant. Um das einzuleiten, müsste man jedoch die rassistische Brille abnehmen, durch die Afrikaner noch immer wie zu Fortschritt unfähige Nehmer aussehen, zu denen man sie ja stets auch machen wollte.

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