Firmen in Angst:Freund hört mit - und der Feind auch

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Industriespionage und andere Delikte kosten die Wirtschaft viel Geld, doch manche Unternehmen übertreiben es bei den Gegenmaßnahmen.

Hans Leyendecker, Klaus Ott und Harald Schwarz

Der Chef der Münchner Dibag Industriebau, Alfons Doblinger, gilt als äußerst verschwiegen. Der Immobilienunternehmer scheut die Öffentlichkeit. Obwohl er mit 2000 Mitarbeitern und einer halben Milliarde Euro Jahresumsatz zu den führenden Immobilienunternehmern in Deutschland zählt.

Umso mehr staunte man im Unternehmen, dass im Sommer 2007 plötzlich Interna von Dibag nach draußen drangen. Inhalte vertraulicher Sitzungen kursierten, selbst Gespräche, die Doblinger geführt hatte, wurden publik. Eine Münchner Sicherheitsfirma wurde eingeschaltet. Sie suchte nach einem Maulwurf oder einer Wanze.

Schaden von bis zu 20 Milliarden Euro

Eines Tages, so ein Dibag-Sprecher, hätten Spezialisten mit Hilfe von Messgeräten in einem der wichtigsten Konferenzräume ein Abhörgerät aufgespürt, das in einem Schacht für Stromkabel versteckt gewesen sei. Die Sicherheitsfirma, bei der ehemalige Beamte des Landes- und Bundeskriminalamts tätig sind, kam aber bei der Suche nach den Lauschern nicht weiter. Später schaltete die Dibag die Polizei ein, die Staatsanwaltschaft ermittelte - ohne Ergebnis.

Der offenkundige Lauschangriff auf Doblinger ist mehr als nur ein Sicherheitsproblem. Solange der Täter nicht gefunden worden ist, grassiert im Unternehmen Misstrauen.

Viele potentielle Gegner kommen in Frage. Spioniert ein Konkurrent, oder ein Mitarbeiter oder sogar eine ausländische Macht mit ihrem Nachrichtendienst? Von Interesse ist alles, was dem Wettbewerber schaden könnte, dessen Produktionsweise, Kostenstruktur und Preiskalkulation ebenso wie dessen Forschungsergebnisse und wichtige Mitarbeiter, die mit höheren Gagen weggelockt werden können.

Experten wie Roger Lewentz, Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Innenministerium, schätzen den Schaden allein durch Spionage für die deutsche Wirtschaft im Jahr auf 15 bis 20 Milliarden Euro. Doch es geht nicht nur um Spionage, es geht auch um gezielte Sabotageakte, Untreue, Erpressungsversuche und Rufmordkampagnen. Das Bedrohungspotential ist groß. Letztlich könnte sogar die Existenz von Unternehmens gefährdet sein, falls Umsätze, Marktanteile und Gewinne schrumpften.

Zu Recht sorgen sich immer mehr Unternehmen um ihre Sicherheit, auch wenn viele offenbar fahrlässig handeln und den eigenen Schutz vernachlässigen. Seit aber bekannt wurde, dass es möglicherweise sogar einen Lauschangriff mit einem Babyphone auf Porsche-Chef Wendelin Wiedeking gab, als dieser in einem Wolfsburger Hotel abstieg, muss fast alles für möglich gehalten werden. Porsche erstattete Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig.

Bei dieser Gelegenheit erfuhr man, dass Wiedekings Sicherheitsleute immer alle Räume systematisch nach Wanzen durchsuchen, wenn der Chef kommt. Feind hört mit. Freund hört mit. Kollege hört mit. Egal.

Die Sicherheitsbranche boomt. Experten, mit deren Hilfe sich Unternehmen vor Lauschangriffen oder anderen kriminellen Akten schützen wollen, haben Konjunktur.

Private Ermittler verdienen mehr als bei Polizei oder Staatsanwaltschaft. In den Sicherheitsabteilungen von Konzernen wie Daimler, Siemens oder auch Telekom arbeiten mittlerweile viele ehemalige Spitzenbeamte des Bundeskriminalamtes, des Verfassungsschutzes oder der Polizei.

Darunter sind Profis wie der frühere Hamburger Kriminaloberrat Dieter Langendörfer, dessen Sonderkommission Mitte der neunziger Jahre die Entführer des Hamburger Millionärs Jan Philipp Reemtsma enttarnte.

Langendörfer, der einst im Polizeidienst für sein Temperament bekannt war, weil er seinen Chef, den damaligen Hamburger Polizeipräsidenten, öffentlich einen "Frühstücksdirektor" genannt hatte, wurde 1996 Sicherheitschef bei VW. Um ihn ranken sich viele Legenden.

Angst vor Verrätern

Seine Gegner behaupten, er habe im Auftrag des heutigen VW-Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch ein Spitzelsystem entwickelt. Seine Bewunderer bestreiten das heftig und erklären, Langendörfer habe beispielhaft Sicherheitsprobleme gelöst.

Er selbst sagt gern, er habe immer nur reagiert, sei von sich aus auch nie aktiv geworden. Seit ein paar Jahren ist er pensioniert und kümmert sich aber um die Sicherheit von Piëch, wenn der nach Deutschland reist.

Schon früher fürchteten Unternehmen Angriffe der RAF auf ihre Spitzenkräfte und bauten deshalb vor allem den Personenschutz aus. Heute grassiert die Angst vor Spionen, Computer-Hackern oder Verrätern in den eigenen Reihen. Die Angst vor Verlust geht um: Datensätze aus Firmenrechnern, Konstruktionspläne und sogar Laptops werden von Profis gestohlen.

Unvergessen die Geschichte des früheren VW-Einkaufschefs José Ignacio Lopez, der 1993 als Chefeinkäufer von General Motors nach Wolfsburg wechselte und im Gepäck vertrauliche Unterlagen seines alten Arbeitgebers hatte. Am Ende demissionierte Lopez mit seinen sogenannten Kriegern, die er mitgebracht hatte. Wolfsburg zahlte 100 Millionen Dollar an den Detroiter Konzern und schloss mit ihm einen Liefervertrag über eine Milliarde Dollar ab.

Es häufen sich die Fälle, in denen Firmenchefs die Belegschaft observieren lassen, aus Angst, Mitarbeiter könnten in die Kasse greifen oder zu lange Pausen machen. Das schafft Unfrieden in den Betrieben, vor allem in der Handelsbranche, wo sich solche Vorgänge gehäuft haben. Derzeit muss sich Edeka den Vorwurf gefallen lassen, Beschäftigte ausspioniert zu haben.

Und dann ist da noch der Spitzelskandal bei der Telekom, bei dem gegen ein knappes halbes Dutzend Gesetze verstoßen worden sein soll. Solche Vorfälle wirken fatal nach innen. Denn bei aller Kontrollwut gelten nach wie vor ein gutes Betriebsklima und motivierte Mitarbeiter als die besten Mittel zum Schutz einer Firma. "Das ist das A und O eines sicheren Unternehmens", sagt Sicherheitsberater Klaus-Dieter Matschke.

Der Verfolgungswahn in manchen Konzernen könne das Betriebsklima vergiften und Mitarbeiter demotivieren, oder im schlimmsten Fall sogar Rachegelüste hervorrufen. Dann breche im Betrieb vielleicht plötzlich ein Feuer aus oder eine wichtige Maschine falle regelmäßig aus.

Spionage unter Konkurrenten ist nicht alltäglich, aber beileibe auch kein Einzelfall. Siemens-Angestellte berichteten bei Vernehmungen, mit den Millionen aus den schwarzen Kassen habe man auch Informationen kaufen wollen, um zu erfahren, wie die Konkurrenz agiere. Von Interesse war: Welche Konkurrenten wollten welche Produkte zu welchen Preisen anbieten, und wer verhandelte mit wem. Bei Siemens sollten solche heiklen Details streng geheim bleiben. In der Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz in München gibt es Büros mit Rauschanlagen, die das Abhören von außen verhindern sollen.

© SZ vom 11.6.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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