Finanzierung:Den Sprung wagen

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Viele große Familienunternehmen wollen finanziell unabhängig bleiben. Nun könnte der Wettbewerb sie zum Umdenken zwingen.

Von Norbert Hofmann

Familienunternehmen haben neben ihrem Bekenntnis zur Tradition meist klare Vorstellungen von der Zukunft. Zwar können auch sie nicht vorhersehen, wie sich ihr Geschäftsumfeld in einigen Jahren oder Jahrzehnten entwickeln wird. Doch unabhängig von solchen Unwägbarkeiten, auf die der Mittelstand erfahrungsgemäß mit der für ihn typischen Flexibilität reagiert, gibt es klare übergeordnete Ziele. Von der Familie geführte oder kontrollierte Firmen wollen ihre Unabhängigkeit bewahren und sich durch vorausschauende Maßnahmen gegen Krisen absichern.

Bei der Finanzierung spiegelt sich das in der Kapitaldecke wider. "Jedes vierte Familienunternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro Umsatz verfügt über eine Eigenkapitalquote von mehr als 50 Prozent", sagt Professorin Nadine Kammerlander, Leiterin des Instituts für Familienunternehmen an der WHU - Otto Beisheim School of Management. Auch der Durchschnittswert von gut 30 Prozent spricht für eine solide Kapitalausstattung dieser Firmen. Investiert wird am liebsten mit Mitteln aus den erwirtschafteten Gewinnen, und erst dann wird der Bankkredit herangezogen.

Dennoch haben große Familienunternehmen gerade jetzt gute Gründe, verstärkt über die Aufnahme von zusätzlichem Fremdkapital nachzudenken. Denn sie stehen im Wettbewerb mit großen, oft börsennotierten Kapitalgesellschaften, die angesichts voller Kassen und günstiger Kreditkonditionen kräftig investieren. "Diese Wettbewerber streben nach Wachstum, um Effizienzvorteile durch Größe zu erzielen oder ihre Internationalisierung voranzutreiben", sagt Kammerlander.

Legen Familienmitglieder mehr Wert auf Gewinnausschüttungen, wird die Expansion schwierig

Neben dem Ausbau eigener Kapazitäten forcieren sie das Wachstum auch durch Firmenkäufe. So waren deutsche Unternehmen nach Erhebungen der Kanzlei Allen & Overy allein im ersten Quartal dieses Jahres an Fusionen und Übernahmen im Wert von mehr als 35 Milliarden US-Dollar beteiligt. Das ist der höchste Wert seit 2007. Vor allem US-Investoren zeigten Interesse an deutschen Firmen. Umgekehrt haben aber auch deutsche Unternehmen aller Größenordnungen und Branchen kräftig im Ausland akquiriert. Allein elf der 30 Dax-Konzerne suchten auf diesem Weg im ersten Vierteljahr die Expansion. "Angesichts der Aktivitäten der Konkurrenz stehen Familienunternehmen vor der Frage, ob sie weiterhin vor allem ihre Unabhängigkeit absichern wollen oder in neue Dimensionen wachsen wollen", sagt Wissenschaftlerin Kammerlander.

Anders als kleinere Firmen müssen gehobene Mittelständler dabei mitunter auch besondere Hürden überwinden. Sind etwa mehrere Familienstämme am Unternehmen beteiligt, ist die Zustimmung zu größeren, mit dem vorhandenen Eigenkapital finanzierten Sprunginvestitionen nicht automatisch gesichert. Zum Beispiel weil einzelne Familienmitglieder mehr Wert auf laufende Gewinnausschüttungen legen, um ihren Lebensstandard zu sichern. Auch deshalb müssen möglicherweise Fremdkapitalquellen genutzt werden. Am Zugang mangelt es nicht.

Gerade große Familienunternehmen sind gern gesehene Kreditnehmer der Banken und sie können im aktuellen Umfeld sogar mit besonderem Entgegenkommen rechnen. So hat sich laut einer Analyse des Beratungsunternehmens Alix Partners das europäische Umfeld für Mittelstandskredite im Jahr 2016 weiter verbessert und ist so kreditnehmerfreundlich wie seit 2007 nicht mehr - mit sinkenden Zinsen und verringerten Anforderungen an Sicherheiten. "Die Banken sind aggressiv im Markt unterwegs, um mit klassischen Krediten oder der Strukturierung von Schuldscheindarlehen Geschäft zu machen", sagt Experte Jan Kantowsky von Alix Partners.

Je größer ein Familienunternehmen ist, desto mehr Instrumente könne es neben dem klassischen Bankkredit nutzen. Schuldscheindarlehen etwa bieten die Möglichkeit, auch größere Finanzierungsvolumina zu mobilisieren. Laut einer Studie der Helaba-Landesbank Hessen-Thüringen nutzen vor allem Mittelständler mit einem Umsatz zwischen 57 Millionen und 2,5 Milliarden Euro diese von großen Investoren bereitgestellten Mittel, mit denen sie sich auch ohne externe Ratings und bei geringen Dokumentationspflichten finanzieren können.

Auch Anleihen bleiben eine Alternative. Selbst in dem fast zum Erliegen gekommenen Markt für Mittelstandsanleihen können Firmen, die ihre Anleger bislang nicht enttäuscht haben, noch Investorengeld mobilisieren. Das Familienunternehmen Katjes etwa hat seine im Mai 2015 begebene 60-Millionen-Euro-Anleihe gerade um mehr als die Hälfte aufgestockt, um seine Übernahmestrategie von Süßwarenmarken in Europa fortsetzen zu können.

Nicht wenige andere große Familienunternehmen werden demnächst vielleicht schon fast zwangsläufig verstärkt über die Aufnahme von mehr Fremdkapital nachdenken. "Neben der Internationalisierung gehört die Digitalisierung des Kerngeschäfts und der betrieblichen Prozesse zu den Herausforderungen, für die größere Investitionsbudgets und entsprechende Finanzierungen notwendig sind", sagt Kantowsky.

© SZ vom 07.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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