Finanzgeschichte:Zwang und Drang

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Sparen gilt als typische Eigenheit der Deutschen - auch, weil sie sich einst besonders leicht von der Obrigkeit dazu verdonnern ließen. Aber erfunden haben das Geld­zurück­legen andere.

Von Christian Gschwendtner

Schwer zu sagen, wann das Sparen seine Unschuld verloren hat. Um eine rein private Angelegenheit handelt es sich jedenfalls längst nicht mehr. Wer sein Geld zurücklegt oder es stattdessen auf den Putz haut, der ergreift indirekt auch Partei. Entweder für das Lager der deutschen Sparer, die befürchten, dass sie für die Schulden der ganzen Welt haften müssen. Oder für die ganze Welt, die findet, dass die Deutschen ruhig wieder mehr investieren könnten. Für andere Deutungen ist da oft kein Platz mehr.

Hervorragend beobachten konnte man das vor einiger Zeit an zwei Titelseiten, die inzwischen zu kleinen Ikonen geworden sind. Es handelte sich einmal um ein Cover des britischen Wochenmagazins The Economist, im anderen Fall um eins der Berliner Boulevardzeitung BZ. Die Titelseiten könnten unterschiedlicher nicht sein, trotzdem haben sie eins gemeinsam: Sie zeigen, wie die Fronten in diesem Glaubenskrieg verlaufen. Inmitten der Eurokrise hob die BZ nämlich einen muskelstrotzenden, weil sehr sparsamen Bundesadler auf die Titelseite, dazu die Überschrift: "Darum stehen wir gut da." Der Economist wiederum präsentierte einen arg zerflederten Bundesadler, der in Wahrheit nur ein Schwächling sei und schrieb: "Das deutsche Problem - warum der Haushaltsüberschuss die Weltwirtschaft zerstört."

Das ist noch immer die Ausgangslage, und doch ein grobe Irreführung. Denn eine deutsche Ur-Tugend war das Sparen nie. Dafür muss man nur zurückschauen in der Geschichte, zu den Anfängen des institutionalisierten Sparens.

Verstecktes Geld im Strumpf fehlte den Staaten nach Kriegen für notwendige Investitionen

Es waren nämlich Franziskanermönche, die im 15. Jahrhundert in vielen italienischen Städten zum ersten Mal Pfandleihkassen gründeten: die sogenannten "Berge der Barmherzigkeit", italienisch Monti di Pietà. Damit sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, um ärmere Bevölkerungsschichten in Notzeiten mit Krediten zu versorgen. Gleichzeitig richteten sich die Pfandleihkassen ausdrücklich gegen jüdische Geldverleiher. Ihnen wollte man das Geschäftsmodell kaputt machen. Mit den Pfandleihkassen einher ging damals in vielen Städten auch eine Vertreibung der jüdischen Bevölkerung. Dass sie aber überhaupt aufkamen, war keineswegs ein historischer Betriebsunfall. Menschen fingen plötzlich in ganz Europa an, Geld beiseite zu schaffen. Und zwar aus dem immer gleichen Motiv: Sie wollten sich gegen den Krisenfall versichern - gegen Missernten, Krieg und Wirtschaftskrisen. In einer Zeit freilich, in der der Krisenfall eher der Normalfall wurde.

Bis zur Erfindung der ersten Sparkassen dauerte es trotzdem noch eine ganze Weile. Klar, es gab in Knappschaften organisierte Bergleute. Sie fingen bereits in der frühen Neuzeit an, Rücklagen zu bilden. Allerdings immer als Gemeinschaft und so gut wie nie als Einzelpersonen. Die überwiegende Mehrheit musste damals noch mit einer anderen Strategie vorliebnehmen: dem klassischen Horten. Das heißt, Geld in einen Strumpf stecken und hoffen, dass er nicht verloren geht. Selbstredend, dass darauf keine Zinsen ausgezahlt wurden. Eine dafür nötige Bank musste ja erst noch gegründet werden.

Auch ohne Zinsen erfreute sich dieses Horten einer immer größeren Beliebtheit. Die logische Folge: Geld, das die chronisch klammen Staaten in Europa gerne als Kredit aufgenommen hätten, verschwand zunehmend unter dem Kopfkissen oder im Sparstrumpf. Straßen, Brücken und öffentliche Gebäude konnten deshalb nicht gebaut werden, was aber vor allem nach den Napoleonischen Kriegen bitter notwendig gewesen wäre. Ein Umstand, der durchaus einen wichtige Rolle bei der Gründung der ersten Sparkassen in Europa spielte, obwohl die ersten Geldhäuser natürlich auf die Initiative privater Philanthropen zurückgingen.

1778 war die Zeit offiziell reif dafür: In Hamburg entstand die weltweit erste Sparkasse. Sie wählte den Bienenkorb zu ihrem Symbol. Das Motiv findet man noch immer auf vielen Spardosen, Sparbüchern und Werbemitteln. Es ist ein Beleg dafür, dass es eben nicht nur um die reine Armenfürsorge ging. Die Bürger sollten stattdessen lernen, wie sie für sich selbst vorsorgen können. Vor allem sollten sie aber zu Sparsamkeit und Fleiß erzogen werden. Das lernt man in der aktuellen Ausstellung des Deutschen Historischen Museums über die Geschichte des Sparens, die noch bis zum 24. August in Berlin zu sehen ist.

Die erste Sparkasse mag in Deutschland erfunden worden sein. Die Idee aber verbreitete sich schnell in ganz Europa - und sogar bis nach Russland. So gut wie jedes Herrscherhaus wünschte sich brave Untertanen, die Geld auf die hohe Kante legten. Karl Marx geißelte das Sparen nicht ohne Grund in seinem Hauptwerk "Das Kapital" als die Grundtugend des Kapitalismus. Für ihn war es immer auch eine Garantie der bestehenden Verhältnisse. Findige Unternehmer wie Alfred Krupp sahen die Sache ganz ähnlich. Sie erkannten früh, dass Menschen mit Guthaben auf der Bank weniger empfänglich für Revolutionsideen sind. Dieselbe Einsicht ließe sich genauso auf andere Länder übertragen. Man darf sich also fragen, warum das Sparen heute als rein deutsche Tugend wahrgenommen wird.

Die Nationalsozialisten erhoben das Sparen zum obersten Erziehungsziel

Die Antwort ist einfach: Die Deutschen haben es irgendwann sehr viel ernster genommen als alle anderen europäischen Länder in Europa. Und das hat viel mit dem Nationalsozialismus zu tun. Die Nazis waren es, die das Sparen zum obersten Erziehungsziel erhoben. Ab 1936 bauten sie das Schulsparkassenwesen massiv auf. Eine Entwicklung, die bis heute nachwirkt. "Der Nationalsozialismus hat entscheidend zur Popularisierung des Sparens beigetragen", heißt es in der neuen Berliner Ausstellung.

Anders als im restlichen Europa wurde das Sparen hierzulande nie wirklich unpopulär. Überraschend ist, dass selbst der Zweite Weltkrieg keinen nachteiligen Effekt darauf hatte. Unmittelbar nach der Währungsreform begannen die Deutschen wieder fleißig damit, Geld zurückzulegen - als hätte es nie den Krieg gegeben. Auch wenn jetzt der Konsum in den Vordergrund rückte, das Aufkommen der Konsumkredite hat am Spardrang genauso wenig geändert wie die niedrigen Zinsen seit der Finanzkrise.

Sparen ist in Deutschland schon lange krisenunabhängig geworden, darin sind sich die Experten einig. Man erkennt das auch an Symbolen wie der schwäbischen Hausfrau oder dem Sparschwein. Sie gehören fest zur deutschen Identität. Ihren Ursprung haben sie allerdings in Europa.

© SZ vom 20.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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