Finanzfrauen:"Selbst Gandhi hätte meine Fonds gekauft"

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Ihr eigenes Geld hat Chitra Ramkrishna früher nie an der Börse angelegt. Heute führt sie in Indien einen der größten Handelsplätze der Welt.

Von Pia Ratzesberger

Sie hatte nichts zu verlieren, denn es glaubte ohnehin niemand an ihren Erfolg. In einem kleinen, angemieteten Büro in Mumbai beginnen Chitra Ramkrishna und ihr Team in den Neunzigerjahren mit dem Aufbau einer völlig neuen Börse - die ihre Konkurrenz auf der anderen Uferseite der Stadt schon bald in ihren Schatten stellen sollte. Während die Aktienhändler auf dem Parkett der Bombay Stock Exchange (BSE) sich im Südosten Mumbais noch gegen die Neuerungen sträuben, die Computer und Software nun einmal mit sich bringen, will man im Südwesten alles anders machen: Auf Wunsch der indischen Regierung arbeitet die frühere Wirtschaftsprüferin Chitra Ramkrishna mit ihren Kollegen an der neuen National Stock Exchange (NSE); zum ersten Mal in der Geschichte des Landes sollen die Preise der Wertpapiere elektronisch berechnet werden. Der Finanzmarkt soll für die Anleger so transparenter werden - und nebenbei soll der Glanz der Modernität auch über die Grenzen Indiens hinaus strahlen.

Chitra Ramkrishna war Mitglied des Expertenteams, das die neue Börse NSE in Mumbai aufgebaut hat - heute ist sie die Chefin. (Foto: Dhiraj Singh/Bloomberg)

Heute, mehr als 20 Jahre später muss man sagen: Der Plan ging auf. Die NSE ist zu einem der größten Handelsplätze auf dem Globus aufgestiegen. Vor 1995 waren gerade einmal etwa 130 Firmen registriert, der durchschnittliche Aktienumsatz lag bei 170 Millionen Rupien am Tag. Heute werden mehr als 1600 Unternehmen gehandelt, und der tägliche Umsatz beträgt im Schnitt gut 120 000 Millionen Rupien - also mehr als das 700-fache. In der Zeit hat sich auch Chitra Ramkrishna ganz nach oben gearbeitet. Sie ist seit drei Jahren die Chefin der NSE im patriarchalischen Indien und damit eine von gerade einmal drei Frauen weltweit, die an der Spitze einer Börse stehen. In die Wiege gelegt wurde der 52-Jährigen das nicht. Schließlich waren die Finanzmärkte keine Leidenschaft, die sie von jungen Jahren an begleitet hätte. Ihr Vorgänger auf dem Chefposten der NSE, Ravi Narain, sagte einmal über sie: "Sie hatte keine Vorurteile, wie eine Börse zu sein hat. Das half sehr."

Ramkrishnas Leidenschaft waren vielmehr Vinas, traditionelle indische Saiteninstrumente. Mittlerweile aber hat sie keine Zeit mehr zum Üben. Sie will sich auf den bisherigen Erfolgen der Börse nicht ausruhen, sondern diese weiter entwickeln: So soll der Nifty, der indische Aktienindex der NSE, an noch mehr Orten etabliert werden.

Ein besonderes Anliegen ist es Ramkrishna, eine bestimmte Anlageform bei den Indern populär zu machen: börsengehandelte Indexfonds, auch ETFs genannt, die einen Aktienindex genau abbilden. Anleger können damit eins zu eins die Entwicklung des indischen Aktienmarkts kaufen. Derzeit investieren nach Schätzungen gerade einmal 1,5 Prozent aller indischen Haushalte an der Börse. Wachstumspotenzial ist also da.

Diese Frauen haben die Finanzwelt bewegt. SZ-Serie, Teil 26. (Foto: SZ-Grafik)

Wieso gerade ETFs? Weil sie nach Ansicht Ramkrishnas drei Vorteile haben: Sie sind günstig, transparent und simpel. Der letzte Punkt ist ihr dabei der wichtigste, denn eine Börse müsse für alle Gruppen attraktiv sein: für anspruchsvolle Profi-Investoren, die komplizierte Finanzprodukte zur Streuung ihres Risikos fordern, aber auch für die Masse, die Einfachheit und Nachvollziehbarkeit schätzt. Mit einer Anlage in ETFs gehen Anleger ein geringeres Risiko ein, als wenn sie einzelne Aktien kaufen. "Ich bin mir sicher, selbst Mahatma Gandhi hätte meine Fonds gekauft", sagte Ramkrishna einmal. Der sei eines ihrer Vorbilder.

Selbst allerdings hat sie ihr Geld nie an der Börse angelegt. Und das, obwohl sie schon in den Achtzigerjahren bei der Industrial Development Bank of India tätig war und von dort aus zeitweise in ein Team wechselte, das den gesetzlichen Rahmen für die staatliche Regulierungsbehörde für Wertpapiere entwickelte. Damals lernte sie all das, was ihr später beim Aufbau der NSE nützen sollte. Während der Entwicklungsphase der neuen Börse wurde danach gefragt, wie lange es noch dauere, bis der Handel starten könne. Das Team um Ramkrishna anwortete: ein paar Monate. Kritiker sahen das skeptisch. "Für viele waren wir ein Haufen von Außenseitern, der niemals Erfolg haben würde. Das war unser Vorteil, da wir offen waren für Experimente", sagt Ramkrishna über jene Zeit. Tatsächlich war die Plattform schon kurz darauf startklar. Diese Geschichte steht ihrer Meinung nach für die Kultur der NSE: Sie sei schnell und agil. In einer Sekunde werden heute etwa 160 000 Aufträge bearbeitet. Die NSE hat ihre ältere Schwester im Südosten Mumbais bereits überholt, zumindest was den durchschnittlichen Umsatz am Tag und die Zahl der Aufträge angeht - auch wenn an der BSE noch immer mehr Unternehmen gelistet sind.

Wenn sich jemand öffentlich über Ramkrishna äußert, sind die Worte immer wohlwollend: zielstrebig und bodenständig sei sie. Eine gute Zuhörerin. Eine gute Chefin. Auf die Frage, ob sie Widerstände gespürt habe, auch weil sie eine Frau in einem Umfeld voller männlicher Egos sei, kann Ramkrishna in einem Fernsehinterview nur lächeln und sagt: "Da bin ich vielleicht das falsche Beispiel." Schließlich sei sie bei der NSE von den ersten Tagen an dabei gewesen und mit der Organisation gewachsen - da müsse man sich nicht in dem Maße behaupten wie jemand, der von außen komme. Außerdem herrsche bei der NSE auch nach all den Jahren noch immer ein Start-up-Gefühl. Nur einen Unterschied gibt es: Damals, in den Neunzigerjahren in dem kleinen Büro, hätten sie jeden Abend eine Party gefeiert, sagte Ramkrishna einmal. So wild ist es heute nicht mehr.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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