Filmbranche in Deutschland:"Wir sind eine Industrie"

Lesezeit: 3 min

Deutsche Filmschaffende suchen die Anerkennung, die in anderen Staaten selbstverständlich ist. Das Wirtschaftsministerium hat nun eine Studie zur Stärke der Branche vorgestellt.

Von Christian Endt

Im Eichensaal an der Berliner Invalidenstraße lernten Offiziersanwärter einst Tanz und Tischmanieren. Jetzt richtet das Bundeswirtschaftsministerium hier seine Empfänge aus. Unter der Stuckdecke zupft eine Harfenistin Melodien aus James-Bond-Filmen, übers Fischgrätenparkett tragen schwarz gekleidete Kellner Tabletts mit Taboulé-Salat, das Buffet bietet zarte Ochsenbäckchen.

Die Gäste sind begeistert. Weniger der Ochsenbäckchen wegen. Die sind zwar wirklich lecker, aber gutes Essen bekommen sie in ihrer Branche öfter. Vor allem freuen sich die Topleute der deutschen Filmindustrie - Produzenten, Regisseure, Schauspieler wie Matthias Schweighöfer - dass sie endlich mal ins Wirtschaftsministerium eingeladen worden. "Sonst werden wir immer unter Kultur eingeordnet", sagt etwa Günther Russ, Geschäftsführer der Hamburger Produktionsfirma Letterbox. Kulturpolitiker kümmern sich um die Förderung von Filmen, wie sie auch Theater, Orchester und Malerei unterstützen. "Natürlich ist das Kunst, was wir machen", sagt Russ, "Aber von Kunst allein kann ich meine hundert Mitarbeiter nicht bezahlen. Wir sind eine Industrie."

In anderen europäischen Ländern ist die Kino-Produktion stärker, die Besucherzahl höher

Etwa 160 000 Menschen arbeiten deutschlandweit in dieser Industrie, sie erwirtschaftet im Jahr 24,5 Milliarden Euro Umsatz. Diese Zahlen stammen aus einer Studie, die das Wirtschaftsministerium bei der Beratungsfirma Goldmedia in Auftrag gegeben hat und nun, ein paar Tage vor Beginn der Berlinale, vorstellt. Die Filmleute sehen dies als Anzeichen, dass die Politik sie als wirtschaftlicher Faktor wahrnimmt.

Die neue zuständige Ministerin Brigitte Zypries (SPD) sagt, die Filmindustrie habe "große wirtschaftliche Bedeutung". Zu den Umsätzen der Branche kommen die Geschäfte hinzu, die andere mit den Filmleuten machen, etwa Cateringbetriebe am Set oder Wachdienste, die Schauspieler beschützen. Insgesamt löse jeder Euro, der in der Filmindustrie verdient wird, anderswo weitere 60 Cent an Wertschöpfung aus. Weitere Effekte lassen sich kaum messen: Zusätzliche Touristen etwa, die einen Film aus Berlin gesehen haben und deshalb einen Städtetrip in die Hauptstadt planen.

Es lohne sich, diese Industrie staatlich zu unterstützen, schreiben die Autoren der Studie: Die 540 Millionen Euro, die der staatlich finanzierte Deutsche Filmförderfonds (DFFF) zwischen 2007 und 2015 ausgegeben habe, hätten zu Folgeinvestitionen von 3,2 Milliarden Euro geführt. Die Förderung sei nötig, da die Kosten für einen Filmdreh viel früher anfallen als Einnahmen zurückkommen, und diese auch noch schwer zu kalkulieren sind. Es lasse sich allerdings nicht abschätzen, welcher Anteil dieser Investitionen auch ohne Förderung getätigt worden wäre, geben die Wissenschaftler zu.

Die Produktion "Honig im Kopf" mit Til Schweiger (Mitte) thematisiert Alzheimer im Alter, der Film wurde in Deutschland gedreht. (Foto: Gordon Photographie)

Als der Bundestag die jährlichen Mittel des DFFF vor etwa zwei Jahren von 60 auf 50 Millionen Euro kürzte, schuf der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) einen eignen Subventionstopf: den German Motion Picture Fund (GMPF), der seither jährlich genau jene zehn Millionen Euro vergibt, die dem DFFF fehlen. Das freut zwar die Filmemacher, führt aber auch zu einem ziemlichen Durcheinander. Neben DFFF, GMPF und Skurrilitäten wie der "Drehbuchförderung programmfüllende Kinderfilme" gibt es in den Bundesländern jeweils eigene Filmfördersysteme. Die Spielfilm-Umsetzung von Michael Endes "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" etwa, deren Dreharbeiten gerade in Babelsberg bei Potsdam laufen, erhielt vier Millionen Euro aus dem DFFF, 2,5 Millionen Euro aus dem GMPF und weitere 800 000 Euro vom Medienboard Berlin-Brandenburg.

Im internationalen Vergleich liegt der deutsche Filmmarkt allerdings zurück: 14,40 Euro gab jeder Deutsche 2015 durcheinschnittlich an der Kinokasse aus, deutlich weniger als in Frankreich (20 Euro) und Großbritannien (26,40 Euro). Und wenn die Deutschen ins Kino gehen, schauen sie meist keinen Film aus der Heimat: Der Marktanteil der Produktionen aus dem Inland liegt bei 28 Prozent. In Frankreich sind es 36 Prozent, bei den Briten sogar 45 Prozent. Auch bei der Anzahl der gedrehten Filme pro Einwohner liegt Deutschland hinten. Und auf die Marktverlagerung hin zu Streaming-Angeboten hat die Branche zu spät reagiert. Erst jetzt sind mit Titeln wie "Babylon Berlin" die ersten Serien aus Deutschland in Dreh.

Aus Sicht der Filmschaffenden kann es natürlich nie zu viel Förderung geben. "Sie können sich darauf verlassen, dass solche Fonds geleert werden", sagte Dieter Kosslick, Chef der Berlinale, beim Empfang im Wirtschaftsministerium. Kosslick hat eine unbürokratische Lösung: Man könne doch einfach die Geldautomaten umfunktionieren, die die Berliner Sparkasse derzeit aufgebe. Dann könne jeder Filmemacher das Geld einfach abheben.

© SZ vom 08.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: