Fiktive Firma:Parallelwelten

Lesezeit: 2 min

In Deutschland gibt es rund 500 Übungsfirmen. Dort üben Auszubildende oder Menschen, die wieder in den Beruf einsteigen wollen, das reale Arbeitsleben. Doch das Konzept ist nicht unumstritten.

Von Lea Hampel

Das Schild macht stutzig. Es passt so gar nicht zum Gebäude. "Milch Paradies Heilbronn" steht da in schwarzer Schrift auf weißem Grund. Doch dahinter ist kein Schaufenster zu sehen mit Glasflaschen und Joghurtbechern. Das Schild weist in den Weg in den ersten Stock des Bürogebäudes am Rand der Heilbronner Innenstadt. Eine Klingel, eine Tür, die nach Büro aussieht, aber nicht nach einem Ort, an dem man Nachschub für den Kühlschrank kaufen kann. Hier sitzt kein echtes Unternehmen, sondern eine Übungsfirma. Rund 500 solcher Firmen gibt es in Deutschland. Sie tragen Namen wie "Multimodell Werbe-GmbH", "Coburger Porzellan Manufaktur GmbH" oder eben "Milch Paradies Heilbronn". Hier lernen Menschen außerhalb der normalen Arbeitswelt, wie die normale Arbeitswelt funktioniert. Damit das klappt, muss alles möglichst authentisch sein - optisch und organisatorisch.

"Mach das Beste aus Dir. Etwas Besseres kannst Du nicht tun."

Und so gibt es im Milch Paradies Heilbronn einen Empfangsbereich mit Theke. Auf einem Tisch stehen Probepackungen von Milch und Quark, daneben führt ein Flur zu Räumen für Buchhaltung und Besprechungen. An diesem Montag ist ein Dutzend Mitarbeiter da, eine Frau hat Telefondienst am Empfang, ein anderer übt die Eingabe von Personaldaten. Hinter ihm steht Chefin Petra Lange und korrigiert ihn, wenn er ein Formular falsch ausfüllt. Die Mitarbeiter wechseln in dem halben Jahr, das sie hier maximal verbringen, regelmäßig die Abteilung. "Mach das Beste aus dir. Etwas Besseres kannst du nicht tun", steht auf einem Blatt, das auf einem Aktenschrank klebt.

Was verrückt klingt, ist seit Jahren Alltag in einer parallelen Arbeitswelt. Dort werden Bestellungen entgegen genommen, Löhne ausgezahlt und Krisensitzungen mit Kollegen abgehalten. Außerdem wird Handel betrieben. Das Milchparadies beispielsweise nimmt Bestellungen eines fiktiven Hotels entgegen. Gibt es eine Reklamation, kontaktiert der Vertriebsmitarbeiter den zuständigen Hotelmitarbeiter und verhandelt eine Lösung. Die Zentralstelle des Deutschen Übungsfirmenrings, eine Art Koordinationszentrum aller Übungsfirmen, übernimmt - der Authentizität halber - die Rolle des Finanzamts, der Krankenkasse oder des Arbeitsamtes, verlangt Steuern und Sozialabgaben. Die Firmen sind aufgebaut wie andere Unternehmen auch. Das Einzige, das fehlt, ist das echte Produkt.

Die Idee hinter den Übungsfirmen: Menschen in Ausbildung, die etwa die Berufsschule besuchen oder den Wiedereinstieg schaffen wollen, lernen Arbeitsalltag. Verortet sind Übungsfirmen oft in Schulen mit Wirtschaftsschwerpunkt oder bei Bildungsträgern wie in Heidelberg der Donner + Partner GmbH, zu der Menschen mit Bildungsgutscheinen kommen.

Aber nimmt man einen fiktiven Job ernst? Durchaus, ist Petra Lange vom Milchparadies überzeugt: "Mir wird ständig von Mitarbeitern vermittelt, dass man sich von Anfang an mit den Aufgaben so identifiziert hat, dass man nach kürzester Zeit 'zur Arbeit' kommt, nicht in die Schule."

Die fiktive Firma aus Heilbronn, die fiktive Geschäfte mit anderen fiktiven Unternehmen mit fiktiven Produkte abwickelt, kommt demnächst dem realen Arbeitsleben ein Stückchen näher. Vom 17. bis 19. November versammeln sich in Karlsruhe 120 Unternehmen zur Übungsfirmenmesse. Das fiktive Milchparadies hat von einem Partnerunternehmen aus der realen Welt, dem niederländischen Lebensmittelkonzern Friesland Campina, Puddingproben bekommen. Die können potenzielle Kunden auf der Messe verkosten. Ein paar Hundert Kollegen von rund 120 Firmen werden dort erwartet. Ein Drittel kommt aus dem Ausland, denn weltweit gibt es mittlerweile 7000 Übungsfirmen, mit Standorten von Österreich über Kenia bis China.

Unumstritten ist das Konzept dennoch nicht, mancher Arbeitgeber ist skeptisch, ob in einer Dauersimulation erlernte Fähigkeiten im echten Arbeitsleben helfen. Doch gleichzeitig verbreitet sich der Ansatz. Sogar McKinsey betreibt in einem Ausbildungsprogramm ein Übungsunternehmen. Freilich keinen Milchladen - sondern North Sea Oil für Bohrplattformen. Die Lernmethode heißt nicht Übungsfirma, sondern "Experience Learning". Wirklicher wird es dadurch nicht.

© SZ vom 04.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: