Fall des Briefmonopols:"Das nennt man Wettbewerb!"

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Vom kommenden Jahr an will TNT-Post-Chef Mario Frusch der Deutschen Post in allen Sparten Konkurrenz machen. Ein Gespräch über Stundenlöhne von vier Euro, Portokosten und Briefzustellung im Dunkeln.

Henning Hinze

Bisher verteilt die deutsche Post-Sparte des niederländischen TNT-Konzerns Briefe für Großkunden wie Vodafone. Vom kommenden Jahr an darf ihr Chef Mario Frusch, 50, der Deutschen Post in allen Segmenten Konkurrenz machen. Frusch spricht deutsch mit niederländischem Akzent. Wenn er erklärt, warum er der Post schnell Marktanteile abnehmen will, bemüht er ein Beispiel aus seiner Heimat: Heringe.

Will im kommenden Jahr die Deutsche Post angreifen: Mario Frusch (Foto: Foto: Karlheinz Jardner)

SZ: Herr Frusch, sowohl sie als auch Herr Thiel von der Pin-Group sagen von sich, dass sie der größte Herausforderer der Deutschen Post sind. Wer liegt denn nun vorne?

Mario Frusch: Ich weiß nicht, wie groß Pin ist. Mein Kollege Günther Thiel nennt immer unterschiedliche Umsatzzahlen. Wichtig ist, dass wir als Logistikunternehmen mit 200 Jahren Erfahrung der kräftigste Herausforderer der Deutschen Post sind.

SZ: Herr Thiel verspricht aber zehn Prozent Marktanteil bis 2009, sie bis 2012. Demnach ist er der stärkere Herausforderer.

Frusch: Ich finde es immer toll zu lesen, was er ruft. Ich habe gelesen, er will 2008 Dividende auszahlen. Ich glaube, wer Dividende auszahlen will, muss Gewinn machen. Ich werde das realistischer erläutern müssen, weil wir ein börsennotiertes, seriöses Unternehmen sind.

SZ: Dann erläutern Sie bitte mal, wer die Post in 20 Jahren austrägt.

Frusch: Ich habe keine Glaskugel. Aber die Deutsche Post wird immer zwei Drittel des Marktes haben und daneben wird es zwei, vielleicht drei Konkurrenten geben, die bundesweit anbieten, und wir werden der größte sein. Ich glaube übrigens auch nicht, dass wir bei zehn Prozent Marktanteil stoppen sollten. Wir handeln nicht mit Austern, wir sind im Heringsgeschäft tätig. Für den einzelnen Hering wollen die Leute nicht viel bezahlen, also müssen wir viele fangen. Wenn TNT Post paneuropäischer Spieler sein will, und das wollen wir, müssen wir Nummer eins hinter der Deutschen Post auf dem wichtigsten europäischen Postmarkt sein, denn unser Heimatmarkt Holland ist klein.

SZ: Wird es in 20 Jahren überhaupt noch Briefe geben?

Frusch: Eins ist klar: Das Postvolumen wird schrumpfen. Internet und neue Medien werden viele Briefe ersetzen. Nur noch zehn Prozent aller Briefe kommen heute von Privatkunden und Kleinunternehmen. Aber es gibt große Möglichkeiten bei Werbebriefen zu wachsen. Deren Anteil ist in Deutschland nur halb so hoch wie in anderen europäischen Ländern oder gar in den USA.

SZ: Alle reden vom Ende des Post-Monopols für private Briefe zum Jahreswechsel und Sie sagen, das ist gar nicht wichtig?

Frusch: Das will ich nicht sagen. Aber es ist eben nur ein kleiner Teil des Geschäfts.

SZ: Den müssen Sie bitte trotzdem kurz erklären: Wenn die Oma aus Pirmasens dem Enkel in Lübeck im nächsten Jahr mit TNT einen Brief schickt, wie funktioniert das?

Frusch: Als erstes brauchen wir eine Annahmestelle. Die haben wir noch nicht, aber daran arbeiten wir mit unserem Partner Hermes. Hermes hat 13.600 Paketshops in Deutschland. Also: dort abgeben, Hermes sammelt die Briefe dann ein, bringt sie zu einer TNT-Post-Niederlassung, dort werden sie von unserer Tochter Postcon vorsortiert und dann von unserer Schwestergesellschaft, dem Paketdienst TNT-Express, bei großen Mengen direkt an den Zielort und bei kleinen Mengen an unser Hub nach Wiesbaden gebracht. Da wird grob sortiert und dann geht es mit TNT Express weiter in die Fläche, wo unsere Zusteller die Briefe austragen.

SZ: Auch samstags?

Frusch: Natürlich. Es gibt Samstags große Aufmerksamkeit, unsere Geschäftskunden wollen die Samstagszustellung.

SZ: Um welche Uhrzeit kommt der Briefträger?

Frusch: Morgens und mittags, wann genau hängt davon ab, wo Sie leben.

SZ: In München klingeln neuerdings um zehn Uhr abends Briefträger und wollen ins Treppenhaus. Wird das normal?

Frusch: Wir stellen nicht um zehn Uhr abends zu. Im Dunkeln können die Briefträger die Namensschilder kaum lesen, und wenn man klingelt, macht keiner auf. Da dauert die Zustellung vier, fünf mal so lange. Ich habe selbst schon als Zusteller gearbeitet damit ich weiß, wovon ich spreche, ich sage Ihnen: Das geht nicht!

SZ: Haben ihre Zusteller Schlüssel?

Frusch: In Ballungsräumen: ja.

SZ: Wie lange ist ein Brief mit Ihnen unterwegs?

Frusch: Von Hamburg nach München höchstens zwei Tage. Wenn es zum Beispiel viele Briefe von Hamburg nach Bremen gibt, würden wir das direkt transportieren, das ginge schneller.

SZ: Was kostet das Porto?

Frusch: Wir rechnen noch. Wichtig ist: Wenn die Post 55 Cent verlangt, können wir nicht 50 oder 55 Cent verlangen, dann spart der Kunde nichts.

SZ: Womit kalkulieren Sie?

Frusch: Die Zustellkosten gehen in Richtung 80 Prozent, dazu kommen Sortierkosten. Das Einsammeln der Briefe ist nur ein kleiner Teil, drei, vier, fünf Prozent.

SZ: Wenn der Lohn der Zusteller für die Kalkulation offenbar so wichtig ist: Durchschnittlich beträgt er in Deutschland 8,44 Euro. Liegen Sie darunter oder darüber?

Frusch: Das kann ich so nicht beantworten. Selbst die Deutsche Post zahlt Löhne zwischen vier und 14 Euro.

SZ: Und Sie, im Durchschnitt?

Frusch: Wir liegen bei acht Euro, mit regionalen Unterschieden. Aber diese Woche müssen wir wie alle Postdienstleister gegenüber der Bundesnetzagentur die Löhne offenlegen, und wie es mit Altersvorsorge, Urlaubsregelung und im Krankheitsfall aussieht.

SZ: Am unteren Ende der Lohnskala dürfte Mecklenburg-Vorpommern stehen. Was zahlen Sie in da?

Frusch: Da müssen wir marktkonform sein.

SZ: Also vier Euro.

Frusch: Nein, mehr.

SZ: Fünf.

Frusch: Ich will es nicht sagen, und ich will auch sagen warum: Die Bundesnetzagentur darf und muss es wissen, aber die Konkurrenten nicht. Bedenken Sie immer: Wir sind ein Unternehmen im Wettbewerb und müssen auch so rechnen. Wenn die Deutsche Post das Leeren von Briefkästen an Taxiunternehmen vergibt, dann kann der Herausforderer mit zwei Prozent Marktanteil, die wir haben, nicht höhere Preise zahlen. Die Qualität muss gleich sein, die Kosten mindestens 20 Prozent niedriger, sonst kommt kein Kunde. Und vorher müssen wir noch den Mehrwertsteuernachteil ausgleichen, den wir haben, weil die Deutsche Post befreit ist und wird nicht. Ein Ende der Befreiung wäre viel wichtiger als das Ende des Briefmonopols!

SZ: Neuerdings heißt es, Sie und Pin könnten auch befreit werden.

Frusch: Dann hätte die Deutsche Post immer noch einen großen Vorteil. Wer befreit ist, darf die Vorsteuer nicht mehr abziehen, die er an seine Lieferanten abführt. Deren Anteil ist bei uns aber viel höher als bei der Post, weil wir mit vielen Lieferanten arbeiten, die Deutsche Post als Ex-Monopolist dagegen mit vielen Mitarbeitern.

SZ: Bald nicht mehr. Post-Chef Klaus Zumwinkel sagt, er müsste zehn bis 20 Prozent seiner Angestellten entlassen, wenn er Konkurrenz bekommt, also bis zu 32000 Leute.

Frusch: Herr Zumwinkel hat eine Behörde erfolgreich in ein börsennotiertes Unternehmen umgebaut. Deshalb hat er schon 30.000 Stellen abgebaut. Das hat aber noch gar nichts mit Konkurrenz zu tun. Er hat ja noch über 90 Prozent Marktanteil und macht in dem Segment zwei Milliarden Euro Gewinn. Das ganze Thema Arbeitsplätze und Löhne wird von der Post ständig instrumentalisiert. Das ist lächerlich, aber damit leben wir.

SZ: Sie können gegenhalten und sagen: Wir bauen die Stellen auf, die er abbaut.

Frusch: Alle alternativen Zusteller in Deutschland haben schon mehr als 46000 Stellen geschaffen. Gleich kommt der Einwand: Das sind alles geringfügig Beschäftigte! Das ist nicht wahr. Es sind mehr als 12000 Voll- und Teilzeitstellen. Bei TNT Post fallen mehr als 80 Prozent der Stellen darunter. Und wir schaffen Teilzeitstellen, weil viele Beschäftigte das wollen. Wir versuchen nicht, über die Knochen des Prekariats Gewinne zu machen. Wir bauen auf und die Deutsche Post baut ab. Das nennt man Wettbewerb!

SZ: Sie bauen so viel auf, wie die Post abbaut?

Frusch: Ich denke, dass allein TNT Post in Deutschland die Mitarbeiter innerhalb von fünf Jahren von jetzt 5000 vervierfachen wird. Es geht gar nicht anders. Es ist ein arbeitsintensives Geschäft. Die letzte Meile muss immer durch Menschen gemacht werden, das können keine Roboter.

SZ: Im Oktober 2006 hatten sie 90 Prozent der Fläche abgedeckt und sprachen von 100 Prozent binnen weniger Monate. Haben sie die erreicht?

Frusch: Nein. 100 Prozent sind auch kein absolutes Ziel. Ich habe noch nie einen Kunden getroffen, dem wichtig war, dass wir die letzten zwei, drei Prozent der Briefe selbst zustellen.

SZ: Aber der Öffentlichkeit ist die Vollversorgung wichtig.

Frusch: Selbst die Deutsche Post nutzt in abgelegenen Gebieten Subunternehmer. Man sieht da, dass wir uns annähern. Wir bauen in der Fläche aus, die Post nutzt verstärkt Subunternehmer.

SZ: Es wäre akzeptabel, wenn TNT auf dem Land Lücken im Zustellnetz hat?

Frusch: Für mich ist entscheidend: Warum wählen Kunden TNT? Das hat mit Zuverlässigkeit, Transparenz und gehaltenen Versprechen zu tun. Wenn man sich starker regionaler Partner bedient, ist das meiner Meinung nach ausgezeichnet. Wenn wir auf irgendwelchen Inseln oder im Erzgebirge über die Deutsche Post zustellen: das Gleiche macht die Deutsche Post in Holland mit ihrer Tochter Selekt Mail über unsere Mutter, die holländische Post.

SZ: Und wie viele Annahmestellen brauchen Sie?

Frusch: Wenn der Weg von der eigenen Wohnung zum Paketshop kürzer ist als der zur Postfiliale, und wenn man dann auch nicht in einer Schlange stehen muss und gleich noch Zigaretten kaufen kann, kann das sogar wichtiger sein als die Zahl der Annahmestellen. Aber im Moment sage ich: 13.600 Hermes-Annahmestellen sind mehr als die Deutsche Post hat.

SZ: 50.000 wären noch mehr.

Frusch: Jetzt müssen wir erst mit Hermes Erfahrungen sammeln. Das System hat den Vorteil, dass Hermes seine Shops ohnehin versorgen muss und TNT-Express ohnehin zu unserem Hub nach Wiesbaden fährt. Wir kriegen deren Dienste nicht geschenkt, aber sie können günstiger kalkulieren als jemand, der zum Beispiel extra alle Sparkassen abklappern muss. Die melden sich ja bei uns: Banken, Handelsketten - die sind an der Kundenfrequenz interessiert, die eine Poststelle bringt.

SZ: Und? Kann es sein, dass Sie darauf eingehen?

Frusch: Ja, wenn es ein Partner ist, der zur A-Marke TNT passt. Aber ich werde Ihnen jetzt nicht sagen, wer das sein könnte oder wann es soweit ist.

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