Fairer Handel:Revolution im Kopf

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Die Kaffeebar heißt "Brazil", die Kneipe "Chez Tintin": Sie und 58 weitere Geschäfte eint der Erfolg, Saarbrücken zur ersten Stadt des fairen Handels in Deutschland gemacht zu haben.

Caspar Dohmen

Vereinfacht könnte man sagen: Saarbrücken ist diese Woche erste Stadt des fairen Handels in Deutschland geworden, weil sich Fleurance Laroppe in den Siebzigern für die Revolution der Sandinisten in Nicaragua engagiert hat. Die Französin arbeitete als Dolmetscherin für die Nachrichtenagentur "Stimme des Südens" in dem mittelamerikanischen Land. "Wir wollten, dass die Menschen selbst über die Geschehnisse in ihrem Land berichten, nicht nur die internationalen Agenturen", erzählt die 57-Jährige, die eine auffällige rote Lederjacke trägt. Ein Professor holte sie an die Universität Saarbrücken, wegen ihrer Erfahrung in Nicaragua. Seitdem hat sie sich ehrenamtlich für Entwicklungspolitik eingesetzt. Seit einigen Jahren wirbt sie begeistert für den fairen Handel.

In Saabrücken gibt es 60 Stellen, an denen faire Produkte verkauft werden. (Foto: Foto: dpa)

Sie will die Menschen zum bewussten Einkaufen anregen: "Man muss die Betonköpfe für den fairen Handel weich klopfen", sagt Laroppe und lacht. Mit Gleichgesinnten dekoriert sie den Saarbrücker Ratskeller, wo es Tische für die Regionen Asien, Afrika und Lateinamerika gibt mit den typischen fairen Waren Tee, Schokolade oder Kaffee. Am liebsten hätte Laroppe die Bilder der bayerischen Könige abgehängt, damit sie nicht von den Informationen über die Fair-Trade-Stadt ablenken.

Kind der Solidaritätsbewegung

Der faire Handel ist ein Kind der Solidaritätsbewegung. Max Havelaer gründete die erste Organisation in den Niederlanden. Viele weitere folgten. Das Siegel für fairen Handel prangt auf Waren, wenn bei deren Herstellung nachweislich soziale Standards eingehalten werden und die Produzenten Mindestpreise erhalten. Angesichts mangelnder Werbebudgets entwickelten die Verfechter des fairen Handels viele Ideen, um ihre Sache populär zu machen. So hatten die Briten den Einfall mit den Fair-Trade-Städten: Garstang im Nordwesten Englands wurde im April 2000 erste Fair-Trade-Stadt der Welt. Mittlerweile schmücken sich auf der Insel 400 Orte mit dem Titel, weltweit sind es 600 in 18 Ländern.

In Deutschland können sich Städte, Kreise und Gemeinden erst seit Anfang des Jahres bewerben. Alle müssen fünf Kriterien erfüllen. Verlangt wird vor allem, dass Bürger fair gehandelte Produkte in einem bestimmten Ausmaß in Geschäften, Gaststätten oder öffentlichen Einrichtungen bekommen können - abhängig ist dies von der Einwohnerzahl. In Saarbrücken müsste es demnach 29 Stellen geben, tatsächlich sind es 60.

Bier aus Kokosschalen

Laroppe kennt sie alle: Da ist die Kaffeebar Brazil, wo die Brasilianerin Regina Kaffee, Weine und Kekse der Gepa verkauft, da sind der Chocolatier oder die Kneipe Chez Tintin, in der belgisches Bier aus fair gebrauten Zutaten in Kokosschalen serviert wird. Da ist aber auch Karstadt. Der Konzern sei als erste deutsche Kaufhauskette in den fairen Handel eingestiegen, erzählt Laroppe.

Ein paar Meter weiter liegt das Rathaus St. Johann, wo die Organisation Transfair die Stadt Saarbrücken am Donnerstag ausgezeichnet hat. Dabei ist auch Kajo Breuer, der grüne Bürgermeister. Gäste empfängt er in einem Erkerzimmer, im zweiten Stock des historischen Gebäudes. Breuer hat früher aus Solidarität Kaffee aus Nicaragua getrunken, "der einem die Schuhsohlen auszog, weil er so bitter war". Breuer ist bis heute Idealist. Eine Stadt habe eine Vorbildfunktion für ihre Bürger. Sicher denke nicht jeder Verbraucher täglich an die Dritte Welt, viele fragten sich aber schon, ob beispielsweise ihre Kleidung von Kindern genäht sei, sagt der Bürgermeister und greift in seinen braunen Anzug. Fair-Trade-Stadt - dies ist für ihn mehr als Symbolik, es ist für ihn ein kleiner Beitrag für eine gerechtere Welt, darin ist er sich mit Laroppe einig.

Erst vor wenigen Tagen ist die Französin von einer Reise nach Ecuador zurückgekehrt, wo sie Kooperativen besucht hat. Viele Kleinproduzenten fürchteten, Verbraucher könnten angesichts der Wirtschaftskrise fair gehandelte Produkte in Deutschland im Regal stehen lassen. Tatsächlich ist es umgekehrt: Der Umsatz mit fair gehandelten Produkten werde in Deutschland 2009 im sechsten Jahr in Folge wachsen, sagt Dieter Overath, Geschäftsführer von Transfair. Allerdings geben die Deutschen immer noch vergleichsweise wenig für faire Produkte aus: gerade einmal 1,72 Euro im Monat pro Kopf. Ein Brite lässt sich das gute Gewissen dagegen 11,57 Euro kosten, ein Schweizer sogar 21 Euro monatlich.

Hase und Igel

"Bürger können die Geschehnisse beeinflussen, auch, wenn sie sich manchmal wie Ameisen vorkommen", sagt Laroppe. Sie schöpfe Kraft aus dem Einsatz für den fairen Handel. "Für mich hat die Arbeit viel mit Freundschaft, Solidarität und tollen Menschen zu tun", sagt sie. Bei all ihren Aktionen sei sie erst ein einziges Mal zurückgewiesen worden. "Die Menschen haben ein offenes Ohr, wenn man sie anspricht", sagt Laroppe.

Und in diesem Sinne sei die Idee der Fair-Trade-Town für sie der Weg, um die Gesellschaft mit der Idee des fairen Handels zu infiltrieren. "Egal, wo die Menschen hingehen - die Produkte müssen schon da sein", sagt Laroppe, insofern handelt sie ganz nach der Geschichte von dem Igel und dem Hasen. Viele Kommunen stehen in Deutschland bereits in den Startlöchern, ob Neuss, Wuppertal, Stuttgart, Erfurt, Fulda oder Castrop Rauxel.

© SZ vom 04.04.2009/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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