Experte:Die Internet-Apotheke ist nicht zu stoppen

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Im Luxemburger EuGH-Prozess um den holländischen Online-Pharmazeuten DocMorris sieht dessen Prozessvertreter gute Chancen.

Von Gerhard Hennemann

(SZ vom 10.06.2003) — Auch die Bundesbürger werden künftig ihre Medikamente auf legalem Weg per Versandhandel beziehen können. Davon ist der Bonner Professor Christian Koenig, der die heftig attackierte holländische Internet-Apotheke DocMorris als Prozessbevollmächtigter vor dem Europäischen Gerichtshof vertritt, fest überzeugt.

Der renommierte Europarechtler, der das Bonner Zentrum für Europäische Integrationsforschung leitet, erwartet nach der mündlichen Verhandlung und den Schlussanträgen der Luxemburger Generalanwältin, dass die Richter des EuGH bis spätestens Oktober entscheiden werden, ob die deutschen Apotheken ihr Versorgungsmonopol auf dem Arzneimittelsektor behalten werden oder ob sie es künftig mit Versandhandelsapotheken in anderen EU-Ländern teilen müssen. Koenig: "Mit 80 Prozent Wahrscheinlichkeit rechne ich damit, dass das Gericht die Unvereinbarkeit des deutschen Versandhandelsverbots für Medikamente mit europäischen Recht bestätigen wird".

Ein solcher Richterspruch werde dann Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) bei ihrem Reformvorhaben unterstützen, zur Belebung des Wettbewerbs auf dem Pharmasektor auch den nationalen Versandhandel mit Arzneimitteln zuzulassen.

Auf den Versand angewiesen

Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung vertrat Koenig die Auffassung, dass das deutsche Arznei- Versandhandelsverbot gegen Artikel 28 des EG-Vertrages verstößt, der den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft schützt. Die Einschätzung der deutschen Apotheker, wonach der grenzüberschreitende Warenverkehr mit Medikamenten schon deshalb nicht durch das nationale Verbot behindert wird, weil es generell für alle Apotheken gilt, erachtet Koenig als nicht stichhaltig. Ausländische Apotheken seien auf den Versandweg angewiesen, wenn sie deutsche Endkunden beliefern wollten.

Eine nationale Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit hält Koenig allenfalls dann für denkbar, falls es einem Mitgliedsland der EU gelänge, gegen die Zulassung des Pharma-Versandhandels "substanzielle Gründe des Gesundheitsschutzes" vorzubringen.

Nach allem, was die zuständige Generalanwältin im mündlichen Verfahren vor dem EuGH an Argumenten vorgetragen habe, werde es den deutschen Apothekerverbänden aber kaum gelingen, den Versandhandel mit Arzneimitteln als gefährlicher für die Volksgesundheit einzustufen als den stationären Verkauf über eine Apotheke, meint Koenig. Zumindest für in Deutschland zugelassene Arzneimittel, die von dort exportiert und später dorthin reimportiert werden, könne ein Versandverbot mit Gesundheitsbedenken nicht begründet werden.

Auch das von der Standesvertretung immer wieder vorgetragene Argument, wonach eine Internet-Apotheke wie DocMorris weniger sicher sei als eine herkömmliche Apotheke, habe sich die Generalanwältin nicht zueigen gemacht. Sie habe vielmehr betont, dass die mit Online-Bestellungen einhergehenden Datenspeicherungen in der Regel eine intensivere Kundenberatung und -betreuung als bei einem Verkauf in einer Apotheke ermöglichten.

Im Fall des von Bayer hergestellten Medikaments Lipobay sei DocMorris eine der wenigen Apotheken gewesen, die binnen 48 Stunden sämtliche Besteller hätten auffordern können, einen Arzt aufzusuchen, betont Koenig.Für die unnachgiebige Haltung der deutschen Apotheker, die im Fall DocMorris durch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände vertreten wird, zeigt Koenig auch deshalb kein Verständnis, weil sich der Berufsstand nach seiner Einschätzung damit keinen Gefallen erweist.

Denn würde der grenzüberschreitende Versandhandel von den EuGH- Richtern für legal erklärt, während es im Inland unter dem politischen Druck der Apotheker-Lobby beim Verbot des Versandhandels bliebe, dann liefe das aus der Sicht von Koenig auf eine Zementierung der derzeitigen Monopolstellung seines Mandanten DocMorris hinaus. Die umkämpfte holländische Versandapotheke bezieht ihren Wettbewerbsvorteil in erster Linie daraus, dass sie von ihren Kunden keine Rezept-Zuzahlung verlangt.

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