Estlands Notenbankchef:"Eine Geldpolitik, die allen gefällt, gibt es nicht"

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Estlands Notenbankchef Ardo Hansson erklärt, warum die EZB ihre Politik des billigen Geldes fürs Erste fortsetzen muss.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Ardo Hansson, 58, hat eine Erklärung dafür, dass Notenbanker in der Öffentlichkeit häufig kritisiert werden. "Wir müssen paradoxe Dinge kommunizieren", sagt der Notenbankchef Estlands, der einen Sitz im obersten Entscheidungsgremium der Europäischen Zentralbank (EZB) hat. Er verweist auf den Plan der EZB, die Inflation zu erhöhen.

"Der gesunde Menschenverstand würde fragen: Warum brauchen wir mehr Inflation? Das scheint wenig sinnvoll zu sein. Deshalb ist es sehr schwer zu erklären", sagt der Ökonom und serviert noch ein Beispiel aus seiner Heimat Estland, wo die Löhne derzeit im Schnitt um sieben Prozent und damit viel schneller als die Wirtschaft steigen. Die Menschen fänden hohe Löhne natürlich gut, und sie verstünden nicht, dass daraus ein Problem entstehen könnte. "Ein Notenbanker räumt die Bowle weg, wenn die Party beginnt."

Hansson wurde in Chicago geboren. Seine Eltern waren während des Zweiten Weltkriegs in die USA geflohen. Er machte seinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaft an der Harvard-Universität. Nach der Unabhängigkeit Estlands 1991 arbeitete Hansson für einige Jahre mit beim Aufbau des Landes. Er hat die Anbindung der estnischen Krone an die D-Mark auf den Weg gebracht. Das war der Grundstein für die spätere Mitgliedschaft Estlands in der Währungsunion. Seit 2012 amtiert er als Zentralbankchef.

Die Entscheidung der EZB, Staatsanleihen zu kaufen, um die Inflation in der Euro-Zone zu erhöhen, hat er nie gemocht. Im Dezember 2016 beschloss der EZB-Rat sogar, das Ankaufprogramm bis Ende 2017 zu verlängern. Die Entscheidung stieß in Deutschland auf scharfe Kritik, zumal die Inflationsraten zuletzt deutlich gestiegen sind, in Deutschland auf 1,9 Prozent und in der ganzen Währungsunion auf 1,8 Prozent. Das Ziel der EZB ist es, mittelfristig eine Teuerung von nahe zwei Prozent zu erreichen. Da mag es angesichts der aktuellen Daten nicht überraschen, dass einige fordern, die EZB solle ihre lockere Geldpolitik sofort beenden.

Hansson, der kein Fan der Geldschwemme ist, widerspricht den Kritikern dennoch: "Wir haben unsere Entscheidung, das Programm zu verlängern, im Dezember 2016 getroffen. Das ist nicht sehr lange her." Er argumentiert, dass Zentralbanken in ihrer Geldpolitik beständig sein sollten, es sei denn, es passiere etwas unerwartet Drastisches. Man könne also das Ankaufprogramm nicht Hals über Kopf beenden. "Der Anstieg der Inflation ist eine gute Nachricht aus Sicht der Notenbank, aber es ist wichtig, genau hinzuschauen", sagt Hansson weiter. Derzeit fehle die Bestätigung, dass die Inflation wirklich zurückgekehrt sei. "Wir müssen noch ein paar mehr Monate positive Überraschungen erleben", so der Notenbankchef. "Dann brauchen wir vielleicht Korrekturen."

Die Entscheidung der EZB, das Anleihekaufprogramm um 540 Milliarden Euro auf 2,3 Billionen Euro auszuweiten, hat auch damit zu tun, dass in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland Wahlen anstehen. "In dieser unruhigen politischen Lage sollte eine Zentralbank eher ein Stabilitätsfaktor sein, als dass sie zu Turbulenzen beiträgt", sagt Hansson. "Das hat wenig mit strenger oder lockerer Geldpolitik zu tun. Aber es gibt gute Gründe dafür, jetzt standfester zu sein als in anderen Zeiten und drastische Maßnahmen zu vermeiden."

Hansson ist ein ruhiger Mann, der sehr bedächtig spricht und seine Worte gut überlegt. Er versteht, dass es Menschen gibt, die der EZB-Politik kritisch gegenüberstehen. "Eine Geldpolitik, die allen gefällt, gibt es nicht. Es gibt immer Gewinner und Verlierer", sagt Hansson, der die Risiken der aktuellen EZB-Geldschwemme sieht. "Da ist die Frage, ob sie unsere Politik von wirtschaftlichen Reformen abhält, und es gibt das Risiko, dass billiges Geld zur Entstehung sogenannter Zombie-Firmen führt", räumt der Notenbanker ein. Unter Zombie-Firmen versteht man Unternehmen, die nur deshalb überleben, weil der Leitzins bei null Prozent liegt und nicht etwa, weil sie ein tragfähiges Geschäftsmodell haben. "Aber schlussendlich können Zentralbanken nicht für all das verantwortlich sein. Wie sind für die Preisstabilität des Euro verantwortlich."

Hansson hat vor seiner Berufung zum Zentralbankchef bei der Weltbank gearbeitet, zunächst als ökonomischer Aufbauhelfer in Ost- und Südosteuropa, später als Chefökonom der Weltbank in China.

Die Kritik vieler Politiker an der EZB nimmt Hansson gelassen. "Erst wenn Politiker versuchen würden, unsere Entscheidungen zu beeinflussen, wäre es gefährlich." Aber das sei bislang nicht passiert. Weil Zentralbanker sich auch zur Haushaltspolitik der Regierungen äußern würden, dürften auch Politiker ihre Meinung sagen. "Wenn überhaupt niemand unsere Geldpolitik kommentieren würde, dann wäre das sehr seltsam."

© SZ vom 23.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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