Essay:Gold und Safran

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Iran hat viel versäumt. Seine Handelspartner wissen das. Weniger bekannt ist, wie sehr die Kultur das Land und seine Bürger bestimmt.

Von Franziska Augstein

Kindernamen machen manchmal Politik. Im Westen Chinas leben die Uiguren, die meisten sind Muslime, viele fühlen sich von der chinesischen Führung unterdrückt. Letztere hat das neulich bestätigt, indem sie eine befremdliche Direktive erließ: Uiguren dürfen ihren neugeboren Kindern eine Reihe von islamischen Namen nicht mehr geben. In Peking war man offenbar der Meinung, zu vielen Uiguren würden immer dieselben Namen gegeben. Nun darf ein Baby nicht mehr Mohammed genannt werden. In welcher Weise diese Maßnahme dem politischen Frieden dienen soll, bleibt der Weisheit der chinesischen Führung überlassen.

In Iran gibt es so ein Namensproblem nicht. In Iran kann man nicht auf einer bevölkerten Straße "Mohammed" rufen, und zig Jungs und Männer drehen sich um. Die Iraner haben mindestens drei Quellen für Namen.

Da gibt es die Schriften der großen, landesweit verehrten Dichter. So hat zum Beispiel Firdausi, der vor der Zeitenwende vom ersten zum zweiten Jahrtausend nach Christus lebte, Epen geschrieben, die heute noch gelesen werden. Im Palast des einstigen Schahs von Persien ist ein Prunksaal mit Fliesen verziert, die Geschichten von den Gedichten Firdausis darstellen. Ein Frauenname, den Firdausi berühmt machte, lautet: Parisa.

Auch arabische Namen sind in Iran beliebt, darunter etliche, die man im Westen aus Märchen kennt, etwa Fatima. Schließlich: In Iran mögen viele Leute kurdische Namen. Ein Mädchenname: Mara, das heißt auf Deutsch Gazelle. Ein Jungsname: Ravin, er spielt an auf das Geräusch fallenden Regens.

Was der Westen noch nicht ganz verstanden hat: Iran liegt zwar im Mittleren Osten, die Iraner sind zwar mehrheitlich schiitische Muslime, aber die Perser sind keine Araber. Sie haben eine ganz andere, lebendige, reiche Kultur. Darauf legen sie Wert. Angesichts des politischen Streits kommt sie in aktuellen Berichten über das Land ein bisschen zu kurz.

Bildung wird in Iran seit jeher hoch gehalten

Der "Magen David", der sechszackige Stern auf der israelischen Flagge, schmückt alte iranische Gebäude, die mit größter Kunstfertigkeit errichtet wurden und sorgsam instand gehalten werden. Das Handwerk, das dazu nötig war, beherrschen die Iraner heute noch fast so gut wie früher. Auch das macht die Iraner stolz. Wie immer das politische Verhältnis zu Israel sein mag, wie immer groß der Streit: Den Davidstern auf den Fußböden ihrer alten Gemäuer polieren die Iraner, er bereichert ihre eingesessene Freude an symmetrischer Schönheit. Neulich wurde übrigens der gar nicht symmetrische deutsche Pumuckl als Zierde eines Ladens gesichtet. Da handelt es sich um ein Poster,das eines Tages vergilben wird.

In Iran leben ungefähr so viele Menschen wie in Deutschland, aber das Land ist sehr viel größer als Deutschland. Weil in Iran Industrie früh im zwanzigsten Jahrhundert eingeführt wurde, ist man dort stolz auf die Errungenschaften der Moderne. Das war einer der Gründe, warum es zu dem Konflikt über Atomenergie kam, der Anfang 2016 fürs Erste beigelegt wurde.

Seit der Revolution von 1979 haben Ayatollah Khomeini und sein Nachfolger Ayatollah Chamenei zwar das Land umgestülpt; sie haben Iran zu einem religiös bestimmten Staat gemacht. Dort darf die Landesflagge nie auf Halbmast stehen; denn auf der Flagge steht das Wort "Allah", und Gott erniedrigt man nicht. Aber die Ayatollahs haben sich an die überkommene Kultur gehalten. Zwar sind die Vereinigten Staaten von Amerika, das war Khomeinis Idee, der "Große Satan". Aber trotzdem wird Englisch an den Schulen gelehrt, von früh auf an, wenn die Kinder noch klein sind. Bildung wird in Iran seit jeher hoch gehalten, daran haben die religiösen Revolutionsführer nichts geändert.

(Foto: Lisa Bucher)

Die Geburtenrate in Iran ist niedrig. Der Weltbank zufolge bekommt eine Frau heutzutage im Durchschnitt 1,7 Kinder. Der Grund dafür: In der Landwirtschaft arbeiten nicht mehr so viele Menschen wie früher. Dürre und andere Gründe haben zur Landflucht geführt. Heute arbeiten laut der offiziellen Statistik nur noch etwa zwanzig Prozent der beschäftigten Iraner in der Landwirtschaft. Die allermeisten Eltern wollen, dass ihre Kinder eine gute Ausbildung erhalten. Studieren ist teuer, deshalb achten Väter und Mütter darauf, nicht allzu viel Nachwuchs in die Welt zu setzen.

In Iran gibt es einige englischsprachige Zeitungen. Die berichten über Politik und Wirtschaft, ein bisschen über Sport und ein ganz klein bisschen über Kultur. Herausgestrichen wird, was gelingt, das iranische Filmwesen wird zu Recht gepriesen. Die sogenannten weichen Themen - wo mache ich Urlaub?, wie gesund ist Rote Bete? - kommen nicht vor. Die Lektüre dieser Zeitungen ist erstaunlich. Die Zeitungen wünschen, dass der Reformer Hassan Rohani die Präsidentschaftswahlen am 19. Mai gewinnen und seine zweite Amtszeit antreten möge. Sie schreiben das nicht in ihren Kommentaren, sie zitieren stattdessen Fachleute.

Bei allen in Iran, die auch nur gelinde Ahnung von Wirtschaft haben, hat es sich herumgesprochen, dass der vormalige Präsident Ahmadinedschad dem Land schwer geschadet hat. Das fing an mit den Banken, die er zwang, Kredite zu vergeben, obgleich ganz klar war, dass diese nie zurückgezahlt werden könnten. Um nur eine Überschrift zu nennen, die wurde gedruckt am 17. April in der Teheraner Financial Tribune: "Ein Wirtschaftsexperte: Rohani erbte eine ruinierte Ökonomie." Was die Zeitungen meinen, wird allein per Fakten vorgetragen. Herausgestellt wird, was Rohani bisher alles erreicht habe: Er hat die Inflation auf einen Bruchteil der früheren sagenhaften 40 Prozent reduziert; er bemüht sich, Investoren ins Land zu holen. Rohanis Maßnahmen sind bei der Bevölkerung indes noch nicht angekommen. Der Brotpreis wird nach wie vor künstlich niedrig gehalten, was die Bäcker verärgert. Auch viele andere Wähler sind enttäuscht.

In den Kommentaren der Zeitungen hingegen geht es immer mal wieder hoch her. Die tun dem herrschenden Komment Genüge. Da wird dann erzählt, dass der amerikanische Präsident Barack Obama Syrien habe erobern wollen oder dass die New York Times ein "neokonservatives" Blatt sei. Man fragt sich, wie die Autoren dieser Artikel - sie zeichnen mit englischen Namen - es über sich bringen, solchen Quark zu verfassen. Gleichzeitig wird hemmungslos von amerikanischen Zeitungen und westlichen Nachrichtenagenturen abgeschrieben. Manchmal mit Quellenangabe, manchmal ohne. Die Wirtschaftsnachrichten sind halbwegs zuverlässig, mitunter freilich unfundiert optimistisch. Iran versteht sich als ein aufstrebendes Land. Die Wirtschaft ist das Thema.

Ein paar Tatsachen: Weil Iran - wegen Terrorismus-Vorwürfen und anderen Dingen - immer noch auf der Roten Liste der USA steht, ist es für international agierende Unternehmen schwierig, wirtschaftliche Kontakte zu Iran zu knüpfen. Wer zu tun hat mit Iran, läuft Gefahr, in den USA schwer belangt zu werden. Die französische Bank BNP Paribas hat fast neun Milliarden Dollar Strafe zahlen müssen. Das sitzt allen im Genick. Das Atomabkommen hilft da wenig, weil die USA darauf bestanden haben, dass Geschäftsbeziehungen mit Iran strikter Kontrolle unterliegen: Sowie ein Name eines Mannes, der zum Beispiel zu den "Revolutionsgarden" zählt, in einem Vertrag vorkommt, darf der Vertrag nicht geschlossen werden. Ein europäischer Banker hat sarkastisch gesagt: Früher, mit den scharfen Sanktionen, die Geschäftsbeziehungen praktisch unmöglich machten, habe man wenigstens gewusst, woran man sei. Doch heute sei alles völlig unklar.

Nun hat der Flugzeugkonzern Boeing es gewagt. Die iranische Flugzeugflotte ist veraltet - ungefähr so veraltet wie die Maschinen der amerikanischen Fluglinie Pan Am es waren, die vor dem Ende der DDR dabei halfen, den Flugverkehr zwischen Westdeutschland und West-Berlin zu gewährleisten. Boeing nahm sich ein Herz. Das Unternehmen hat mit Iran einen Vertrag für den Verkauf von mindestens dreißig Mittelstreckenjets abgeschlossen. Gegenüber der Regierung von Donald Trump hat Boeing argumentiert: Der neue Präsident habe doch gesagt, amerikanische Arbeitsplätze müssten gesichert werden. Mit den Verkäufen von Flugzeugen an Iran könne Boeing Tausende Arbeitsplätze in den USA garantieren. Davon abgesehen, war der Verkauf von Passagierjets auch zu Zeiten der Sanktionen nicht verboten. Aber weil Donald Trump sehr meinungsstark ist, wollte das Unternehmen Boeing sich absichern.

Die iranischen Technokraten möchten viel Öl und Gas fördern

Soweit bekannt, hat die jetzige US-Regierung keinen Einspruch gegen der Verkauf der Flugzeuge eingelegt. Mittlerweile müsste eines in Teheran eingetroffen sein. Weil die Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan aus europäischer Sicht etwas schwierig ist und weil es in Istanbul schreckliche Attentate gegeben hat, bleiben die Touristen aus. Die Türkei brauchte die bestellte Boeing-Maschine nicht mehr. Also hieß es, sie werde umgehend nach Teheran geliefert. Darüber hinaus gibt es Kaufabkommen mit Airbus und dem italienisch-französischen Konsortium ATR, das Regionalflugzeuge produziert. Auch in Sachen Ölförderung und Gasförderung will Iran weiterkommen. Ohne Investitionen aus dem Ausland wird nicht viel passieren. Der französische Konzern Total ist diesbezüglich als "Vorreiter" beschrieben worden. Total hat in den USA wenig Anliegen. Deshalb kann der Konzern nicht viel verlieren, falls versehentlich der Name eines Mannes in einem Vertrag steht, der in den USA auf der Roten Liste steht.

Die iranischen Technokraten würden gern zweigleisig fahren. Einerseits möchten sie viel Öl und Gas fördern. Und dann, zum anderen, überlegen sie, wie sie Solarenergie fördern und dem Wassermangel begegnen können. Iran ist reich, aber es wird immer trockener. Grüne Pflanzen sind in Iran Freude und Stolz der Bürger. Während in afrikanischen Ländern Fettleibigkeit von Kraft und Wohlstand zeugt, ist es in Iran der Garten. In den großen Städten und an den Ausfallstraßen stehen kunstvoll beschnittene Koniferen. Gleich danach wird es aber vielerorts wüstenartig karg. Binnen kurzer Zeit wird Wassermangel Irans größtes Problem sein, möglicherweise größer als politischer Streit.

Man versucht, den Landwirten nahezulegen, nicht mehr anzubauen, was viel Wasser verschlingt: Reis und Obst. Stattdessen sollten sie sich auf Produkte verlegen, die auf trockenem Boden gut gedeihen und sich übrigens auch sehr gut auf dem Weltmarkt verkaufen: Safran und Pistazien sind die Favoriten. Iran ist das Land des Safrans. Der echte, dunkelrote iranische Safran sei Goldes wert, so wird erzählt. Der Westen sollte verstehen, dass Iran nicht von Hinterwäldlern bewohnt wird. Er ist, metaphorisch gesagt, ein Land aus Gold und Safran.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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