Ermittlungen:Texanischer Fluch

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Exxon Mobil soll die Öffentlichkeit belogen haben. Jetzt ermittelt der New Yorker Generalstaatsanwalt.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Der Niedergang der US-Zigarettenindustrie begann Mitte des vergangenen Jahrhunderts mit einer infamen Lüge. Obwohl längst Hinweise, später gar Belege auf dem Tisch lagen, dass Tabakkonsum Krebs und andere üble Krankheiten auslösen kann, bewarben die Konzerne ihre Produkte weiterhin als edel, bekömmlich und fitnessfördernd. Auch bezahlten sie Experten für Studien, in denen die Gefahren des Rauchens geleugnet wurden. Am Ende standen Schadenersatzzahlungen und Geldbußen in zigfacher Milliardenhöhe: an todgeweihte Ex-Kunden, an deren Hinterbliebene, an die Staatskasse.

Ist nun die Öl-Industrie die nächste Branche, die diesen Weg geht? Noch ist die Antwort offen, Tatsache jedoch ist, dass der New Yorker Generalstaatsanwalt Eric Schneidermann Ermittlungen gegen den Energieriesen Exxon Mobil eingeleitet hat. Der Vorwurf: Das Unternehmen mit Sitz in Texas soll die Öffentlichkeit und die Aktionäre jahrzehntelang über die ökologischen Folgen seines Tuns belogen haben. Außerdem habe es für Gutachten gezahlt, in denen der Klimawandel bestritten wird.

Exxon stellt pro Tag mehr als 900 Millionen Liter Benzin und andere Kraftstoffe her und liefert damit den Ausgangsstoff für jene Kohlendioxidemissionen, die den Treibhauseffekt besonders rapide befördern. Seit einigen Jahren schon versucht sich der Konzern ein grüneres Image zu geben, indem er beispielsweise verstärkt in die Förderung von Erdgas investiert. Auch hat sich Konzernchef Rex Tillerson mehrfach für die Einführung einer aufkommensneutralen CO₂-Steuer ausgesprochen. Doch das war nicht immer so. Nach Recherchen der Los Angeles Times und einiger Fachblätter hatten Exxon schon in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts eindeutige Hinweise darauf, dass die Verwendung fossiler Brennstoffe wie Kohle und Öl das Weltklima verändert. Der Konzern hielt die Informationen jedoch zurück.

Die Küste von Kivalina in Alaska. Große Sandsäcke schützen sie. (Foto: Mary Sage/AP)

Schneidermann wirft dem Energieriesen deshalb vor, gegen Verbraucherschutzbestimmungen verstoßen und die Aktionäre über mögliche Kosten zur Begrenzung des Klimawandels - und damit über den wahren Wert ihrer Firma - belogen zu haben. Der Generalstaatsanwalt ist für sein aggressives Vorgehen gegen Unternehmen bekannt, wobei nicht jede Untersuchung am Ende auch zu einer Verurteilung führte. Die mögliche Irreführung der Aktionäre nimmt in den Ermittlungen vor allem deshalb breiten Raum ein, weil Schneidermann bei Finanzdelikten über besonders weitgehende Kompetenzen verfügt. Seine Behörde gehört auch zu denjenigen US-Regierungsstellen, die wegen des Vorwurfs manipulierter Abgastests derzeit gegen den Autobauer VW ermitteln.

Laut New York Times hat Schneidermann Exxon unter Strafandrohung aufgefordert, alle Dokumente, E-Mails und sonstigen Unterlagen herauszugeben, die mit den Vorwürfen in Zusammenhang stehen könnten. Da sich die Zeitspanne, um die es geht, über beinahe 40 Jahre erstreckt, dürfte es dauern, bis alle Beweismittel zusammengetragen und ausgewertet sind. Nach Informationen der Zeitung könnte die Untersuchung auf weitere Energiekonzerne ausgedehnt werden. Auch gegen Peabody Energy, den größten Kohleproduzenten des Landes, sei bereits ermittelt worden.

Greenpeace wirft der Industrie vor, den Klimawandel über Jahre hinweg geleugnet zu haben

Umweltgruppen begrüßten das Vorgehen des Generalstaatsanwalts. Es gehe darum "die Scheinheiligkeit von Herstellern fossiler Brennstoffe wie Exxon Mobil zu entlarven" erklärte ein Greenpeace-Sprecher. Die Ölindustrie müsse endlich "dafür in Haftung genommen werden, dass sie den Klimawandel jahrzehntelang gegenüber der Öffentlichkeit geleugnet und notwendige Gegenmaßnahmen blockiert hat". Ähnlich äußerte sich Bill McKibben vom Umweltportal 350.org. Beide forderten die Generalstaatsanwaltschaften anderer US-Bundesstaaten sowie die Börsenaufsicht SEC auf, sich Schneidermanns Ermittlungen anzuschließen. Auch eine Reihe demokratischer Spitzenpolitiker, darunter die Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Bernie Sanders, hatten in den vergangenen Wochen bereits eine Untersuchung der Vorwürfe verlangt.

Exxon selbst hält die Kritik für völlig unbegründet. "Wir weisen den Vorwurf, Exxon Mobil habe die Klimaforschung behindert, unmissverständlich zurück", sagte ein Sprecher. Der Konzern habe sich im Gegenteil beinahe 40 Jahre lang auf dem Gebiet engagiert und sei in renommierten Gremien, etwa jenen der Vereinten Nationen, vertreten. Chef-Justitiar Kenneth Cohen sagte mit Blick auf die Aktionäre, das Unternehmen sei stolz auf seine stets transparente Informationspolitik.

So sehr Konzernchef Tillerson Exxon in den vergangenen zehn Jahren verändert hat, so sehr ist und bleibt er zugleich davon überzeugt, dass die Welt sich mit dem Klimawandel arrangieren sollte, statt auf die Verwendung etablierter Energieträger wie Öl und Kohle zu verzichten. Wenn es ernst werde, so hat Tillerson schon bei mehreren Gelegenheiten zu Protokoll gegeben, habe die Menschheit noch immer eine technologische Lösung gefunden und sich an die neue Situation angepasst. Sie werde also auch mit einem steigenden Meeresspiegel fertig werden.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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