Entsorgungswirtschaft:Billige Müllmänner gesucht

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Die Praxis vieler Kommunen, den Müll grundsätzlich vom billigsten Anbieter entsorgen zu lassen, hat in der Branche zu einem ruinösen Wettbewerb geführt. Mancher Müllfahrer erhält nur noch 4,80 Euro pro Stunde - Tarif wären elf Euro.

Von Thomas Hummel

Im Sommer stieg auch Tönsmeier aus dem Tarifverbund aus. Das Entsorgungsunternehmen aus Porta Westfalica in Nordrhein-Westfalen weiß selbst nicht mehr, wie viele Jahre es sich zuvor an die tariflichen Vereinbarungen gehalten hatte.

Müllwerker bei Betätigung der Hebe-Hydraulik. (Foto: Foto: ddp)

Jürgen Tönsmeier, geschäftsführender Gesellschafter, ist bis heute im Vorstand des Arbeitgeberverbands BDE, und dennoch ließ er sein Unternehmen o. T. stellen - ohne Tarifbindung.

Es war ein weiteres Zeichen für die prekäre Lage im Müllgewerbe. Denn nicht nur Tönsmeier ist nicht mehr bereit, die bisherigen Löhne zu bezahlen.

Warnstreiks

Grund sind ein enormer Wettbewerb und die Praxis vieler Kommunen und des Dualen System Deutschland (DSD), bei der Vergabe von Aufträgen grundsätzlich dem billigsten Anbieter den Zuschlag zu geben. Die Gewerkschaft Verdi reagierte am Rande der aktuellen Tarifverhandlungen mit Warnstreiks.

Und das in einer Branche, die in den neunziger Jahren Wachstumsraten bis zu 15 Prozent erlebt hatte. Vor allem der Ausbau des Dualen Systems führte zu steigenden Einnahmen.

Auch Kommunen waren eher bereit, den Auftrag einem genehmen Anbieter zu geben, selbst wenn das dazu führte, von den Bürgern höhere Gebühren verlangen zu müssen.

Die Situation auf dem Entsorgungsmarkt hat sich seither stark verändert. Die Abfallmengen in Deutschland sind kontinuierlich gesunken, 1995 mussten noch 36 Millionen Tonnen verarbeitet werden, 2003 nur noch etwa 25 Millionen Tonnen.

Umsatzrückgang

Entsprechend ging der Umsatz der Branche zurück, vom Spitzenwert 1996 mit 41 Milliarden Euro auf 37 Milliarden Euro im Jahr 2003. Der Marktanteil von privaten Entsorgern liegt inzwischen bei etwas mehr als 50 Prozent.

Der BDE vertritt etwa 900 Unternehmen, der zweitgrößte Verband BVSE etwa 600. Dazu kommen die kommunalen Abfallentsorger - der Wettbewerb ist groß.

Die Kommunen sind bei der Vergabe von Aufträgen "heute angehalten, auf den Preis zu achten", sagt ein Sprecher des Deutschen Städtetags. Im Müllgewerbe unterliegen Städte und Landkreise nicht dem Tariftreuegesetz; sie können also Aufträge an Unternehmen vergeben, die weniger als den Tariflohn bezahlen.

"Das wird auch so gemacht", berichtet der Sprecher des Kommunalverbands. Die Vergabepraxis des DSD, das die Entsorgung von Verpackungsmaterial regelt, hat sich ebenfalls grundlegend gewandelt.

Auf Druck des Bundeskartellamts wurden die Aufträge 2003 öffentlich ausgeschrieben, doch die Premiere wurde ein Fall für den Staatsanwalt. In etwa der Hälfte der Regionen hätte nur ein Unternehmen ein Angebot abgegeben, die Preise seien dort im Vergleich um 70 Prozent höher gewesen.

Wegen Verdachts auf verbotene Preisabsprachen laufen derzeit noch Betrugsverfahren. Das DSD wiederholte im April 2004 in vielen Regionen die Ausschreibung und führte wieder auf Druck des Kartellamts neue Regeln ein, die die Position von kleinen, beweglichen Betrieben stärkte.

Große Anbieter verlieren Marktanteile

Zum ersten Mal vergab das DSD die Aufträge für das Sammeln und Sortieren des Mülls getrennt. Das führte dazu, dass große Konzerne Marktanteile abgeben mussten, nach Branchenexperten verlor etwa Marktführer RWE Umwelt mehr als vier Millionen Haushalte.

Doch die Trennung der Aufträge erhöht auch die Kosten, weil der Sammler dem Sortierer den Müll auf einem Umschlagplatz übergeben muss.

Dazu galt für die DSD-Auftragsvergabe vor allem ein Kriterium: "Nur der Preis zählte", meint eine BDE-Sprecherin. Firmen ohne Tarifbindung waren im Vorteil.

4,80 Euro pro Stunde

"In Sachsen zum Beispiel gibt es Unternehmen, da erhalten Müllfahrer heute 4,80 Euro pro Stunde - Tarif wären 11 Euro", sagt Erich Mendroch von Verdi. Die Gewerkschaft spricht von einem "ruinösen Wettbewerb"; die Beschäftigten wollten dafür nicht länger den Kopf hinhalten.

3,9 Prozent mehr Lohn sollte es deshalb für die 160.000 Mitarbeiter in der Branche geben. Christian Jeschonek vom BDE konterte: "Man muss schon von dieser Welt sein, wenn man Tarifverhandlungen führt."

Verdi treibe die Tarifflucht weiter voran. Der BVSE fordert dagegen eine staatliche Regulierungsbehörde wie etwa im Bereich Telekommunikation, um den Preisverfall zu stoppen.

Verhandlungsparteien glauben an Ergebnis

Am heutigen Mittwoch gehen die Verhandlungen in Berlin in die vierte Runde und trotz der verbalen Angriffe zu Beginn glauben die Partien an ein Ergebnis.

Im Zentrum soll eine Öffnung des Tarifvertrags für innerbetriebliche Lösungen stehen. So, wie es bei Tönsmeier seit diesem Sommer schon gemacht wird.

© SZ vom 20.10.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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