Entgleisung von Ifo-Chef:"Herr Sinn ist nicht bei Sinnen"

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Politiker und Religionsvertreter sind empört über Hans-Werner Sinns Gleichsetzung von Judenverfolgung und Managerkritik. Auch Forderungen nach dem Rücktritt des Ifo-Chefs werden laut.

Wegen seines Vergleichs der aktuellen Managerkritik mit der Judenverfolgung bleibt der Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn stark in der Kritik. Auch erste Rücktrittsforderungen werden laut.

Mit seinem Vergleich der Kritik an Finanzmanagern und der Judenverfolgung hat sich Ifo-Chef Hans-Werner Sinn in die Nesseln gesetzt. (Foto: Foto: dpa)

Sinn solle sich "schleunigst für seine Entgleisung entschuldigen oder als Ifo-Chef abtreten", sagte der saarländische SPD-Landeschef Heiko Maas in Saarbrücken. "Wer die Anfänge des Holocaust verharmlost, muss die Konsequenzen tragen", mahnte der SPD-Politiker. Die Entgleisungen des Leiters des Münchner Ifo-Instituts seien "inakzeptabel und unverantwortlich".

Sinn hatte in der Diskussion um die Verursacher der Finanzkrise die Wirtschaftsführer in Schutz genommen. Sinn sagte dem Berliner Tagesspiegel: "In jeder Krise wird nach Schuldigen gesucht, nach Sündenböcken." In der Weltwirtschaftskrise von 1929 "hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager".

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Michael Müller (SPD), nannte den Vergleich eine "unhistorische Brandstiftung". Es müsse ernsthaft geprüft werden, ob Sinn, "der den Finanzkapitalismus stets anfeuerte" und "in sozialen Leistungen ein Teufelswerk sah", noch mit einer öffentlichen Aufgabe betraut werden könne.

"Beispiellose Geschmacklosigkeit"

Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, forderte Sinn auf, seine Aussagen "so schnell wie möglich ohne Wenn und Aber zurückzunehmen und sich zu entschuldigen". Der Vergleich sei "empörend, absurd und absolut deplatziert, eine Beleidigung der Opfer", sagte Kramer der Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung. "Mir wäre neu, dass Manager geschlagen, ermordet oder ins Konzentrationslager gesperrt würden."

In der Leipziger Volkszeitung sagte Kramer, mit seinen "völlig abstrusen Thesen" gebe der Ifo-Chef auch jenen recht, die seit Wochen behaupteten, die Juden hätten die Schuld für die gegenwärtige Finanzkrise. Damit schüre Sinn den bestehenden Antisemitismus und die Vorurteile gegenüber Juden. Sinn verspiele mit seinen leichtfertigen Äußerungen auch sein Ansehen und seine Seriosität als Wirtschaftswissenschaftler.

Ansgesichts der Äußerungen des Ifo-Chefs habe man den Eindruck, "Herr Sinn ist nicht bei Sinnen", sagte der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), dem Kölner Stadtanzeiger. Es sei ein starkes Stück, dass Sinn Antisemitismus mit berechtigter Kritik an manchen Bankenvertretern verwechsele. "Bankmanager, die für Fehlleistungen verantwortlich sind, werden bekanntermaßen nicht wegen ihres religiösen Glaubens, sondern wegen ihres Handelns kritisiert", betonte Edathy.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, sprach in Berlin von einer "beispiellosen Geschmacklosigkeit". Auch er forderte Sinn auf, seine Äußerung zurückzunehmen. "Die Wirtschaftskompetenz von Herrn Sinn mag in der Fachwelt strittig sein. Seine Geschichtsvergessenheit ist ab heute unumstritten."

Der SPD-Wirtschaftsexperte Rainer Wend bezeichnete Sinns Äußerungen im Kölner Stadtanzeiger als "Schwachsinn".

Die evangelische Landesbischöfin Margot Käßmann sagte der in Hannover erscheinenden Neuen Presse: "Die Juden waren die Opfer, bei den Banken wird zu Recht nach Verantwortlichen gefragt. Es ist unverantwortlich da irgendeinen Vergleich zu ziehen."

Käßmann sagte, sie kenne Sinn als klugen Mann. "Mir ist aber völlig unverständlich, wie jemand die menschenverachtende und zerstörerische nationalsozialistische Ideologie des Antijudaismus, die Millionen Menschen ermordet hat, in eine Verbindung mit der Frage nach den Verantwortlichen in der aktuellen Bankenkrise bringen kann."

Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel nannte den Vergleich "historisch und ökonomisch unsinnig". "Die Juden sind im Klima der Weltwirtschaftskrise zu den Sündenböcken ernannt worden", sagte Hickel der Nachrichtenagentur dpa. Dies sei eine Diffamierungskampagne gewesen, die auch zur massenhaften Verfolgung und Vernichtung der Juden geführt habe. "Ökonomisch irrt Herr Sinn, wenn er die Bankenmanager vom Vorwurf des Missmanagements freisprechen will."

© AFP/AP/ddp-bay/dpa/gal/lala/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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