Edeka-Tengelmann:Gekämpft oder verkämpft?

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Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel will die Fusion der Supermarktketten Edeka und Tengelmann durchsetzen, um Arbeitsplätze zu retten. Doch die Kritik wächst: Womöglich missachtet er dabei seinen eigentlichen Auftrag - das Wohl der Allgemeinheit.

Von Varinia Bernau und Katja Riedel, Berlin/Düsseldorf

Der Weg, den eine Suppe zurücklegt, ehe sie im Korb des Kunden landet, ist weit - und unübersichtlich. Mit der Kassiererin wechseln die meisten noch ein paar Worte. Der Fahrer des Lkw, der Fabrikarbeiter, der die Zutaten zusammenrührt, der Bauer, der das Gemüse anbaut - all diese Menschen, ihre Arbeit und ihre Lebensumstände bleiben für den Kunden im Laden unsichtbar.

Auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat sie nicht im Blick, wenn er nun im Fall Edeka-Tengelmann von der Rettung von Arbeitsplätzen spricht. Per Ministererlaubnis will er die Fusion der Supermarktketten Edeka und Kaiser's Tengelmann genehmigen. Doch dies geht nur, wenn der Zusammenschluss dem Gemeinwohl dient. Deshalb tobt nun ein Streit darüber, was dieses Gemeinwohl ist. Darüber, ob es zulässig ist, dass der Minister für 16 000 Menschen in den Supermärkten, Lagern und Fleischwerken von Tengelmann kämpft - aber nicht für all jene, die auch betroffen sind, wenn Edeka, die größte Supermarktkette, noch stärker werden darf. Gefährdet der Retter vielleicht anderswo Arbeitsplätze, bei Lebensmittelproduzenten, bei Lieferanten, ja sogar im bisherigen Edeka-Verbund selbst?

Gabriel, so sagt er es selbst, will schaffen, was kein Wirtschaftsminister zuvor geschafft hat: Neun Mal erteilten Amtsvorgänger eine solche Ministererlaubnis; kein einziges Mal ging es dabei nur um die Arbeitsplätze bei den fusionierenden Unternehmen. Etwa 1977 bei der Übernahme von Hüller-Hille durch Thyssen: Das Bundeswirtschaftsministerium betonte, dass der Zweck "nicht die Erhaltung von konkreten Arbeitsplätzen bei einzelnen Unternehmen" sein könne. Es gehe vielmehr darum, die Beschäftigung insgesamt zu sichern - also auch Arbeitsplätze bei Wettbewerbern, Geschäftspartnern und Dienstleistern. Auch als der Baumaschinenkonzern IBH 1981 mit einer Ministererlaubnis Widau übernahm, mussten andere Argumente her. Denn, so schrieb das Ministerium damals, die erlangte Marktmacht "kann sehr wohl in gleichem oder höherem Maße bei den konkurrierenden Betrieben Arbeitsplätze gefährden".

Die Kritik, dass Gabriel gegen solche Auflagen der Ministererlaubnis verstoßen habe, wird schärfer. In dieser Woche hatten die Grünen den SPD-Minister in einer Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses befragen wollen. Als dies scheiterte, luden sie zu einer Pressekonferenz. Im Mittelpunkt: der Gemeinwohlaspekt, der nur in Bezug auf die fusionierenden Unternehmen, nicht aber mit Blick auf andere Händler, Lieferanten oder Verbraucher geprüft worden sei. Es gebe "offensichtliche Versäumnisse im Abwägungsprozess" des Ministers. Weil ein verbindliches Angebot des Konkurrenten Rewe nicht berücksichtigt worden sei, der versprach, mehr Arbeitsplätze zu erhalten. Aber auch, weil das Ministerium nicht überprüft hat, ob dort, wo es Filialen von Edeka und Tengelmann gibt, etwa ein Edeka-Markt geschlossen werden könnte.

Mit seiner Ministererlaubnis zur Fusion von Edeka und Tengelmann hat Sigmar Gabriel viele vor den Kopf gestoßen, Landwirte, Verbraucherschützer und sogar Parteifreunde. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Zudem, kritisieren die Grünen, wollte das Ministerium keine Auflagen diktieren, die Zulieferer hätten schützen können, weil es dies für eine "unzulässige Verhaltenskontrolle" hält. Dass Gabriel aber auf der anderen Seite Edeka und Tengelmann Bedingungen diktierte, die eine Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft Verdi vorschreiben, empört die Grünen. Denn es gibt zwar ein Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, aber keine Pflicht. Das hatte bereits das Oberlandesgericht in Düsseldorf in einem Eilbeschluss betont - und damit begründet, warum es die Fusion vorerst stoppte. Für die Grünen ist klar: Gabriel habe mehr als gewerkschaftsnaher SPD-Vorsitzender denn als Wirtschaftsminister gehandelt.

Warnungen kamen schon, als im Ministerium noch geprüft wurde, ob eine Ministererlaubnis möglich wäre. In dieser Woche wurden interne Papiere bekannt, die aus Gabriels eigenem Haus stammten und aus dem Bundesarbeitsministerium. Dort ging es unter anderem um "verfassungsrechtliche Probleme", die mit genau diesen nun auch von den Grünen kritisierten Auflagen zu tun hatten, zitierte die FAZ.

Dokumente, die der Süddeutschen Zeitung und dem WDR vorliegen, zeigen eine große Skepsis bei vielen, die sich im Wirtschaftsministerium meldeten, weil sie sich von der geplanten Fusion betroffen fühlten. Selbst Parteifreunde warnten den Minister.

"Edeka könnte mithin ohne Weiteres eigene Filialen überall dort schließen, wo es zu Überschneidungen im Filialnetz kommt", schreibt etwa eine vom Markenverband beauftragte Kanzlei und führt in einer umfangreichen Stellungnahme auch aus, warum sie dieses Szenario für realistisch hält: So hatte Tengelmann selbst immer wieder eingeräumt, dass viele der nun zu verkaufenden Filialen seit Langem Verluste schreiben. "Man muss sich fragen, wie die Edeka bei dieser Situation - außer durch den Arbeitsplatzabbau bei der Edeka selbst - Synergien heben will, um damit die vereinbarten 250 Millionen Euro Kaufpreis zuzüglich der Beraterhonorare in mehrfacher Millionenhöhe und den behaupteten Sanierungsbedarf der Filialen rechtfertigen zu können."

Auch eine andere Möglichkeit, diese hohen Kosten wieder reinzuholen, haben die Anwälte des Markenverbands im Blick - nur ist es eine, die nach ihrer Einschätzung die Allgemeinheit teuer zu stehen kommen würde: Sie fürchten, dass Edeka den Druck auf die Lieferanten erhöht. Bereits nach der Übernahme der Plus-Filialen im Jahr 2009 habe Edeka bei seinen Lieferanten Preisnachlässe in Höhe von 300 bis 400 Millionen Euro durchsetzen können, heißt es in der Stellungnahme.

Beim Bauernverband fragt man sich: Warum wurde das Filialnetz von Tengelmann nicht aufgeteilt?

Es ist diese Sorge, die auch Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) dazu bringt, im Juli 2015 einen Brief an seinen Parteifreund zu schreiben. Er erinnert ihn daran, dass man sich doch gemeinsam zum Ziel gesetzt habe, bessere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie durchzusetzen. "Schon jetzt halte ich die Marktmacht der großen Lebensmitteleinzelhändler gegenüber der Ernährungswirtschaft (. . .) für bedenklich." Die per Ministererlaubnis ermöglichte Fusion von Edeka und Tengelmann mache die Sache gewiss nicht besser. Im Gegenteil. Der Kampf um Marktanteile werde über den Preis ausgefochten, was auf die gesamte Lieferkette durchschlage, betont auch Elvira Drobinski-Weiß, verbraucherpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, in einem Brief an Gabriel. "Letztlich geht dies zu Lasten der Qualität."

In einigen Regionen hatte es durchaus auch andere Interessenten gegeben: Hätten diese für einzelne Teile des Filialnetzes den Zuschlag erhalten, so betonte der Bauernverband in einer Stellungnahme, hätte die Macht der Einzelhändler kaum zugenommen. Mit der Ministererlaubnis, die nun den Verkauf des gesamten Filialnetzes an Edeka ermöglichen soll, drohe hingegen "eine akute Gefahr für die weitere Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen in der Lebensmittellieferkette, die nicht zuletzt zu Lasten landwirtschaftlicher Erzeuger als erste Stufe dieser Kette geht".

Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub hat nie verhehlt, dass er das Filialnetz als Ganzes verkaufen wolle. Mehr noch: Er hat offen mit einer Zerschlagung gedroht - und damit, Filialen, für die sich kein Käufer finden würde, in die Insolvenz zu schicken. Mit dem Bieter Rewe, der entweder allein oder dem Vernehmen nach gemeinsam mit dem Schweizer Lebensmittelhändler Migros Interesse an einer Gesamtübernahme hat, wollte Haub nicht verhandeln.

Durfte Gabriel dieses Wissen kümmern? Sein Ministerium sagt, dass er nicht für Verkaufsverhandlungen zuständig sei. Zuständig wäre er aber dafür, zu prüfen, ob es Alternativen zum Verkauf an Edeka gibt - und dabei strikt nach der Papierform zu entscheiden, nämlich dem Vorhandensein anderer Bieter. Sonst muss er sich die Frage gefallen lassen: Handelt der Wirtschaftsminister im Sinne der Allgemeinheit oder hat er sich erpressen lassen?

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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