Durchbruch bei der Welthandelsrunde:Industrieländer wollen Agrarsubventionen abbauen

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Der jahrelange Streit zwischen Arm und Reich ist beendet: Die Industrieländer haben bei einem Treffen der WTO in Genf zugesagt, handelsverzerrende Agrarzuschüsse abzuschaffen, eine der Hauptursachen für Armut in der Dritten Welt. Und auch Deutschlands Wirtschaft könnte vom fairen Welthandel profitieren.

Von Marc Beise

Es ist noch einmal gut gegangen. Allen Unkenrufen zum Trotz haben die Handelsdiplomaten aus aller Welt am Wochenende ein Scheitern der Genfer Verhandlungen abwenden können. Das mag überraschend sein für jene, die die Krisenmeldungen der vergangenen Tage ("WTO vor dem Ende") allzu ernst genommen haben.

Demonstranten klagen im Genfer See die reichen Industriestaaten an. (Foto: Foto: AP)

Langjährige Beobachter von Welthandelsrunden dagegen wissen, dass Krisengerede hier zur Dramaturgie gehört. In Genf gab es nun eine wichtige Weichenstellung: Die Verhandlungen gehen weiter. Damit bleibt die Möglichkeit bestehen, die so genannte Doha-Runde bis Ende 2005 abzuschließen. Wäre die Einigung auf ein Rahmenabkommen jetzt mißlungen, hätten sich die Verhandlungen durch die Präsidentenwahlen in den Vereinigten Staaten und die Neubesetzung der EU-Kommission um mindestens ein halbes Jahr verzögert.

Eine fragwürdige Strategie

Dass die Handelsrunde zeitlich so nahe an die Wahlen der Supermacht USA rücken würde, hatte sich im Dezember 2001 kaum jemand der 7000 Delegierten in Doha, der Hauptstadt Katars, vorstellen können. In den gesichts- und fensterlosen Hotelburgen am Persischen Golf war damals - ebenfalls in einem Nächte währenden zähen Ringen - eine neue, neunte Welthandelsrunde auf den Weg gebracht worden, die den Welthandel weiter liberalisieren und damit die Wohlfahrt in möglichst vielen Staaten erhöhen sollte.

Es geht dabei um viel Geld. 2,8 Billionen Dollar könnten bei einem Erfolg der Doha-Runde in die globale Wirtschaft fließen - vorausgesetzt, weitere Zollbarrieren und andere Handelsbeschränkungen fallen, mit denen viele Bereiche von der Landwirtschaft bis zu den Dienstleistungen vor missliebiger Konkurrenz geschützt werden sollen.

Eine fragwürdige Strategie: Indem die Staaten die eigenen Produzenten und Verbraucher schützen wollen, schaden sie nach Ansicht fast aller unabhängigen Experten vor allem sich selbst. Der Abbau aller Handelsschranken würde zwar nicht die Armut in der Welt beenden, aber nach einer neueren Studie aus den USA die Zahl der Armen um eine halbe Milliarde Menschen senken. Erst recht profitieren natürlich exportstarke Länder.

Wenn alle Industriestaaten, so eine andere Rechnung, die Hürden im internationalen Handel beseitigen würden, läge allein die deutsche Wirtschaftsleistung um 40 Milliarden Euro höher als heute. Entsprechend begeistert fällt das Urteil der deutschen Wirtschaft über die weitgehende Liberalisierung des Welthandels seit dem Zweiten Weltkrieg aus. Möglich wurde sie durch einen internationalen Vertrag von 1947 namens Zoll- und Handelsabkommen (Gatt), der über Jahrzehnte von einem kleinen Sekretariat in Genf administriert wurde.

Die Entwicklungshelfer werden immer selbstbewusster

Weil die wachsende internationale Verflechtung ("Globalisierung") einen immer größeren organisatorischen und rechtlichen Aufwand zur Folge hatte, war 1995 eine regelrechte Welthandelsorganisation (WTO) gegründet worden, ausgestattet mit einem vergleichsweise effektiven Streitbeilegungssystem. Erstmals schien Recht über Macht zu triumphieren, und auch die kleineren Staaten kamen stärker als früher zu ihrem Recht.

Heute stellen die Entwicklungsländer mehr als 100 der 147 WTO-Mitglieder, und ihre Wortführer wie Indien und Mexiko werden immer selbstbewusster; vom Neu-Mitglied China ganz zu schweigen. Allerdings: Auch wenn das Prinzip der Einstimmigkeit gilt, bleiben die führenden Wirtschaftsnationen der Welt weiter dominant. Ohne die USA und die Europäische Union (die wiederum die Interessen so einflussreicher Mitglieder wie Frankreich oder Deutschland ausgleichen muss) läuft nichts in der WTO. Schlimmer noch: Ihre bilateralen Streitigkeiten belasten das System immer wieder auf das heftigste.

Eine ganz andere, eher schleichende Gefahr geht von Handelsverträgen zwischen einzelnen Staaten oder Staatengruppen aus, wie sie seit einigen Jahren massiv in Mode sind. Dieser Regionalismus könnte der Tod des multilateralen WTO-Ansatzes sein. Ob es allerdings so weit kommt, wird sich nicht in Monaten entscheiden und vielleicht nicht einmal in Jahren. Denn die Mühlen der internationalen Politik mahlen langsam.

Ein US-Vertreter betonte, der Kompromiss sei ein Gewinn für alle Beteiligten, von Exporteuren über Konsumenten bis hin zu den Entwicklungs- und Industrieländern. Der indische Handelsminister Kamal Nath sagte, sein Land erwarte von der Einigung einen Impuls zu einem vollständigen Abbau der Agrarsubventionen, die Entwicklungsländer benachteiligten.

300 Milliarden Dollar Subventionen für Getreide aus den USA und der EU

Die Landwirtschaft ist seit jeher der zentrale Streitpunkt der WTO-Länder. Schon die Konferenz von Cancún in Mexiko war im vergangenen September an diesem Thema gescheitert: Reiche und arme Ländern, große und kleine Agrarexporteure haben hier sehr unterschiedliche Interessen.

Die USA, Japan und EU-Staaten subventionieren ihre Produkte von Baumwolle bis Getreide jedes Jahr mit mehr als 300 Milliarden Dollar. Ihre Bauern können damit auf dem Weltmarkt billig anbieten, die Entwicklungsländer können nicht konkurrieren und bleiben auf ihren Erzeugnissen sitzen. Den armen Ländern entgehen nach Berechnungen des in Washington angesiedelten Internationalen Instituts für Lebensmittelforschung (IFPRI) jährlich 40 Milliarden Dollar durch die Subventionspolitik der Reichen.

Viele Details fehlen noch

Der Kompromiss ist jedoch noch kein endgültiges Dokument. Vielfach fehlen genaue Vorgaben oder Termine, zu denen Subventionen oder Handelshemmnisse abgebaut werden müssen. Diese müssen in den kommenden Monaten ergänzt werden. Generell wird davon ausgegangen, dass dies vor den US-Präsidentschaftswahlen erreicht werden muss. Wenn es in Washington zu einem Regierungswechsel kommt, muss sich die neue Administration erst in die Thematik einarbeiten muss. Ähnliches gilt für die EU-Kommission, die im November wechselt.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) begrüßte das Ergebnis. "Ich freue mich, dass die WTO-Mitglieder die Chance genutzt haben, noch vor den Wahlen in den USA und dem Wechsel der Europäischen Kommission einen substanziellen Fortschritt der Welthandelsrunde zu erreichen. Das ist wichtig für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland", erklärte Clement. Der Erfolg stärke das multilaterale Handelssystem und den freien Welthandel, auf den Deutschland als exportorientiertes Land in besonderem Maße angewiesen sei.

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