Drastischer Wirtschaftseinbruch:Deutschland vor dem Extrem-Abschwung

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Dramatik pur in zwei Ziffern: Deutschlands führende Konjunkturforscher sehen die Wirtschaft nach SZ-Informationen um 6,0 Prozent einbrechen, die Prognosen von IWF und Regierung sind ähnlich pessimistisch. Die Folgen: ein rasanter Anstieg der Verschuldung - und der Arbeitslosigkeit.

G. Bohsem u. Th. Öchsner

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten für Deutschland in diesem Jahr den stärksten Konjunktureinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Nach ihrer Prognose wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP), also der Wert aller im Inland hergestellten Waren und erbrachten Dienstleistungen, 2009 um 6,0 Prozent schrumpfen. Dies geht aus dem Frühjahrsgutachten der Institute hervor, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt und am Donnerstag offiziell veröffentlicht wird. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt der Internationale Währungsfonds (IWF). Er sagt ein Minus der deutschen Wirtschaftsleistung von 5,6 Prozent voraus.

Arbeiter von Hochtief in Köln: Einer Prognose der führenden Forschungsinstitute zufolge soll die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um sechs Prozent schrumpfen. (Foto: Foto: dpa)

Die deutsche Wirtschaft befinde sich "in der tiefsten Rezession seit Gründung der Bundesrepublik", heißt es in dem Gutachten der acht Institute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Am schlimmsten werden demnach die Monate April bis Juni: Die Forscher rechnen für das zweite Quartal mit einem BIP-Minus von 8,2 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum im Vorjahr, weil Investitionen und Ausfuhren der Unternehmen dramatisch zurückgehen.

Auch Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte, die deutsche Wirtschaft dürfte in diesem Jahr um mindestens fünf Prozent schrumpfen.

Auch für das nächste Jahr haben die Institute wenig Hoffnung: "Für 2010 ist nicht mit einer durchgreifenden Erholung zu rechnen", lautet ihre Voraussage. Die Abwärtsdynamik werde zwar nachlassen, trotzdem werde das Wachstum um 0,5 Prozent sinken. Etwas pessimistischer ist der IWF: Er sieht das Wachstum in Deutschland im nächsten Jahr um etwa ein Prozent schrumpfen. Treffen die Annahmen zu, wäre die deutsche Volkswirtschaft auf das Niveau der neunziger Jahre zurückgeworfen.

Maastricht-Kriterien wohl unerreichbar

Düster fällt die Prognose der Wirtschaftsforschungsinstitute auch für den Arbeitsmarkt aus: In diesem Jahr rechnen die Forscher mit einem Verlust von mehr als einer Million Arbeitsplätzen. Im Herbst werde die Arbeitslosigkeit die Marke von vier Millionen Menschen überschreiten und Ende 2010 knapp unter fünf Millionen liegen, so das Gutachten. Der Prognose zufolge werden die Arbeitslosenzahlen damit auf durchschnittlich 3,72 Millionen in diesem und fast 4,7 Millionen im nächsten Jahr steigen.

Nach Schätzung der Forscher werden die steigenden Ausgaben für den Arbeitsmarkt, die Konjunkturprogramme der Bundesregierung und wegbrechende Steuer- und Beitragseinnahmen die Haushalte von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen erheblich belasten. Für 2009 veranschlagen sie das Finanzierungsdefizit auf insgesamt 89 Milliarden Euro. Dies entspricht 3,7 Prozent des prognostizierten BIP. Für das nächste Jahr erwarten die Institute sogar einen Fehlbetrag von mehr als 132 Milliarden Euro. Die Defizitquote würde damit auf 5,5 Prozent des BIP anziehen.

Damit gilt als sicher, dass die Regierung die Kriterien des Maastricht-Vertrags nicht einhalten kann. In den Schuldenregeln des Europäischen Stabilitätspakts ist vorgesehen, dass die gesamtstaatliche Neuverschuldung die Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten soll. Die deutlich reduzierten Wachstumserwartungen dürften auch drastische Konsequenzen für die Steuerschätzung im Mai haben. Die damit befassten Experten gehen in ersten Schätzungen davon aus, dass die Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden in den kommenden vier Jahren um etwa 200 Milliarden Euro niedriger liegen werden als bislang angenommen.

"Große Unsicherheit"

Die Bundesregierung wird in der kommenden Woche ihre Konjunkturprognose vorlegen. Sie orientiert sich dabei an dem Gutachten der Institute. Nach den Worten von Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen hält die Regierung die Einschätzung des IWF für "nicht unplausibel". Daraus lässt sich ablesen, dass sie auch von einer Rezession von minus fünf Prozent oder sogar noch schlechteren Werten ausgeht.

Wie sehr sich die Einschätzung der Wirtschaftslage geändert hat, zeigt ein Vergleich zum letzten Gutachten der Institute. Im Herbst 2008 hatten die Forscher noch ein Wachstum für 2009 von 0,2 Prozent vorausgesagt. Nun räumen sie ein, dass ihre neue Prognose mit "großer Unsicherheit" behaftet sei. Eine erneute Vertrauenskrise mit einem nochmaligen starken Rückgang bei Bestellungen und Produktion sei keineswegs auszuschließen. Ebenso gut sei es aber auch möglich, "dass sich die Konjunktur in Deutschland schneller erholt als prognostiziert", heißt es in dem Gutachten.

Sowohl die Wirtschaftsforschungsinstitute wie auch der IWF sind der Meinung, dass unter den großen Industriestaaten nur noch in Japan die Lage schlechter ist als in Deutschland. Japans BIP dürfte demnach 2009 sogar um mehr als sechs Prozent schrumpfen. Beide Nationen sind Exportnationen, sie sind von der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise besonders stark betroffen.

© SZ vom 23.04.2009/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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