Interview mit neuer DIW-Doppelspitze:"Das Vertrauen war erschüttert"

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Die beiden Forscher Gert Wagner und Georg Weizsäcker sollen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung aus der Krise führen. Ein Gespräch über den Sturz des Präsidenten Zimmermann und Pläne für ein Eliteinstitut von Weltrang.

Markus Balser

Zäsur bei Deutschlands größtem Wirtschaftsinstitut: Nach dem Rücktritt des umstrittenen Präsidenten Klaus Zimmermann sollen die Forscher Gert Wagner und Georg Weizsäcker das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus der Krise führen. Am Freitag wurden sie vom Kuratorium ernannt. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung kündigen sie einschneidende Reformen im Institut an und wollen das DIW zur international führenden Adressen ausbauen.

Gert Wagner führt künftig gemeinsam mit Georg Weizsäcker das DIW. (Foto: Detlef Guethenke)

SZ: Herr Professor Wagner, der Machtkampf in Deutschlands größtem Forschungsinstitut ist endgültig entschieden, die Spitze seit Freitag offiziell ausgetauscht. Sie haben den Umbruch aus nächster Nähe erlebt: Warum musste Präsident Klaus Zimmermann gehen?

Wagner: Da ist vieles zusammengekommen. Seine Doppelbelastung als DIW-Chef und Chef des Bonner Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit könnte eine Rolle gespielt haben. Auch die Kommunikation lief nicht optimal. Ich vermute eine wesentliche Rolle spielte Anfang Januar der Rücktritt des gerade erst eingestellten Geschäftsführers Hanns Seidler. Dass er so schnell aufgab, hat das Vertrauen des Kuratoriums in die Führung erschüttert.

SZ: Was der Berliner Rechnungshof auf 60 Seiten über die Ära Zimmermann zusammengetragen hat, ist auch aus anderen Gründen wenig schmeichelhaft. Es geht um Vorwürfe der Misswirtschaft und Verschwendung. Wie groß ist der Schaden für das Institut?

Wagner: Der Rechnungshof hat Fehler entdeckt. Von den ursprünglich vorgeworfenen sieben Millionen sind aber nur deutlich kleinere Beträge übrig geblieben. Für die müssen wir geradestehen und Gelder an den Senat zurückzahlen. Wie viel, ist offen. Bislang haben uns Forderungen des Senats von 150.000 Euro erreicht. Weitere prüft die Verwaltung nun Jahr für Jahr. Das wird das DIW belasten, denn das kommt einer Haushaltskürzung gleich. Aber wir werden es überstehen. Das Institut hat im Haushaltsplan bereits Vorsorge getroffen.

SZ: Sparsamkeit schien am DIW lange ein Fremdwort. Für drei Mitarbeiter hat Ihre Washingtoner Tochter DIW DC ein 170-Quadratmeter-Büro in der Nähe des Weißen Hauses für 80.000 Dollar Jahresmiete bezogen. Nachbar: Ex-Außenminister Henry Kissinger. Was sagen Sie zu solcher Großmannssucht?

Wagner: Dass ein Institut, wie das DIW, das Politikberatung betreibt, in Washington präsent sein will, ist nicht grundsätzlich falsch. Mich wundert aber nicht, dass sich Steuerzahler bei so einem Beispiel die Augen reiben. Sie können sich sicher sein: All das kommt auf den Prüfstand. Wir sind da ganz am Anfang und kennen im konkreten Fall die Geschäftsbeziehungen zur Tochter in DC noch nicht. Da ist noch einige Aufklärung nötig. Auch die Expansionspläne nach China müssen wir prüfen.

SZ: Dem DIW scheint mehr abhanden gekommen zu sein, als Bescheidenheit. Ex-Mitarbeiter warfen Forschungsabteilungen Gesichtslosigkeit vor. Zu Recht?

Wagner: Einspruch. Unser eigentliches Problem ist das nicht. Uns gelingt es nicht, die Grundlagenforschung mit der Politikberatung gut zu vernetzen.

SZ: Die Konkurrenz lästert vor allem über Schwächen in der einst führenden Konjunkturforschung. Seit 1950 zählten Sie zum erlauchten Kreis, der die Gemeinschaftsdiagnose der Institute für die Bundesregierung erstellen durfte. 2007 ging auch dieser Prestigeauftrag flöten.

Wagner: Ja, und das schmerzt, denn die empirische Konjunkturforschung hatte damals in den zwanziger Jahren ja das DIW und sein Gründer Ernst Wagemann erfunden. Wir wollen uns hier besonders ehrgeizige Ziele setzen und die Konjunkturabteilung wieder ausbauen. Vor allem über das Standing im Institut. Man muss wieder stolz sein, Konjunkturforschung zu betreiben. Bei der nächsten Ausschreibung 2012 werden wir wieder einen Anlauf nehmen.

SZ: Das Kuratorium fordert einen Neuanfang für das gesamte DIW. Was müssen Sie ändern?

Weizsäcker: Vor allem eins: Erstmal mit allen reden. Wir müssen uns wieder als Kollegium begreifen. Ein Forschungsinstitut wie das DIW lebt von der Diskussion. Diese universitäre Kultur müssen wir als Grundlage etablieren. Nur durch Kollegialität können wir wettbewerbsfähig auf dem Arbeitsmarkt der besten Forscher und Berater werden.

SZ: Herr Wagner, Sie nennen sich Vorsitzender des Vorstands, nicht mehr Präsident. Bewusste Abgrenzung zu ihrem Vorgänger, dem man autokratischen Führungsstil vorwarf?

Wagner: Die Satzung lässt beides zu. Ich habe mich für diese Version entschieden. Mehr Kollegialität gelingt nur, wenn man das vorlebt.

SZ: Viel Zeit für Ihre Charmeoffensive bleibt nicht. Der Kuratoriumsvorsitzende Bert Rürup fordert rasche Erfolge mit mehr Präsenz der Institutsforschung in der Öffentlichkeit. Kann das DIW auf breiter Front wieder zu einer ersten Adresse werden?

Weizsäcker: Wir wollen das Institut an der internationalen Spitze orientieren und es zu einer Plattform für Vordenker ausbauen - die London School of Economics ist da ein guter Orientierungspunkt.

Das geht sicher nicht in zwei Jahren. Wir müssen aber jetzt die Grundlagen legen, vor allem indem wir die Vernetzung in universitäre Forschung stärken - international, aber auch in Berlin. Wir haben hier drei Wirtschaftsfakultäten von Rang. Mit denen wollen wir uns stärker verzahnen. SZ: Wird der Umbau die Schwerpunkte des Instituts verschieben?

Weizsäcker: Nein. Richtig ist: Wir müssen die vielen Partikularinteressen im DIW abbauen. Das in den vergangenen Jahren ausgebaute Gewicht der Grundlagenforschung hat dazu geführt, dass sich Kollegen, die sich auf Beratung konzentrierten, weniger ernst genommen fühlten. Da müssen wir ansetzen. Wir wollen scharfe Trennlinien beseitigen und beides stärker als bisher zusammenführen.

SZ: Führende Forscher fordern einen Paradigmenwechsel in der gesamten deutschen Politikberatung. Sie machen sich für weniger Nähe zwischen Forschung und Regierung stark. Auch in der Wirtschaftsforschung. Wird zu viel geklüngelt?

Wagner: Das sehe ich anders. Sie können heute Institute ja nicht mehr einer politischen Denkschule zuordnen. Aber mancher Institutschef will an der Politik nah dran sein. Das geht in der Öffentlichkeit am leichtesten mit klaren Positionen. Ich glaube aber nicht, dass dadurch der faktische Einfluss auf die Politik maximiert wird.

SZ: Was meinen Sie?

Wagner: Viele Institute versuchen, schon auf der Ebene der Wissenschaft einen Konsens zu erreichen, um eine klare politische Empfehlung zu formulieren. Sie glauben, dass sie nur so in der Politik verstanden werden. Ich halte das für falsch. Wir werden Politik und Öffentlichkeit künftig zumuten, dass unsere Empfehlungen nicht mehr immer eindeutig sind. Und wir werden sehr stark trennen, zwischen Empirie und Analyse auf der einen Seite und Werturteilen auf der anderen. Es ist nicht Aufgabe der Wissenschaft, Konsens über politische Ziele zu erzielen und Mehrheiten zu beschaffen. Das ist Aufgabe der Politik.

© SZ vom 12.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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